Die Wucht der Energiekrise erreicht nun auch den Wohnungsmarkt. Der energetische Zustand ist laut IBB-Wohnungsmarktbarometer mittlerweile das entscheidende Merkmal einer Wohnung. Balkone oder Einbauküchen sind nicht mehr so wichtig. Sowohl die, die dort wohnen, als auch die, denen die Wohnungen gehören, wünschen sich eine Verringerung der Heiz- und Warmwasserkosten durch entsprechende Technik.
Jahrzehntelang galt auf dem Immobilienmarkt als wichtigstes Kriterium das schon sprichwörtliche „Lage, Lage, Lage“. Mit der extremen Verteuerung der Energie ist das auf dem Wohnungsmarkt passé. „Heizung – Dämmung – Effizienz“ lautet nun der Dreiklang. Der energetische Zustand werde die „entscheidende Kennzahl auf dem Wohnungsmarkt“, so das Ergebnis des Wohnungsmarktbarometers 2022 der Investitionsbank Berlin (IBB). Für diesen Bericht werden jährlich über 200 Expertinnen und Experten zu ihren Einschätzungen über den Berliner Wohnungsmarkt befragt. Auch der Berliner Mieterverein (BMV) hat seine Beurteilungen abgegeben.
Heizung – Dämmung – Effizienz
Was macht eine gute Mietwohnung aus? Bislang waren vor allem die günstige Lage und die Ausstattung mit Balkon oder Terrasse wichtig. Neuerdings wird aber ein niedriger Energieverbauch und geringer Schadstoffausstoß zum entscheidenden Nachfragefaktor. Auf dem Eigentumswohnungsmarkt ist dies schon das wichtigste Kriterium.
Bei den Mietwohnungen ist zwar die günstige Miete immer noch die Kardinalfrage. Der energetische Zustand ist aber im Vergleich zum Marktbarometer von 2021 um drei Plätze auf Rang zwei vorgerückt. Balkon und Terrasse, eine gute Lage und ein stabiles soziales Umfeld sind bei der Bewertung inzwischen weniger wichtig. Die Wertschätzung für Aufzüge, neuwertige Bäder, attraktive Außenanlagen und Einbauküchen nimmt sogar deutlich ab. Es geht also zunächst darum, eine Bleibe ohne Schnickschnack zu haben, die auch bei steigenden Energiepreisen halbwegs bezahlbar ist.
BMV-Geschäftsführerin Ulrike Hamann wundert sich darüber nicht: „Mehr als die Hälfte der Mieterinnen und Mieter in Berlin hat ein niedriges Einkommen. Im Einkommensvergleich liegt Berlin unter 80 Städten auf Platz 46. Die Menschen suchen also zuallererst nach preiswerten Mieten und versuchen zudem, den Preistreiber Energiekosten zu minimieren.“
Klimaschutz und Klimaresilienz werden das Bild des Berliner Wohnungsmarktes in den kommenden Jahren nachhaltig verändern – und das nicht nur angesichts der aktuellen Energiekrise, meint der IBB-Vorstandsvorsitzende Hinrich Holms. „Neubau und Energie müssen noch mehr zusammen gedacht und behandelt werden.“
Auch bei der Frage nach den größten Schwierigkeiten im Wohnungsbestand stehen die Fachleute unter dem Eindruck der Energiekrise. Steigende Neben- und Betriebskosten werden als das drängendste Problem im Mietwohnungsbestand gesehen.
Die am zweithäufigsten genannte Herausforderung sind die steigenden Nettokaltmieten, gefolgt von dem Problem, dass Modernisierungen nicht über marktfähige Mieten zu finanzieren seien. Beklagt werden auch Schwierigkeiten bei der Umsetzung des Klimaschutzes im Bestand sowie eine Wohnungsbauförderung, die für energetische oder barrierebeseitigende Maßnahmen nicht bedarfsgerecht sei. Trotz Widrigkeiten wurde das Investitionsklima für Modernisierungen und Umbauten aber immer noch als „durchschnittlich“ bewertet.
Jens Sethmann
Anspannung – und kein Ende in Sicht
Der Mietwohnungsmarkt ist nach Ansicht der befragten Expertinnen und Experten insgesamt weiterhin sehr angespannt, insbesondere im unteren und mittleren Preissegment sowie bei preisgebundenen Wohnungen. Lediglich in der oberen Preisklasse mit Nettokaltmieten über 11 Euro pro Quadratmeter sind Angebot und Nachfrage nahezu ausgeglichen. Eine Entspannung ist nicht in Sicht. Der Neubau von Mietwohnungen werde dem Marktbarometer zufolge vor allem von steigenden Baukosten und zu wenigen geeigneten Bauflächen gebremst. Das Investitionsklima für den Neubau habe sich gegenüber dem Vorjahr noch einmal verschlechtert.
js
IBB-Wohnungsmarktbarometer 2022:
www.ibb.de/de/ueber-uns/publikationen/wohnungsmarktbarometer/2022.html
27.10.2022