Das Bürgergeld hat das Arbeitslosengeld II abgelöst. Höhere Regelsätze, ein einfacheres Antragsverfahren und zusätzliche Lockerungen im ersten Jahr des Leistungsbezugs sollten das Hartz IV-System reformieren. Was beachtet werden muss und wer von den neuen Regelungen profitiert: ein Überblick.
502 Euro monatlich für Alleinstehende, jeweils 451 Euro für Mitglieder einer Bedarfsgemeinschaft und für Minderjährige mindestes 318 Euro – das sind die neuen Regelsätze des Bürgergelds. Anspruch darauf haben alle, die mindestens 15 Jahre alt sind und die Altersgrenze für die Rente noch nicht erreicht haben, erwerbsfähig und hilfebedürftig sind und in Deutschland leben – es sind die gleichen Voraussetzungen wie bislang für Hartz IV. Ausgenommen sind Menschen, die nicht in der Lage sind, mindestens drei Stunden täglich zu arbeiten. In diesen Fällen greift die Sozialhilfe, das aber mit den gleichen Regelsätzen.
Alle Personen, die bereits im Dezember 2022 und davor Hartz IV bezogen haben und deren Bewilligungszeitraum weiterläuft, müssen keinen Neuantrag stellen. Auch die Nummer der Bedarfsgemeinschaft und die Kundennummer ändern sich nicht.
Die neue Bedarfsberechnung bringt derweil Kritik hervor. „Eigentlich bleiben die Regelsätze aufgrund des Kaufkraftverlustes gleich – sie hinken weit der Inflation hinterher“, sagt Margret Böwe vom Sozialverband VdK Deutschland. „Das deckt nicht das Existenzminimum ab, das reicht nicht zum Leben.“ Sozialverbände fordern deshalb eine deutliche Anhebung und eine Neugestaltung der Berechnung: Viele Kosten könne man nicht als feste Pauschalen festlegen, etwa die für Haushaltsenergie.
Die Sanktionen sind – unter anderem Namen – zurück
Mit dem Bürgergeld kehren auch die Sanktionen wieder zurück – sie heißen nur anders. Wurde bislang darauf verzichtet, sind künftig sogenannte Leistungsminderungen bei Pflichtverletzungen und Meldeversäumnissen wieder möglich. Dabei gilt eine Höchstgrenze von 30 Prozent des monatlichen Regelbedarfs.“ Ausgenommen hiervon sind die Kosten für Unterkunft und Heizung – diese werden nicht gekürzt.
Auf der anderen Seite versprechen die abweichenden Regelungen im ersten Jahr des Bürgergeld-Bezugs mehr Geld, insbesondere für die Wohnkosten. Während dieser sogenannten Karenzzeit übernimmt das Jobcenter die Miete vollständig – unabhängig von der Wohnungsgröße. „Eine Angemessenheitsprüfung hinsichtlich der Wohnungsgröße wird nicht durchgeführt“, erläutert Harry Herrmann, Sprecher der Berliner Jobcenter. Allerdings gilt weiterhin, dass höhere Mietkosten nach einem Umzug nur anerkannt werden, wenn der Umzug erforderlich war, so Ina-Luisa Burghardt, Sprecherin der Berliner Senatsverwaltung für Integration, Arbeit und Soziales. „Die Regelung dient der Vermeidung von unnötigen Mehrkosten wegen Umzügen, die unter Ausnutzung der Regelungen zur Karenzzeit erfolgen“, erklärt Burghardt.
Grundsätzlich sieht Böwe diese Regelungen als einen Schritt in die richtige Richtung. „Aber es ist immer noch keine nachhaltige Lösung.“ Ausgenommen sind allerdings jene Personen, deren Miete bereits in der Vergangenheit festgesetzt wurde – in diesen Fällen wird weiterhin nur ein Teil der Wohnkosten übernommen. Wieviel das im Einzelfall konkret ist, bemisst sich an vorgegebenen Richtwerten. Aus Sicht von Sozialverbänden sind diese Richtwerte allerdings nicht ausreichend. „Die Angemessenheitswerte sind zu niedrig, denn es gibt kaum tatsächlich verfügbaren Wohnraum zu diesen Preisen“, kritisiert Böwe.
Für den amtlichen Satz gibt es keine Wohnung auf dem Markt
Auch der Berliner Mieterverein hält diese Regelung für fragwürdig: „Wessen Miete nicht voll übernommen wird, gerät oft in die Zwangslage, aus dem zu niedrigen Regelsatz zuzahlen oder untervermieten zu müssen“, so Ulrike Hamann, Geschäftsführerin des Berliner Mietervereins. Eine andere Wohnung sei bei den derzeitigen Neuvermietungsmieten nicht zu finden. So rutschten sie weiter in die Armut ab oder seien in Gefahr, die Wohnung zu verlieren. Hamann: „Eine völlig absurde Regelung ist, dass ihre Miete auch dann nicht übernommen wird, wenn sie nach Anpassung der Sätze in einem Bereich liegt, der bei anderen anerkannt wird.“
Hinzu kommt, dass die Heizkosten weiterhin von Beginn an auf ihre Angemessenheit begutachtet werden. In der AV Wohnen werden künftig Grenzwerte für den Verbrauch auf Grundlage des Heizspiegels genannt – womit sichergestellt werden soll, dass auch höhere Heizkosten aufgrund steigender Energiepreise übernommen werden. Überschreitet eine hoch ausfallende Heizkostennachzahlung die Zahlungsfähigkeit von jemandem, der kein Bürgergeld bezieht, kann dieser für den Fälligkeitsmonat der Zahlung einen Antrag beim Jobcenter auf Zahlungsübernahme einreichen.
Wer ab Januar erstmalig einen Antrag auf Bürgergeld stellt, kann dies künftig online tun – erforderlich ist aber eine vorherige Registrierung auf der Internetseite der Bundesagentur für Arbeit. Von einer persönlichen Vorsprache im Jobcenter während des Antragsverfahrens entbindet das neue Prozedere nicht: „Wie bisher müssen Antragstellende sich im Jobcenter persönlich identifizieren“, so Herrmann. Mit einer Ausnahme: „Die Bundesagentur für Arbeit bietet auch elektronische Verifizierungsverfahren an, zum Beispiel über die Online-Funktion des Personalausweises.“
Ob dadurch der Zugang zum Bürgergeld tatsächlich einfacher wird, bleibt fraglich. Manchen Personen fehlen die nötigen Sprachkenntnisse oder die Fertigkeiten und technischen Voraussetzungen, um einen Antrag online zu stellen. „Das wird für viele Menschen nicht funktionieren“, sagt der VdK. Dann ist auch die persönliche Vorsprache weiter notwendig.
Sandra Diekhoff
Erst Reform, dann Kompromiss
Ob das Bürgergeld überhaupt in Kraft treten würde, blieb lange Zeit ungewiss: Erst im November des vergangenen Jahres einigten sich die Parteien der Ampelkoalition und die CDU/CSU auf einen Kompromiss. Ursprünglich war die Karenzzeit für die ersten beiden Jahre des Bürgergeld-Bezugs vorgesehen – diese wurde nun auf ein Jahr verkürzt. Auch die Regelungen zum Schonvermögen während der Karenzzeit wurden geändert: Geplant waren Freibeträge in Höhe von 60.000 Euro für die erste Person der Bedarfsgemeinschaft und 30.000 Euro für jede weitere. Die CDU/CSU hatte sich dafür eingesetzt, dass diese Beträge auf 40.000 Euro und 15.000 Euro gesenkt wurden. Nach Ablauf des ersten Jahres gilt nun ein Vermögensfreibetrag von 15.000 Euro pro Person. Darüber liegendes Vermögen ist zunächst für den Lebensunterhalt aufzubrauchen, ausgenommen davon ist die Altersvorsorge. Eine geplante „Vertrauenszeit“ von sechs Monaten wurde ebenfalls aus dem Gesetz gestrichen: In dieser Phase sollten ursprünglich keine Sanktionen umgesetzt werden.
sd
www.jobcenter.digital/bürgergeld
27.01.2023