Wer sich die Auswüchse des Berliner Wohnungsmarkts vor Augen führen will, bekommt auf der Vermietungsplattform „Housing Anywhere“ allerhand geboten: armselige Unterkünfte zu Mondpreisen, die wohl allzu oft gegen die Mietpreisbremse und das Zweckentfremdungsverbot verstoßen dürften.
Ari* vermietet eine 39-Quadratmeter-Wohnung in der Wildenbruchstraße für 1890 Euro. Melanie* bietet in der Bornholmer Straße ein WG-Zimmer mit neun Quadratmetern für 709 Euro im Monat an. Gabi* vergibt einen Schlafplatz in einem Achtbettzimmer in der Wilhelminenhofstraße für 425 Euro. Über 1500 solcher Inserate aus Berlin finden sich auf der niederländischen Plattform „www.housinganywhere.com“.
Ari, Melanie und Gabi sind keine Studierenden, die Mitbewohner:innen suchen. Sie inserieren jeweils mehr als ein Dutzend Unterkünfte. Wer sich hinter den Vornamen verbirgt, kann man auf Housing Anywhere nicht erkennen. Die Kontaktdaten erhält man erst nach Abschluss der Buchung. Besichtigungen finden generell nicht statt. Sollte die Unterkunft nicht der Beschreibung im Internet entsprechen, kann man innerhalb von 48 Stunden nach dem Einzug zurücktreten und bekommt – so wird es zumindest versprochen – die erste Monatsmiete zurück, die Servicegebühr, die Housing Anywhere von den Mietinteressent:innen erhebt, aber nicht. Sie beträgt 25 Prozent einer Monatsmiete, mindestens 165 Euro.
„Höchst unseriös“ nennt Wibke Werner, Geschäftsführerin des Berliner Mietervereins (BMV), diese Praxis. Ihrer Einschätzung nach entspricht die Rolle von Housing Anywhere – auch wenn die Plattform betont, „kein Vermittler“ zu sein – der eines Maklers. Damit wäre die Servicegebühr eigentlich eine Maklerprovision, die Mietende nicht zahlen müssen, wenn jemand anderes die Vermittlung beauftragt hat. Problematisch sei auch die Zahlung der ersten Miete an das Portal. Wenn die Weiterleitung an die Vermieter:innen nicht klappt, geraten die Mieter:innen in Zahlungsverzug.
Bei vielen Angeboten liegt der Verdacht nahe, dass gegen das Zweckentfremdungsverbot verstoßen wird und die Unterkünfte verkappte Ferienwohnungen sind. In den meisten Inseraten wird zwar ein „Mindestaufenthalt“ von drei, vier oder sechs Monaten angegeben, nach regulären Wohnverhältnissen sehen die Angebote aber selten aus.
Die verlangten Preise überschreiten die Grenze der Mietpreisbremse (10 Prozent über der ortsüblichen Vergleichsmiete) bei Weitem – mit welcher Begründung wird aus den Inseraten nicht klar. Die gebräuchliche – man beruft sich auf die „Anmietung zum vorübergehenden Gebrauch“ – dürfte nach Ansicht des BMV hier vorgeschoben sein. Weil aber fast alle angebotenen Wohnungen möbliert sind und der Möblierungszuschlag schwer zu beziffern ist, lässt sich die Einhaltung der Mietpreisbremse schwerlich durchsetzen. Die Rechtsunkenntnis der meist ausländischen Wohnungssuchenden wird hier offenbar bewusst ausgenutzt. „Das Geschäftsmodell ist Abzocke“, so Wibke Werner.
Jens Sethmann
* Namen von der Redaktion geändert
24.02.2023