In diesen Tagen geht mit dem „Kiezprojekt“ ein einzigartiges Organizing-Projekt an den Start. Zusammen mit der AG Starthilfe und der Plattform Movement Hub hat der BMV den Projektrahmen entwickelt, Projektziele formuliert und notwendige Fördermittel eingeworben. Worum geht es im Detail und wer sind die Partner?
Das Kiezprojekt ist eine Kooperation der AG Starthilfe, der Plattform für soziale Klimagerechtigkeit Movement Hub und des Berliner Mietervereins. Hauptamtliche und ehrenamtliche Mitarbeiter:innen werden in den kommenden zwei Jahren mit Methoden des Community Organizing in ausgewählten Kiezen und Siedlungen Mieter:inneninitiativen aufbauen. Das Ziel: Die Mieter:innen sowie ihre Nachbarschaften zu verbinden und ihnen zu organisierter Handlungsfähigkeit und Mitsprache in der sozialen und ökologischen Wohnungskrise zu verhelfen.
Klimagerechtigkeit und soziale Gerechtigkeit müssen Hand in Hand gehen
Berlin hat nicht nur eine Wohnungskrise, sondern steht zudem vor der großen Herausforderung, mit der energetischen Gebäudesanierung vorankommen zu müssen: Bis 2045 will die Stadt klimaneutral werden. Der Gebäudebereich spielt hier eine große Rolle, denn auf ihn entfallen 52 Prozent des Endenergieverbrauchs. Noch sind viel zu wenige Wohngebäude energetisch saniert oder verfügen über dekarbonisierte Heizungsanlagen.
So notwendig die energetischen Gebäudesanierungen sind, stürzen sie Mieter:innen in ein Dilemma, denn sie bringen große finanzielle Belastungen mit sich: Vermieter:innen können die getätigten Investitionen vollständig auf die Mieter:innen umlegen. Die Mieten bleiben hoch, auch nach Amortisation der Kosten – ein Mechanismus, der bereits in der Vergangenheit zu Verdrängung, Vereinzelung und Überforderung der Menschen geführt und zahlreiche Proteste hervorgerufen hat. Die Politik hat bislang keine ordnungs- oder mietrechtlichen Maßnahmen eingeführt, um Mieter:innen in dieser Situation ausreichend zu schützen und zugleich die sogenannte Sanierungstiefe qualitativ sicherzustellen. Einen Interessenausgleich zwischen Eigentümer:innen und Mieter:innen ist der Gesetzgeber bislang schuldig geblieben. Von einer gerechten Aufteilung der Krisenkosten des Klimawandels bzw. der Maßnahmen, die dringend notwendig sind, um diesen aufzuhalten, kann derzeit nicht die Rede sein.
Unser Ansatz: Initiativen und Gemeinschaften aufbauen
Mit dem Kiezprojekt stehen wir für diejenigen ein, deren finanzielle Ressourcen begrenzt sind: Das sind private Haushalte mit niedrigen und durchschnittlichen Einkommen, deren Mietbelastung oftmals schon jetzt deutlich mehr als 30 Prozent ihres Nettoeinkommens beträgt. Viele Mieter:innen kennen ihre Rechte nicht und sehen sich aus verschiedenen Gründen oft nicht in der Lage, sich gegen Ungerechtigkeiten zu wehren. Erstes Ziel des Kiezprojektes ist es daher, Mieter:inneninitiativen in Berliner Kiezen und Siedlungen aufzubauen, um gemeinschaftlich Mitsprache einzufordern, sich gegen Überforderung wehren zu können und das Bewusstsein für die bestehende soziale und ökologische Wohnungskrise in Berlin zu schärfen. Um der Resignation und Vereinzelung von Mieter:innen entgegenzuwirken, setzen wir auf Nachbarschaftshilfe, Vermittlung von Rechtswissen und gemeinsame politische Aktionen. Die Besonderheit: Im Kiezprojekt übernehmen erstmals hauptamtliche Mitarbeiter:innen, ehrenamtliche Kiezteams und BMV-Bezirksgruppen Methoden des Community Organizing, um die Durchsetzungskraft für benachteiligte Gruppen zu erhöhen. Die ehrenamtlichen Gruppen wenden für ihr Engagement viel Zeit neben ihrem eigentlichen Beruf oder ihrer Ausbildung auf; hier sollen die professionellen Organizer wichtige Unterstützung leisten. Umgekehrt unterstützen die Ehrenamtlichen bei Haustürgesprächen und Mieter:innenversammlungen.
Die Kooperationspartner: Wer engagiert sich hier?
Wir, das sind die Arbeitsgemeinschaft Starthilfe (AG Starthilfe), die Plattform Movement Hub und der Berliner Mieterverein (BMV). Die Idee für ein gemeinsames Organizing-Projekt kam aus der AG Starthilfe, der Impuls für mehr Zusammenarbeit zwischen Haupt- und Ehrenamtlichen aus dem BMV. Die Plattform Movement Hub sorgt für die unternehmerische Machbarkeit.
Die AG Starthilfe geht aus dem Deutsche-Wohnen-Protest hervor. Vielen ist das erfolgreiche Organizing von stadtpolitischen Aktivist:innen in der Kreuzberger Otto-Suhr-Siedlung oder auch in der Nachbarschaftsinitiative Kotti & Co. bekannt. Der Wohnungskonzern Deutsche Wohnen plante in der weitläufigen Otto-Suhr-Siedlung eine energetische Sanierung mit entsprechenden Modernisierungsmieterhöhungen für die betroffenen Haushalte. Engagierte Mieter:innen schlossen sich zu einer Initiative zusammen und setzten öffentlichkeitswirksam vielfältige Protestaktionen um. So brachten sie das Thema der ungerechten Modernisierungsumlage auf die politische Agenda und handelten mit dem Konzern eine Modernisierungsvereinbarung aus, die insbesondere die Härtefallregelung weiter fasste als die gesetzliche Regelung. Dieselbe Gruppe der Aktiven, die hier und am Kottbusser Tor die Mieter:innen erfolgreich unterstützte, fand sich nach diesem Erfolg in der AG Starthilfe zusammen, die seitdem in ganz Berlin Mieter:inneninitiativen unterstützt und beim Volksbegehren und Volksentscheid für die Vergesellschaftung großer Wohnungsunternehmen eine entscheidende Rolle spielte. Im Kiezprojekt steht die AG Starthilfe für die Expertise beim Organizing – ihr Wissen und ihre Erfahrungen fließen direkt in die lokale Projektarbeit ein. Die Mitglieder der Gruppe arbeiten ausschließlich ehrenamtlich.
Wenn wir den Klimawandel aufhalten und gleichzeitig sozial gerecht gestalten wollen, sind Mieter:innen eine der wichtigsten Zielgruppen. Mit den Kolleg:innen der Plattform Movement Hub haben wir im Kiezprojekt professionelle und inhaltlich passende Fundraising-Expertise. Getragen vom gemeinnützigen Verein Plan:B gibt der Movement Hub sozialen Bewegungen eine Plattform, die sich für eine klimagerechte Zukunft einsetzen. Der Trägerverein wird die formalen Arbeitgeberpflichten gegenüber den angestellten Organizer:innen sowie die Dokumentation im Sinne der Fördermittelgeber:innen übernehmen und das Fundraising für die noch fehlenden Projektmittel voranbringen.
Unser wichtigstes Anliegen als Berliner Mieterverein ist neben der Rechtsberatung unserer Mitglieder die Herausbildung einer starken Stimme aller Berliner Mieter:innen. Zu den Aufgaben des BMV gehört deshalb seit jeher die Begleitung und Unterstützung von Mieter:inneninitiativen sowie unserer eigenen ehrenamtlichen Bezirksarbeit. Seit einigen Jahren nehmen wir in den Siedlungen Resignation und Verdrossenheit wahr. Viele Menschen nehmen unbilliges Verhalten ihrer Vermieter:innen hin, weil sie schlicht zu wenig Kapazitäten haben, um sich gegen Ungerechtigkeiten aufzulehnen. Deshalb unterstützen wir das Kiezprojekt mit unserer Rechts- und Politikexpertise als Projektpartner. Unsere ehrenamtlichen Kolleg:innen in den Bezirken befinden sich bereits im Austausch mit den Freiwilligen der Kiezteams. Gemeinsam werden wir Mieter:innen in den Siedlungen aufsuchen, ihnen zuhören und wichtige Unterstützung für ein gemeinschaftliches Handeln bieten. Die Öffentlichkeitsarbeit gehört ebenso dazu wie die politische Arbeit.
Kooperationsvereinbarung, Fördermittel, Mitarbeiter:innen: Wo das Kiezprojekt jetzt steht
In einer Kooperationsvereinbarung haben alle drei Projektpartner die Zusammenarbeit festgeschrieben. Wichtige Regelungen zur Aufgabenverteilung, zu den Weisungsbefugnissen gegenüber den angestellten Organizer:innen und zur Dokumentation der Aktivitäten in den ausgewählten Kiezen sind hier festgehalten. Um die Personalkosten für insgesamt fünf angestellte Organizer:innen über eine Laufzeit von zwei Jahren bewältigen zu können, sind Fördermittel nötig. Nach einer gründlichen Recherche- und Konzeptphase im ersten Halbjahr 2022 ist es uns gelungen, Fördermittel von der Robert-Bosch-Stiftung einzuwerben.
Ende Oktober konnten wir die ersten Stellenausschreibungen veröffentlichen. Die Bewerbungsfrist endete am 9. November 2022. Das Interesse an der hauptamtlichen Mitarbeit ist groß und wir freuen uns, dass sich zahlreiche Menschen beworben haben. Zurzeit sichten die Mitglieder des 14-tägig stattfindenden Steuerungskreises die Bewerbungen. Bereits in den kommenden zwei Wochen werden wir Gespräche für eine Projektkoordinationsstelle sowie zwei Organizing-Stellen führen. Es ist uns sehr wichtig, ein diverses Projektteam aufzustellen, das sich gut in die unterschiedlichen Interessen von Miethaushalten einfinden und auch Sprachbarrieren überwinden kann.
Der Arbeitsstart des ersten Teilteams ist für Anfang Dezember geplant, die Einarbeitungsphase sieht verschiedene Workshops und das Kennenlernen der ehrenamtlichen Gruppen in den ausgewählten Bezirken vor. Die umfangreichen Recherchen in der Konzeptphase haben viel Potenzial in den Bezirken Pankow, Neukölln, Tempelhof-Schöneberg, Lichtenberg und Steglitz-Zehlendorf offengelegt. Hier werden die Hauptamtlichen tätig werden und gemeinsam mit den Ehrenamtlichen des BMV und den Freiwilligen der Kiezteams wichtige Initiativenarbeit leisten. Damit wir das Projektteam vervollständigen können, suchen wir parallel weitere Förderer und beantragen entsprechende Mittel. Wir sind überzeugt, dass das Kiezprojekt erfolgreich sein wird – weil’s gemeinsam besser geht!
Ein Beitrag von Franziska Schulte, Ansprechpartnerin im BMV für das Kiezprojekt
16.11.2022