Auch wenn das Kammergericht die Ausschreibung für den neuen Mietspiegel als zulässig erachtet und der Auseinandersetzung darüber ein Ende gesetzt hat, wird sich die Herausgabe eines qualifizierten Mietspiegels verzögern und eine Übergangslösung erforderlich sein. Dennoch bleibt dieses Zahlenwerk das zurzeit verlässlichste Abbild des Mietengefüges der Stadt.
Mietspiegel geben eine Übersicht über das Mietpreisniveau in einer Stadt oder in einer Gemeinde. Sie dienen damit der Orientierung, etwa um festzustellen, ob eine Mieterhöhung angemessen ist. Dabei geht es um die Frage, wie hoch die „ortsübliche Vergleichsmiete“ ist – als unbestimmter Rechtsbegriff ist diese vom Gesetzgeber nicht genau definiert.
Gerade für Berlin ist ein Mietspiegel wichtig. „Berlin ist eine Mieterstadt, da 84 Prozent der Einwohnerschaft zur Miete wohnen. Somit gibt es viele Auseinandersetzungen über die Miete“, so Wibke Werner. Konflikte zwischen Mietern und Vermietern drehen sich nicht selten um Mieterhöhungen – dabei gelten Mietspiegel als ein wichtiger Maßstab. Mietspiegel werden aber auch benötigt, weil sie als Grundlage für die Mietpreisbremse herangezogen werden.
Die Geschichte der Mietspiegel geht weit zurück. „Ursprünglich war es Vermietern erlaubt, zum Zwecke der Mieterhöhung eine Änderungskündigung auszusprechen“, erklärt die BMV-Geschäftsführerin. Nachdem im Jahr 1900 das Bürgerliche Gesetzbuch (BGB) in Kraft trat, wurde die Lage auf dem Wohnungsmarkt immer angespannter, durch den Krieg verschärfte sie sich zusätzlich. 1916 wurden in den Reichskriegshäfen Kiel und Wilhelmshaven Mietobergrenzen festgesetzt – maßgeblich hierbei waren die Mietentgelte am Stichtag 1. März 1916. Diese Regelungen wurden in den Folgejahren in den Mieterschutzverordnungen weiter ausgearbeitet. Zu jener Zeit wurde in der öffentlichen Debatte bereits ein amtliches Mietkataster gefordert – die Idee eines Mietspiegels war geboren.
Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde aufgrund der Wohnungsknappheit ein Mietenstopp eingeführt, der in der Bundesrepublik mit Ausnahme West-Berlins bis Ende der 60er Jahre galt. Nach Auslaufen der entsprechenden Regelungen war der Mieteralltag erneut von Änderungskündigungen und Mieterhöhungen geprägt – wieder war Handlungsbedarf zur Regulierung des Wohnungsmarktes gegeben. „1971 wurde dann das Miethöherecht eingeführt, wonach Vermieter die Miete bis zur ortsüblichen Vergleichsmiete anheben konnten, im Gegenzug wurde die Möglichkeit der Änderungskündigung abgeschafft“, so BMV-Geschäftsführerin Werner. Gleichzeitig wurde der Ruf nach einer allgemein gültigen Tabelle laut, die die ortsübliche Vergleichsmiete abbilden sollte. Dafür wurden fünf wesentliche Kriterien entwickelt: Art, Größe, Beschaffenheit, Ausstattung und Lage einer Wohnung – so entstanden die Mietspiegel und die ihnen noch heute zugrunde liegenden Merkmale.
Mietspiegel als Preistreiber?
So wichtig die Mietspiegel für die Mietpreisregulierung sind, sie haben auch Schwächen. Nicht selten wird Kritik laut, dass Mietspiegel selbst zum Preistreiber werden. Ursache dafür ist der Umstand, dass in den Mietspiegel nur jene Mieten einfließen, die in den letzten sechs Jahren verändert worden sind. So werden also jüngere, zum Teil auch heftigere Steigerungen berücksichtigt, eine niedrigere, über acht Jahre unveränderte Miete aber nicht. Insofern können Mietspiegel allein den Ist-Zustand des Mietengefüges in einem Ort nicht abbilden.
Allerdings: Kein Mietspiegel ist eine eher schlechte Lösung, vor allem bei Konflikten um Mieterhöhungen. „Diese würden nur anders begründet werden, zum Beispiel mit einem Gutachten oder mit drei Vergleichswohnungen – was aus Mietersicht ungünstiger wäre“, erklärt BMV-Geschäftsführerin Werner.
Sandra Diekhoff
Mehr Rechtssicherheit durch Mietspiegelpflicht
Die ersten Mietspiegel entstanden 1975 mit Inkrafttreten des 2. Wohnraumkündigungsschutzgesetzes. In Berlin wurde ein Mietspiegel erstmals Ende der 80er Jahre notwendig, als die Mietpreisbindung für Altbauwohnungen in West-Berlin aufgehoben wurde.
Bislang gab es keine Pflicht zur Erstellung eines Mietspiegels. Das Mietspiegelreformgesetz, das zum 1. Juli 2022 in Kraft trat, soll das ändern: Gemeinden, in denen mehr als 50.000 Menschen leben, sind nun verpflichtet, einen einfachen Mietspiegel zu erstellen – dafür haben sie bis zum 1. Januar 2023 Zeit, bei der Erstellung eines qualifizierten Mietspiegels noch bis 1. Januar 2024. Außerdem können Mietspiegel weiterhin auf freiwilliger Basis erstellt werden. Insbesondere Kommunen stellen dabei als kostengünstige Alternative oft einfache Mietspiegel bereit.
sd
27.10.2022