Im Zuge der Energiekrise ist immer wieder von Fernwärme die Rede. Was versteht man darunter eigentlich genau? Was sind die Vorteile dieser Versorgungsform und wie sieht es in Berlin mit der Fernwärmeanbindung aus? Wir haben einen Experten gefragt. Florian Munder ist Referent für Gasmarkt, Fernwärme und Energieverbraucherrechte beim Verbraucherzentrale Bundesverband.
Herr Munder, was genau ist Fernwärme?
Fernwärme bedeutet, dass in einem Gebäude keine eigene Wärmeerzeugung, wie zum Beispiel eine klassische Heizungsanlage, installiert ist. Stattdessen erfolgt die Wärmeerzeugung zentral in Heizkraftwerken. Dort verbrennen verschiedene Energieträger wie Gas, Biogas, Öl oder sogar Müll und erhitzen Wasser. Das heiße Wasser gelangt über unterirdische Rohrleitungen in die Stadt und zu den einzelnen Gebäuden. Über eine Wärmeübergabestation wird dann der Heiz- und Warmwasserkreislauf im Gebäude erhitzt. Das ist die grundlegende Technologie hinter Fernwärme.
Wie verbreitet ist diese Technologie hierzulande?
Insgesamt werden deutschlandweit 14 Prozent der Haushalte mit Fernwärme versorgt. Wärmenetze sind allerdings nicht gleichmäßig überall verfügbar. Zum einen gibt es eine regionale Konzentration im Norden und Osten von Deutschland, zum anderen ist Fernwärme generell eher in den Städten als auf dem Land zu finden. So ist der Anteil von Fernwärme an der Wärmeversorgung in Berlin mit 28 Prozent doppelt so hoch wie im Bundesschnitt. Gas dominiert derzeit als Energieträger. Oft handelt es sich bei den Kraftwerken um gasbefeuerte Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen (KWK-Anlagen). Was viele nicht wissen: Die Anlagen produzieren neben Wärme auch Strom als Nebenprodukt.
Was sind die Vorteile von Fernwärme als Form der Wärmeversorgung?
Die liegen auf der Hand: Eigentümer:innen brauchen keine eigene Heizungsanlage im Gebäude, sondern können ihre Häuser einfach an das Fernwärmenetz anschließen lassen. Dadurch entfallen sowohl der jährliche Einkauf von Energieträgern, wie zum Beispiel Öl, als auch die Wartungsarbeiten. Zudem muss der Schornsteinfeger die Anlage nicht jährlich prüfen. Fernwärme ist eine direkte Wärmelieferung und daher eine Schlüsseltechnologie, die es ermöglicht, viele Haushalte mit Wärme zu versorgen. Insbesondere in Städten wie Berlin ist dies sehr effizient.
Welche Nachteile gibt es?
Obwohl Verbraucher:innen auch bei dezentraler Strom- und Gasversorgung keinen direkten Einfluss auf die Preisgestaltung haben, können sie zumindest den Anbieter wechseln, wenn sie mit ihrem Anbieter unzufrieden sind. Bei Preiserhöhungen besteht eine Mitteilungspflicht und Verbraucher:innen können ein Sonderkündigungsrecht in Anspruch nehmen. Bei Fernwärme hat das Versorgungsunternehmen eine Monopolstellung, weshalb Verbraucher:innen den Gebaren des Versorgers in gewisser Weise ausgeliefert sind. Aufgrund der langen Laufzeit – in der Regel zehn Jahre – werden die Preise im Rahmen von Formeln, den sogenannten Preisgleitklauseln, automatisch angepasst. Ändert sich beispielsweise die Kostenstruktur für den Fernwärmebetreiber, etwa weil bei einem gasbefeuerten Kraftwerk die Gaspreise steigen, gibt das Versorgungsunternehmen die Preissteigerungen automatisch an die Verbraucher:innen weiter. Meist geschieht dies ohne vorherige Ankündigung, da keine Mitteilungspflicht besteht, die Verbraucher:innen bekommen dies erst im Rahmen der jährlichen Abrechnung mit. Darüber hinaus sind diese Formeln oftmals kompliziert und selbst für Fachleute nur schwer nachzuvollziehen. Durch den fehlenden Wettbewerb und den Mangel an Transparenz ist die Position der Verbraucher:innen bei der Fernwärme deutlich schwächer als bei Strom- und Gas, was wir als Verbraucherzentrale Bundesverband seit langem kritisieren.
Für wen ist Fernwärme geeignet?
Fernwärme eignet sich insbesondere für städtische Gebiete, da sie im Kontext einer fossilfreien und CO2-neutralen Wärmeerzeugung eine gute Lösung darstellt. Der Austausch einzelner Heizungsanlagen in den Kellern der Menschen ist eine Mammutaufgabe – bei Fernwärme müssen wir nur die Kraftwerke, die an das Fernwärmenetz angeschlossen sind, dekarbonisieren. In den vergangenen Jahren wurden Kohlekraftwerke bereits durch Gaskraftwerke ersetzt. Der nächste Schritt ist, diese Gaskraftwerke mittelfristig durch Biomasse und Groß-Wärmepumpen zu ersetzen sowie unvermeidbare industrielle Abwärme verstärkt zu nutzen. Da Abwärme als erneuerbare Energie gilt und bisher größtenteils verpufft, ist eine stärkere Einbindung in die Fernwärmenetze erstrebenswert.
Fernwärme ist also eine zentrale Technologie bei der Wärmewende?
Richtig, insbesondere in städtischen Gebieten wie Berlin. Die Bundesregierung betrachtet Fernwärme als einen wichtigen Baustein für die zukünftige Energieversorgung. Während Wärmepumpen eine wichtige Rolle bei der Wärmewende für Ein- und Zweifamilienhäuser auf dem Land spielen, sind sie in dicht bebauten städtischen Gebieten nicht immer die geeignete Lösung. In solchen Gebieten, wo es teurer und komplizierter ist, Gebäude mit Wärmepumpen auszustatten, bietet sich der Anschluss an das Fernwärmenetz als effiziente Alternative an.
Was ist der Unterschied zur Nahwärme?
Der Unterschied ist in der Verordnung über Allgemeine Bedingungen für die Versorgung mit Fernwärme – kurz AVB Fernwärme V – nicht trennscharf geregelt. Zumeist handelt es sich bei Nahwärmenetzen um Wärmelösungen für kleinere Quartiere, angeschlossen an Blockheizkraftwerke. Zukünftig sollen auch diese Nahwärmenetze eine größere Rolle für die Wärmewende spielen, beispielsweise wenn naheliegende Industrie oder Rechenzentren Abwärme produzieren oder in den Kraftwerken alternative Brennstoffe wie Holzhackschnitzel und Biogas zum Einsatz kommen. Nahwärmenetze werden auch als lokale Fernwärmenetze bezeichnet.
Können wir in Berlin mit einem größeren Fernwärmeangebot rechnen?
Langfristig schon. Berlin verfügt über das größte Fernwärmenetz in Westeuropa, und es ist geplant, dieses in den kommenden Jahren weiter auszubauen. Dieser Ausbau bringt jedoch große Herausforderungen mit sich, da der Ersatz des bestehenden Kraftwerkparks, der das Fernwärmenetz speist, hohe Investitionen erfordert. Um dies zu unterstützen, hat der Bund ein spezielles Förderprogramm für die Dekarbonisierung der Wärmenetze ins Leben gerufen.
Im vergangenen Oktober bekundete der Berliner Senat Interesse an der Übernahme des Fernwärmegeschäfts von Vattenfall und einer Mehrheitsbeteiligung an der Gasag. Ergeben sich durch die Rekommunalisierung Chancen?
Aus politischer Perspektive könnten mit einer Rekommunalisierung mehr Einflussmöglichkeiten entstehen, ähnlich wie bei der Gründung der Berliner Stadtwerke im Bereich Strom. Diese größere Kontrolle könnte es ermöglichen, die Energiewende stärker voranzutreiben, indem politische Entscheidungen den Prozess zur Nutzung erneuerbarer Energien steuern und festlegen, wie viel Rendite der Unternehmen in den Landeshaushalt fließen soll.
Und was haben die Verbraucher:innen davon?
Was die Preisgestaltung betrifft, gibt es keine Garantie dafür, dass kommunale Stadtwerke unbedingt das höchste Level an Verbraucherschutz bieten. Sowohl bei privaten als auch bei kommunalen Versorgungsunternehmen gibt es aus unserer Sicht mehr oder weniger begrüßenswerte Praktiken.
Was muss passieren, damit Fernwärme zu einer attraktiven Lösung für alle Beteiligten wird?
Wir als Verbraucherzentrale Bundesverband betrachten die Fernwärme als eine Technologie mit hohem Potenzial für die Energiewende. Jedoch sollte dies Hand in Hand mit einer Verbesserung der Verbraucher:innenrechte gehen, um Fernwärme für immer mehr Eigentümer:innen und Mieter:innen attraktiv zu machen. In bestimmten Gebieten gibt es einen sogenannten Anschluss- und Benutzungszwang, bei dem Verbraucher:innen keine Möglichkeit haben, aus Fernwärmeverträgen auszusteigen. Wir sehen diese Situation nicht als idealen Weg, um die Fernwärme auszubauen. Stattdessen sollte Fernwärme verbraucherfreundlich sein und bezahlbare Konditionen bieten, um für viele Menschen eine attraktive Technologie zu sein.
Vielen Dank für das Gespräch!
Das Interview führte Franziska Schulte
19.04.2023