Laut Medienberichten verhandeln Vertreter:innen des Berliner Senats eine neue Kooperationsvereinbarung mit den landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften (LWU) – bislang ohne Einbeziehung der Mieterverbände oder anderer Organisationen.
Es geht um viel: 2017 besiegelten der Berliner Senat und die landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften die soziale Bewirtschaftung der städtischen Wohnungsbestände und die Stärkung einer sozialen Wohnungsbaupolitik mit einer Kooperationsvereinbarung (KoopV). Die 2021 beschlossene Ergänzungsvereinbarung und der sogenannte „Mietendimmer“ sollten den Mieterhöhungsspielraum für die kommenden Jahre begrenzen – letzterer gewissermaßen ein wichtiges Überbleibsel des an der Gesetzeszuständigkeit gescheiterten Berliner Mietendeckels. Nun stehen der Mietendimmer und weitere soziale Vereinbarungen auf dem Spiel, denn die Senatsstellen Stadtentwicklung, Bauen und Wohnen, Finanzen und Soziales führen derzeit offenbar Verhandlungen mit den städtischen Unternehmen – hinter verschlossenen Türen und ohne Anhörung von Mieter:innenvertretungen oder Sozialverbänden.
Die LWU als Garanten sozialen Wohnens
Die landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften – degewo, Gewobag, Howoge, Stadt und Land, Gesobau und WBM – sind der zentrale Baustein einer sozialen Wohnraumversorgung: Sie können vom Gesellschafter, dem Land Berlin, gesteuert werden und sollen bezahlbare Mieten für die kleinen und mittleren Einkommensgruppen in der Bevölkerung sicherstellen. Mit ihren mindestens 344.000 Wohnungen umfassen sie etwa 20 Prozent des Berliner Mietwohnungsbestandes. Grundlage für die Aufgabenbereiche der LWU ist das durch den Mietenvolksentscheid errungene Wohnraumversorgungsgesetz (WoVG).
Zusätzlich zum WoVG haben die landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften mit dem Senat im Jahr 2017 eine Kooperationsvereinbarung getroffen. Darin festgelegt sind die sozialen und mietenpolitischen Ziele der LWU, unter anderem Zielzahlen für den Neubau, für Bestandsentwicklungen und -ankäufe sowie eine Begrenzung von Mietsteigerungen und eine Härtefallregelung. Eine jährliche Quote von 60 Prozent regelte die Wiedervermietung frei werdender Bestandswohnungen an WBS-berechtigte Haushalte. Die Einrichtung von Mieter:innenbeiräten in Siedlungen mit mehr als 300 Wohnungen soll die Mitwirkung der Mieter:innen an Unternehmensentscheidungen sicherstellen.
Ergänzungsvereinbarung und Koalitionsvertrag
2021 schlossen der Berliner Senat, die LWU und die Verbände der Wohnungswirtschaft eine Ergänzung der KoopV ab. Diese zielte einerseits auf eine Erhöhung der Wiedervermietungsquote von 60 auf 63 Prozent sowie auf detaillierte Miethöhen für nicht geförderte Neubauwohnungen ab. In Anbetracht gestiegener Baukosten wollten die Unterzeichner damit auch die Wirtschaftlichkeit der Unternehmen im Blick behalten. Unverändert blieb eine der bedeutendsten Regelungen: Die erneute Privatisierung der städtischen Bestände sollte ausgeschlossen sein. Dass die beteiligten Parteien die KoopV fortschreiben und weiterentwickeln wollen, geht auch aus dem Koalitionsvertrag hervor. Darin heißt es vielversprechend: „Dabei liegt ein besonderer Fokus auf dem Versorgungsauftrag für Menschen, die am Wohnungsmarkt benachteiligt sind. Die Ergänzungsvereinbarung von 2021 wird beibehalten. Die soziale Härtefallklausel wird von Nettokalt auf Bruttokalt umgestellt. Die Regelungen des Mieterschutzes bei den LWU vom 1. Juni 2021 gelten bis Februar 2025 und werden zur Mitte der Legislatur mit Blick auf die mietpreisdämpfende Wirkung und die Wohnungsmarktlage evaluiert.”
Neuverhandlungen: Was sind die Prioritäten?
Aktuell brodelt die Gerüchteküche, denn niemand weiß Genaues. Einige Medien vermeldeten, dass die KoopV neu verhandelt wird. In diese Richtung äußerte sich Senator Andreas Geisel (Stadtentwicklung, Bauen und Wohnen, SPD) auf mehreren öffentlichen Veranstaltungen: Er kündigte Verhandlungen mit den LWU für eine neue KoopV an und machte seine Priorität deutlich: die Wirtschaftlichkeit der LWU. Bereits im Sommer berichteten einige Berliner Medien von Geisels Idee, einen Teil der ungebundenen Neubauwohnungen als Eigentumswohnungen zu veräußern und so einen Teil der Unternehmensausgaben zu refinanzieren. Dieser Vorschlag widerspricht sehr deutlich der zentralen Regelung in der KoopV, erneute Privatisierungen des öffentlichen Wohnungsbestandes auszuschließen. Es darf nicht passieren, dass das Land Berlin wieder landeseigene Wohnungen verkauft – nicht einmal in Teilen! Allein die noch nicht bewältigte Coronakrise sowie die aktuelle Energiekrise schrauben die Anforderungen und Erwartungen an eine soziale Wohnraumversorgung in die Höhe: Gerade jetzt können wir uns keine Rückschritte bei der sozialen Ausrichtung der Berliner Wohnungspolitik leisten!
Sozialen Schutz stärken
Bislang haben die drei beteiligten Senatsstellen weder die Mieterbeiräte noch Berliner Mieter:innenorganisationen, Sozialverbände oder weitere Vertreter:innen der Zivilgesellschaft zu den Verhandlungen angehört. Unklar ist, ob sie in einem nächsten Schritt Stellungnahmen der Verbände und Initiativen veranlassen. Aus diesem Grund haben wir gemeinsam mit Gewerkschaften, Sozialverbänden und Initiativen einen offenen Brief an die Senator:innen Andreas Geisel (SPD), Katja Kipping (Die Linke) und Daniel Wesener (Bündnis 90/Grüne) verfasst, um unsere Vorschläge und Forderungen einzubringen. Die Aktualität und Brisanz zur Sicherung der sozialen Wohnraumversorgung liegt auf der Hand – die Menschen brauchen dringend Sicherheit bei den Themen Wohnen und Energieversorgung.
Unsere Forderungen in Kürze
1. Die Verbesserung der Härtefallregelung: Für WBS-Haushalte soll die Bruttokaltmiete (Grundmiete plus kalte Betriebskosten) bei 30 Prozent ihres Haushaltsnettoeinkommens gekappt werden.
2. Die Ausweitung des Geltungsbereichs der Härtefallregelung auf alle Haushalte bis zu einem Haushaltsnettoeinkommen von 180 Prozent der Bundeseinkommensgrenze (siehe WBS Berechtigung).
3. Die Ausweitung der Wiedervermietungsquote auf 75 Prozent der frei werdenden Wohnungen an WBS-berechtigte Haushalte.
4. Ein Mieterhöhungsmoratorium beziehungsweise eine Verlängerung des „Mietendimmers“ während der Energiekrise.
5. Keine Mieterhöhungen für geförderte Neubauwohnungen während der ersten fünf Jahre nach Erstbezug.
6. Die Abschaffung der Ausnahmeregelung für Quartiere in Bezug auf die Wiedervermietungsquote.
7. Eine Vereinbarung zur flächendeckenden Einrichtung von Mieterbeiräten sowie deren Mitwirkung.
8. Die Übernahme des Leitbildes „Berlin vermietet fair“ gegen Diskriminierung auf dem Wohnungsmarkt.
9. Eine Vereinbarung zur Begrenzung von Gewerbemieten.
19.10.2022