Berlin steuert nach der Wiederholungswahl auf Schwarz-Rot zu. Welche Auswirkungen hätte dieser Richtungswechsel in der Landespolitik auf die Mieterinnen und Mieter? Was passiert mit dem erfolgreichen Volksentscheid „Deutsche Wohnen & Co enteignen“?
Nach der Wiederholungswahl hat sich die SPD-Spitze entschlossen, die Senatskoalition mit Grünen und Linken nicht fortzuführen, sondern stattdessen für einen „Neustart“ mit der Wahlsiegerin CDU über eine Regierungsbildung zu verhandeln. Nach dem Zeitplan der beiden Parteien wollen sie ihren Koalitionsvertrag bis zum 1. April fertigstellen. Anschließend muss die Vereinbarung von den SPD-Mitgliedern und von einem CDU-Parteitag abgesegnet werden.
Wird die SPD-Basis mitspielen?
In der SPD gab es schon gleich nach dem Beschluss, mit der CDU in Koalitionsverhandlungen zu treten, Unmut. Die Bezirksverbände von Neukölln, Steglitz-Zehlendorf und Mitte sowie die Jusos sprachen sich dagegen aus. Die Entscheidung bedeutet, dass die SPD ihre durch die Nachwahl geschwächte Führungsposition in einer rot-grün-roten Koalition aufgibt und der erst vor eineinhalb Jahren vereinbarten sozial und ökologisch progressiven Politik eine Absage erteilt, um stattdessen als Juniorpartner den konservativen Kurs der CDU mitzutragen. Angesichts dieser Konstellation ist die Zustimmung der SPD-Parteibasis alles andere als sicher.
In den Sondierungsgesprächen haben sich CDU und SPD im Bereich Wohnungsbau und Mieten auf wenig Neues festgelegt. Am Ziel, jährlich 20.000 Wohnungen zu bauen, will man festhalten. Man möchte für eine Verschärfung der Mietpreisbremse und „weitere Maßnahmen zum Schutz von Mieterinnen und Mietern und zur Mietpreisregulierung“ eintreten. Landeseigene Liegenschaften sollen weiterhin nicht privatisiert werden. Dem Volksentscheid „Deutsche Wohnen & Co enteignen“ wollen CDU und SPD durch „die Entwicklung eines Vergesellschaftungsrahmengesetzes und den weiteren Ankauf von Wohnungsbeständen für die kommunale Hand“ Rechnung tragen – vorausgesetzt die vor einem Jahr eingesetzte Expertenkommission gibt ein Votum pro Vergesellschaftung ab. Der SPD-Parteitag hatte noch im Juni 2022 beschlossen, es solle in diesem Falle „schnellstmöglich ein Gesetz zur Umsetzung erarbeitet werden“.
Was in dem nun geplanten Vergesellschaftungsrahmengesetz stehen wird, bleibt nebulös. Cansel Kiziltepe, SPD-Verhandlungsführerin im Bereich Stadtentwicklung, Bauen und Wohnen, will diese Frage nicht vor Fertigstellung des Koalitionsvertrags beantworten. Die Noch-Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey bringt wenig Licht ins Dunkel. „Wir haben ganz klar gesagt: keine Enteignung“, so die SPD-Landeschefin. Die Vergesellschaftung müsse in dem nun ins Auge gefassten Rahmengesetz rechtssicher geregelt werden. „Also nicht eine pauschale Vergesellschaftung von denjenigen, die eine bestimmte Wohnungszahl haben, sondern einzelfallbezogen“, so Giffey. Damit würde sie die Debatte wieder von vorn beginnen – es müssten völlig neue Kriterien für eine Vergesellschaftung festgelegt werden. Da auch die CDU grundsätzlich gegen die Vergesellschaftung ist, dürfte sich das Vergesellschaftungsrahmengesetz als Vergesellschaftungsverhinderungsgesetz entpuppen.
Volksentscheid: CDU und SPD einig gegen Wählervotum
Beim Volksentscheid am 26. September 2021 haben sich 59,1 Prozent der Abstimmenden dafür ausgesprochen, profitorientierte Wohnungsunternehmen mit mehr als 3000 Wohnungen in Gemeineigentum zu überführen. Ein nun ins Auge gefasster Ankauf von Wohnungen wäre etwas anderes als die geforderte Vergesellschaftung. Gisèle Beckouche, Sprecherin der Initiative „Deutsche Wohnen & Co enteignen“ sagt zum angekündigten Rahmengesetz: „Das ist juristischer Quatsch und politische Verarsche.“ Die Linke-Landesvorsitzende Katina Schubert prophezeit, die Vergesellschaftung großer Wohnungskonzerne bekäme „eine Beerdigung erster Klasse“.
Ungeachtet des Koalitionspokers arbeitet die Expertenkommission zur Umsetzung des Volksentscheids weiter. Ende Februar wurden in öffentlicher Sitzung Fachleute zu der Frage angehört, wie die vergesellschafteten Wohnungsbestände dauerhaft als Gemeineigentum gesichert werden können. Die Enteignungsinitiative schlägt eine Anstalt öffentlichen Rechts (AöR) namens „Gemeingut Wohnen“ vor. Eine AöR ist eine Betriebsform, die wie die BSR oder die BVG direkt im Eigentum des Landes Berlin steht und keine Gewinne machen muss. „Die AöR ist eine passende Form, um eine große Zahl von Wohnungen zu übernehmen“, erklärt Niklas Stoll von der Initiative.
Die Expertenkommission will im Mai ihre Arbeit abschließen. Schon ihr Zwischenbericht vom Dezember deutete darauf hin, dass sie eine Vergesellschaftung unterhalb des Verkehrswerts für möglich hält.
Wie es der angehende Senat mit der direkten Demokratie hält, zeigt sich indessen auch an anderer Stelle. Der Regierende Bürgermeister in spe Kai Wegner brachte erneut eine Randbebauung des Tempelhofer Feldes ins Spiel. 2014 hat ein Volksentscheid zwar mit beeindruckenden 64,3 Prozent ein Gesetz zur vollständigen Freihaltung der ehemaligen Flughafenfläche beschlossen, doch Wegner möchte offenbar nun über die nicht totzukriegende Forderung der Betonfraktion einen neuen Volksentscheid herbeiführen. Dazu müsste aber erst einmal eine Volksinitiative mit Unterschriftensammlungen gestartet werden, denn eine Volksbefragung „von oben“ sieht die Berliner Verfassung nicht vor.
Hinter den Kulissen wurde schon vor Beginn der Koalitionsverhandlungen um Senatorenposten gefeilscht. Die CDU gesteht der SPD die Hälfte der Senatssitze zu. SPD-Stadtentwicklungssenator Andreas Geisel hat geringe Chancen auf einen Verbleib, obwohl er sein Amt durchaus im Geist der CDU geführt hat. Die Christdemokraten machen Geisel als damaligen Innensenator für das Scheitern der Wahlen im September 2021 verantwortlich.
Franziska Giffey werden Ambitionen auf das Stadtentwicklungsressort nachgesagt. Sie hatte bereits als Regierende den Wohnungsbau zur Chefinnensache erklärt. Herausgekommen ist dabei allerdings nur ein unverbindliches „Bündnis für Wohnungsneubau und bezahlbares Wohnen“, das bislang wirkungslos blieb.
Der Berliner Mieterverein erwartet von Schwarz-Rot wenig Gutes: „In der kommenden Koalition wird es keine Fraktion geben, die der Immobilienwirtschaft ernsthaft die Stirn bietet“, sagt Geschäftsführerin Ulrike Hamann. „Und wenn es kein Korrektiv in der Regierung gibt, werden Mieterinnen und Mieter dem Immobilienmarkt weiterhin überwiegend schutzlos ausgeliefert sein.“
Jens Sethmann
Rahmengesetz – was soll das sein?
Rahmengesetze gibt es eigentlich nur auf Bundesebene. Mit ihnen regelt der Bund die wesentlichen Grundzüge eines Rechtsbereichs, der in die Gesetzgebungskompetenz der Länder fällt. Der Bund setzt also den Rahmen fest, den die Länder mit Detailregelungen ausfüllen können. Die bekanntesten Rahmengesetze sind das Beamtenrechtsrahmengesetz und das Hochschulrahmengesetz. Damit werden in groben Zügen bundesweit einheitliche Regelungen festgelegt, ohne die Länderhoheit einzuschränken. Mit der Föderalismusreform von 2006 wurden die Kompetenzen zwischen Bund und Ländern neu verteilt, so dass es keiner Rahmengesetze mehr bedarf.
Auf Berliner Ebene ergibt so ein Rahmengesetz keinen Sinn, weil es keine untergeordnete Instanz gibt, die Details festlegen könnte. Sowohl ein Vergesellschaftungsrahmengesetz als auch das eigentliche Vergesellschaftungsgesetz muss das Abgeordnetenhaus beschließen. Mit einem Rahmengesetz würde sich ein schwarz-roter Senat also um das konkrete Gesetz, das die Vergesellschaftung umsetzen soll, herumdrücken.
js
Expertenkommission zur Vergesellschaftung:
www.berlin.de/kommission-vergesellschaftung/
Konzept der Initiative „Deutsche Wohnen & Co enteignen“ zur AöR:
https://dwenteignen.de/aktuelles/neuigkeiten/broschuere-gemeingut-wohnen
24.03.2023