Kann die Lösung des Problems der fehlenden Grundstücke darin liegen, dass künftig Wohnungen in umgebauten Parkhäusern und Neubaublöcke auf ehemaligen Parkflächen entstehen? Der Naturschutzbund (Nabu) ist davon überzeugt. Bundesweit gibt es bereits vielversprechende Pilotprojekte.
Auch wenn es manchen nicht gefällt: Klimakrise und Verkehrswende machen es notwendig, dass Parkplätze zurückgebaut werden. Überdimensionierte Parkflächen oder -häuser, mit denen gerade Großsiedlungen zu Zeiten der Stellplatzpflicht ausgestattet wurden, sind nicht mehr zeitgemäß. Das sei ein riesiges Potenzial für den Neubau, heißt es beim Naturschutzbund (Nabu), der seit Langem fordert, nur noch versiegelte Flächen zu bebauen.
Per Satellitenbilder hat man in Berlin 985 Hektar bebaubarer Fläche ermittelt, der größte Teil davon sind mit 846 Hektar Parkplätze, der Rest einstöckige Supermärkte und andere Gebäude. Das sei Wohnraum für rund 75.000 Menschen – ganz ohne Neuversiegelung und ohne große Schäden am Ökosystem. „Diese Potenziale müssen genutzt werden, statt immer mehr Frei- und Grünflächen dem Neubau zu opfern“, sagt Juliana Schlaberg, Naturschutzreferentin beim Nabu. Immerhin wurde im Koalitionsvertrag das Ziel der Netto-Null-Versiegelung bis zum Jahre 2030 vereinbart. Wie passt das zusammen, wenn gleichzeitig jedes Jahr 20.000 neue Wohnungen gebaut werden sollen?
„Unternutzungen“ beenden?
Die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, an die das Nabu-Positionspapier geschickt wurde, hält die Überbauung von Parkplätzen, Verkehrsanlagen und Supermärkten grundsätzlich für sinnvoll, um eine Neuversiegelung zu vermeiden. Es mache, so deren Sprecher Martin Pallgen, aber auch Sinn, Neu-Versiegelungen an Standorten vorzunehmen, die infrastrukturell gut erschlossen sind. Zum Ausgleich könne man dann Parkplätze, übergroße Verkehrsanlagen oder nicht genutzte Gebäude im Außenbereich entsiegeln. Eine „Unternutzung“ von Baugrundstücken sei ökologisch nicht sinnvoll, so der Sprecher: „Höher und dichter bauen heißt, dass weniger versiegelt werden muss. Jede Unterausnutzung von Grundstücken führt an anderen Stellen zu mehr Flächenverbrauch und zu größerem Druck auf bestehende Wohngebiete.“
Das Argument überzeugt den Nabu nicht, zumal es auch möglich ist, Hochhäuser auf Parkflächen zu bauen. So hat die städtische Wohnungsbaugesellschaft Gewobag 2020 auf einem ehemaligen Parkplatz an der Franz-Klühs-Straße in Kreuzberg ihren Bestand um einen siebengeschossigen Neubau mit 114 Mietwohnungen ergänzt. Gab es keine Proteste aus der Mieterschaft? Immerhin fielen 112 Stellplätze weg. „Wir konnten anfängliche Bedenken entkräften und allen die Möglichkeit anbieten, in einer benachbarten und nicht ausgelasteten Tiefgarage unserer Wohnanlage in der Lindenstraße unterzukommen“, erklärt eine Sprecherin des Wohnungsunternehmens.
Direkt gegenüber, an der Ecke Friedrichstraße, wird seit Jahren um den Abriss eines heruntergekommenen Parkhauses mit anschließendem Neubau gerungen. Der private Eigentümer möchte hier hauptsächlich Büros bauen, die Sanierungsverwaltungsstelle pocht auf einem größeren Anteil an Wohnungen. Absurdität am Rande: Wer in den 1970er Jahren unter den Ersten war, die in die Hochhäuser mit Sozialwohnungen am Mehringplatz eingezogen sind, musste einen Stellplatz mitmieten, ganz gleich, ob ein Auto vorhanden war oder nicht. Später verkam die marode Parkpalette zur Filmkulisse und zum Unterschlupf für Junkies und Obdachlose. Parkhäuser sind generell und besonders bei Frauen unbeliebt, auch weil sie als unsicher empfunden werden. Viele sind daher nicht ausgelastet und unwirtschaftlich.
Doch es muss nicht immer ein Abriss sein, wie das Projekt „Magnus 31“ aus Köln zeigt. Dort wurde vor einigen Jahren ein öffentliches Parkhaus mit 400 Plätzen – von denen die Hälfte trotz City-Lage meist nicht belegt war – in eine Kombination aus Park- und Wohnhaus umgewandelt. 31 Eigentumswohnungen sind entstanden, 250 Parkplätze blieben erhalten, wobei das oberste Parkdeck für die Bewohnerschaft im Haus reserviert ist. Schallschutzfenster schließen den Lärm der Autos aus, die Erschließung erfolgt über ein neu gebautes, separates Treppenhaus. Bei der Optik scheiden sich die Geister. Was für die einen ein architektonischer Hingucker ist und 2017 mit dem Kölner Architekturpreis ausgezeichnet wurde, bezeichnen andere als hässlichen Koloss.
Die ebenerdig verlorene Freifläche wandert aufs Dach
Doch es gibt Beispiele nicht nur aus dem gehobenen Eigentumsbereich. So wurde in München ein öffentlicher Parkplatz mit 100 bezahlbaren Mietwohnungen überbaut. Das Pilotprojekt Dantebad der Münchner Wohnungsbaugesellschaft Gewofag entstand im Rahmen des kommunalen Wohnungsbausofortprogramms „Wohnen für alle“. Es richtet sich speziell an Haushalte mit niedrigem Einkommen. Das fünfgeschossige Gebäude mit überwiegend kleinen Wohnungen wurde in der Rekordzeit von nur 180 Tagen in Holz-Systembauweise errichtet. Die Mietpreise sind mit 9,40 Euro nettokalt pro Quadratmeter für Münchner Verhältnisse sehr günstig, zumal es auch Extras wie eine Gemeinschaftsdachterrasse gibt. Die Belegung erfolgt nach sozialen Aspekten über das Wohnungsamt der Kommune. Es wurden bei dem mehrfach prämierten Objekt fast alle Stellplätze erhalten – in München gibt es, anders als in Berlin, nach wie vor die Pflicht, sie für neu gebaute Wohnungen in einer bestimmten Anzahl nachzuweisen.
Die im Erdgeschoss fehlenden Freiflächen wurden einfach nach oben verlegt, so Dengler – der Dachgarten dort sei zu einer kleinen Oase in der Stadt und einem beliebten Treffpunkt für die Mieterschaft geworden.
Birgit Leiß
Innovativ, aber kostenintensiv: die Schlange
Mit der 1973 bis 1980 entstandenen Autobahnüberbauung Schlangenbader Straße verfügt Berlin über ein weltweit einzigartiges Gebäude. Nach Angaben des Landesdenkmalamtes ist es die einzige Anlage, in der es tatsächlich gelungen ist, einen großstädtischen Verkehrsweg für den Wohnungsbau zu nutzen – und das in geradezu riesigen Ausmaßen.
Das Hauptgebäude, die eigentliche Autobahnüberbauung, ist 600 Meter lang und beherbergt 1064 Wohnungen. Dazu kommen 694 Wohnungen als Randbebauung. Möglich wurde der kühne Entwurf, weil in der Mauer-Stadt West-Berlin Baugrundstücke knapp und die Wohnungsnot groß war. Die Bereitschaft, innovative Modell-Lösungen zu wagen, wurde allerdings erheblich durch üppige Wohnungsbauförderprogramme gesteigert. Die Baukosten waren erheblich, die Kostenmiete musste von 27 DM pro Quadratmeter auf 5,80 DM heruntersubventioniert werden. Aber das war der ganz normale Förderwahnsinn in West-Berlin.
bl
Wohnungen statt Autobahn
Sowohl die A 103 als auch die A 104 am Breitenbachplatz sollen zurückgebaut werden. Das ist im Berliner Koalitionsvertrag festgelegt. Es handele sich um „Relikte der autogerechten Stadt“, die zu städtebaulichen Missständen geführt haben, heißt es bei der Senatsverwaltung für Umwelt, Verkehr und Klimaschutz. Bei der A 104 sind die Planungen für den Rückbau schon weit fortgeschritten. Bereits 2006 wurde sie als Stadtautobahn entwidmet.
Eine Machbarkeitsstudie ist in Arbeit, das Beteiligungsverfahren läuft. Doch für den Architekten- und Ingenieurverein zu Berlin-Brandenburg (AIV) wäre ein Rückbau nur Stückwerk. Statt nur die Autobahnbrücke über dem Breitenbachplatz abzureißen, fordert er gemeinsam mit dem Berliner Senatsbaudirektor a.D. Hans Stimmann und dem ehemaligen CDU-Bundestagsabgeordneten Karl-Georg Wellmann den Abriss der gesamten Trasse, um damit ein Modellprojekt des zukünftigen Stadtumbaus zu realisieren. Unter der Überschrift „Stadt statt A 104“ hat Architekt und AIV-Vorstandsmitglied Robert Patzschke im Juni 2021 einen Entwurf vorgelegt. Demnach könnten 6500 neue Wohnungen entstehen.
Während die A 104 kaum noch eine wichtige Rolle für den Verkehr spielt – die ursprünglich geplante Westtangente wurde nie gebaut – sieht das bei der A 103 nach Ansicht einiger weniger anders aus. Sie sei ein wichtiger Zubringer zur Stadtautobahn, argumentiert der ADAC. Es wird befürchtet, dass im Falle eines Rückstaus die umliegenden Wohnstraßen belastet werden.
bl
27.01.2023