Pressemitteilung Nr. 01/23
Der Berliner Mieterverein (BMV) hat der Öffentlichkeit heute Vorschläge präsentiert, wie mittels Zweckentfremdungsrecht und Bauordnung der Abriss von leistbarem Wohnraum deutlich erschwert werden kann. „Damit möchten wir den eingeläuteten Neuwahlen zum Abgeordnetenhaus um ein wichtiges stadtpolitisches Thema erweitern“, so BMV-Geschäftsführer Sebastian Bartels.
Denn es ist höchste Zeit, über Abriss zu reden. Der jetzige Koalitionsvertrag enthält zwar gute Absichten; es heißt darin: „Der Abriss von baulichen Anlagen vernichtet bislang sehr viel graue Energie, deshalb haben für die Koalition der Umbau und die Erweiterung Priorität gegenüber Abriss und Neubau.“ Die Realität dagegen sieht ein Jahr später noch ganz anders aus – Abrissgenehmigungen sind in Bezirken seit langem keine Ausnahme, sondern weit verbreitet, beobachtet der BMV und ist alarmiert: „Es geht nicht nur um sprichwörtliches Verpulvern grauer, seit Jahrzehnten in Zement und Steine gebundener Energie, sondern um das Herauskaufen zigtausender Menschen. Sie werden von Investoren mit ein paar tausend Euro aus ihren Wohnungen herausgelockt“, beklagt Sebastian Bartels und fordert: „Abriss muss nicht nur aus ökologischen, sondern auch aus sozialen Gründen so weit wie möglich verhindert werden“.
Das insgesamt 16-seitige Konzept ist als Anhang zu dieser Pressemitteilung beigefügt. Die Ideen in wenigen Sätzen zusammengefasst:
1. Das Zweckentfremdungsverbots-Gesetz (ZwVbG) wird in § 3 folgendermaßen verschärft:
- Eigentümerinnen und Eigentümern wird in der Regel kein berechtigtes Interesse am Abriss bescheinigt, wenn ihnen die weitere wirtschaftliche Verwertung des Wohnraums auch unter Berücksichtigung einer möglichen Instandsetzung wirtschaftlich zumutbar ist. Bei der Prüfung der Rentierlichkeit ist ein Zeitraum von mindestens 20 Jahren anzusetzen.
- Sollte ihr Abrissantrag positiv beschieden werden, kann das Bezirksamt verlangen, dass als Ersatzwohnraum im Umfang von bis zu 50 vom Hundert der durch die Zweckentfremdung entfallenden Wohnfläche geförderte Wohnungen nach den im Zeitpunkt der Genehmigungserteilung jeweils geltenden Wohnraumförderbestimmungen des Landes Berlin entstehen.
2. Die Zweckentfremdungsverbots-Verordnung (ZwVbVO) wird in § 3 wie folgt verschärft:
- Angemessene Bedingungen für die Zurverfügungstellung von Ersatzwohnraum gemäß § 3 Abs. 4 S. 2 des Zweckentfremdungsverbot-Gesetzes liegen nur dann vor, wenn die Nettokaltmiete für den Ersatzwohnraum die durchschnittliche Nettokaltmiete des fortgefallenen Wohnraums um nicht mehr als 20 vom Hundert und die ortsübliche Vergleichsmiete gemäß § 558 Absatz 2 BGB um nicht mehr als 10 vom Hundert übersteigt. Maßgeblich ist die Miete zu Beginn des Mietverhältnisses; Staffelmieten und Indexmieten sind ausgeschlossen. Unbeschadet vorgenannter Bedingungen darf für Ersatzwohnraum keine höhere Nettokaltmiete als 9,17 Euro pro Quadratmeter monatlich verlangt werden.
„Die bereits jetzt in der Verordnung verankerte Obergrenze von 9,17 €/m² nettokalt ist nach unserer Einschätzung zu hoch, um einen Ausgleich für den abgerissenen Wohnraum zu schaffen“, erläutert BMV-Geschäftsführer Bartels und führt aus: „Mit den vorgeschlagenen Änderungen wären insbesondere Wohnungen aus den 1950er und 1960er, zunehmend auch aus den 1970er Jahren, deutlich besser geschützt als bisher.“
Mit knapp 700.000 machen diese Wohnungen gut ein Drittel des Berliner Bestandes aus – Nachkriegsbauten, die meist zentral gelegen sind und deren ortsübliche Vergleichsmiete im Berliner Mietspiegel regelmäßig deutlich niedriger ausfällt als bei Altbauten, die bis 1919 oder 1949 errichtet wurden. In diesen Wohnungen leben meist Menschen mit geringem Einkommen. Abrissgenehmigungen werden derzeit teils gegen schwer zu überwachende, bei „nicht schützenswertem Wohnraum“ teils sogar ganz ohne Auflagen erteilt – günstiger Ersatzwohnraum für die gekündigten Mieterinnen und Mieter entsteht kaum.
3. Auch die Bauordnung soll strengere Maßgaben für den Abriss vorgehen – einschließlich den von Gewerberaum, da dieser künftig zunehmend Potenzial für die Umnutzung als Wohnraum haben dürfte.
- Die Genehmigung für die Beseitigung von Gebäuden mit Wohnraum und Gewerberaum darf nur erteilt werden, wenn die Erhaltung und Sanierung auch unter Beachtung der Ressourcenschonung wirtschaftlich nicht zumutbar ist. Dies ist insbesondere der Fall, wenn die Kosten der Erhaltung und Sanierung zwei Drittel der Kosten eines Neubaus übersteigen.
Berlin, 11.1.2023
https://www.berliner-mieterverein.de/downloads/pm110123-bmv-konzept-abriss.pdf
10.07.2023