Große Immobilienkonzerne stecken in der Krise – die Zinswende zerstört ihr bisheriges Geschäftsmodell, das auf rasante Expansion durch billige Kredite setzt und die laufenden Einnahmen als Dividende an Aktionäre ausschüttet. Wir haben einen Blick in den Geschäftsbericht von Deutschlands größtem Immobilienkonzern Vonovia geworfen. Über die Gefahren der Spekulation mit Wohnraum an den Finanzmärkten und die Folgen für Mieter:innen.
Temporär müsse man die Investitionsstrategie anpassen, schreibt der Vorstandsvorsitzende von Vonovia im Geschäftsbericht 2022, doch mittel- und langfristig „verstärkt das neue Umfeld die Megatrends, die unser Geschäft treiben“. Mit den beiden Megatrends sind Wohnungsnot und Erderwärmung gemeint – zwei Krisen, aus denen das börsennotierte Unternehmen hofft, Profit schlagen zu können. Hinter der „temporären Anpassung der Investitionsstrategie“ hingegen, die auch eine Halbierung der Dividende an die Aktionär:innen umfasst, versteckt sich nicht weniger als der Zusammenbruch von Vonovias bisherigem Geschäftsmodell: rasante Expansion, ermöglicht durch massive Verschuldung bei niedrigen Zinsen, während der Großteil der laufenden Einnahmen als Dividende an die Aktionär:innen floss.
Die mehrfache Anhebung des Leitzinses durch die Europäische Zentralbank (EZB) seit Juni 2022 als Reaktion auf die steigende Inflation hat schwerwiegende Folgen für die finanzialisierte Immobilienwirtschaft, die bisher von billigen Krediten gelebt hat. Auch Vonovia muss jetzt auf andere Weise für Liquidität sorgen, um fällige Kredite zu bedienen, den eingebrochenen Aktienkurs zu stabilisieren und das Vertrauen der Finanzmärkte wiederherzustellen. Ihr Weg: erhöhter Druck auf Mietende.
Steigende Zinsen…
Der Fokus der Immobilienwirtschaft hat sich immer mehr von der Bereitstellung von Wohnraum zur maximalen Profiterzielung durch Handel und Vermietung verschoben; immer größere Aktiengesellschaften bestimmen den Markt. Deutschlands größter Wohnungskonzern finanzierte den Expansionskurs und nicht zuletzt auch die Übernahme der Deutsche Wohnen größtenteils mit billigen Krediten – und nicht mit laufenden Einnahmen aus der Vermietung von Wohnungen oder Dienstleistungen der eigenen Tochtergesellschaften. Der Mangel an Wohnraum sorgte für eine Explosion der Miet- und Immobilienpreise, weshalb das Unternehmen seit dem Börsengang 2013 bei einer Verdreifachung des Immobilienbestandes seinen Wert fast verzehnfachen konnte.
Doch seitdem die EZB die seit der Finanzkrise geltende Nullzinspolitik jäh beendet und den Leitzins innerhalb nicht mal eines Jahres wieder auf 3,5 Prozent angehoben hat, kann Vonovia die für die bisherige Expansion aufgenommenen Schulden nicht länger mit weiteren billigen Krediten begleichen. Jetzt geht es vermehrt an die laufenden Einnahmen. Die Folgen spüren nicht nur Aktionär:innen – ihre Dividende fällt kleiner aus –, sondern auch die Mieter:innen: Es fehlt Geld für Investitionen, im Bereich der Instandhaltung hatte sich das Unternehmen auch in den Jahren zuvor nicht sonderlich hervorgetan. Den dringend benötigten Wohnungsneubau wird Vonovia in Zukunft komplett einstellen.
Steigende Zinsen und Inflation haben auch drastische Auswirkungen auf den Wert von Vonovias Immobilienbestand. Nach internationalen Bewertungsstandards kann eine Zinserhöhung um 0,25 Prozentpunkte bereits zu einer Herabstufung des Unternehmenswertes in Milliardenhöhe führen. Damit es nicht dazu kommt, will Vonovia einzelne Objekte zu den aktuell noch hohen Preisen verkaufen, um so seinen Wert für die Märkte zu bestätigen. Für Berlin wird das vermutlich nicht zutreffen – die Hauptstadt ist ein sogenannter „Core“-Bereich und birgt offenbar weiterhin viel Gewinnpotenzial.
… sinkende Erwartungen
Sollte diese Strategie nicht gelingen und es zu einer starken Abwertung von Vonovia kommen, könnte das fatale Folgen haben. Eine Minderung der Vermögenswerte schränkt die Möglichkeit zur Aufnahme neuer Kredite ein. Der Aktienkurs zeugt bereits von einem schwindenden Vertrauen der Märkte in die weiterhin hohe Bewertung des Unternehmens. Folgte der Preis der Vonovia-Aktie in der Vergangenheit grob dem Vermögenswert, so hat sich diese Verbindung nun getrennt: Seit Februar 2022 hat die Aktie mehr als die Hälfte an Wert verloren. Ein Beleg dafür, wie abhängig die Immobilienwirtschaft von der Stimmung an den Finanzmärkten ist und dabei losgelöst von den Bedürfnissen der Gesellschaft handelt.
Dividende runter, Verkauf rauf
Die erste Reaktion von Vonovia auf die desolate Lage ist der Verzicht auf weitere Expansion durch Ankauf oder Neubau. Die Halbierung der Dividende ist eine zweite direkte Maßnahme. Eine Fortsetzung der bisherigen Ausschüttungsquote von 70 Prozent der Gewinne würde das Fortbestehen des Unternehmens gefährden. Künftig werden Kredittilgungen in Höhe von drei bis fünf Milliarden Euro jährlich fällig. Um diese bedienen zu können und die Vermögenswerte zu bestätigen, plant Vonovia den Verkauf verschiedener Segmente des Immobilienbestands. Der Fokus liegt auf Objekten im „Non-Core“-Bereich – übersetzt: nichtstrategische Bestände und Regionen, gemeinhin Immobilien in mäßigem Zustand oder weniger nachgefragten Regionen, mit hohen Unterhaltskosten oder ohne Aussicht auf profitable Modernisierung.
Zudem verhandelt Vonovia laut eigenen Angaben mit verschiedenen SPD-geführten Kommunen. Diese sind am Kauf von Häusern mit rebellischen Mieter:innen und hohem symbolischen Wert interessiert. In Berlin scheint die neue Schwarz-Rote Koalition die per Volksentscheid beschlossene Enteignung von Immobilienkonzernen zu einem großen Ankaufprogramm ummünzen zu wollen. Davon profitieren die Immobilienunternehmen: Zuletzt nahm der Rot-Rot-Grüne Senat der Vonovia die Last tausender schlecht instandgehaltener Wohnungen mit vielen organisierten Mieter:innen ab – zu Marktpreisen.
Profit durch Betriebskosten
Womit Vonovia tatsächlich selbst einen „Mehrwert“ generiert, ist der Dienstleistungsbereich: Als Muttergesellschaft verfügt sie über unzählige Subunternehmen, die Services wie Hausmeisterdienste, Instandsetzung oder auch Energieversorgung anbieten, und kauft diese Dienstleistungen meist teurer als zu üblichen Marktpreisen praktisch von sich selbst. Die Bewirtschaftungskosten konnte Vonovia seit 2013 kontinuierlich auf aktuell nur circa ein Viertel der Mietpreise senken (Vonovia Geschäftsbericht 2022). Einsparungen durch das Inside-Outsourcing an die eigenen Subunternehmen gibt Vonovia nicht an die Mieter:innen weiter – sie fließen als Gewinn an die Muttergesellschaft. Eine Überprüfung ist für Mieter:innen schwierig, weiß BMV-Geschäftsführerin Ulrike Hamann: Fordern sie Belege zur Prüfung an, schickt Vonovia häufig eine Masse an nicht zu gebrauchenden Dokumenten. Eine Taktik, die Mietende einschüchtert und Kapazitäten der Anwälte bindet.
Um an Geld zu kommen, setzt Vonovia darüber hinaus auf Joint Ventures mit langfristigen Investitionsgesellschaften wie Rentenfonds oder Versicherungen. Ende März gab das Unternehmen den ersten Deal bekannt: Der US-Investor Apollo erwarb Beteiligungen im Wert von rund einer Milliarde Euro. Der Vonovia-Aktienkurs kletterte anschließend etwas nach oben.
Hilfe vom Staat
Laut Vonovia-Vorstand sind Krisen wie Wohnungsnot und Erderwärmung nicht ohne privates Kapital zu lösen, weshalb sich der Konzern für umfassende Förderungen für energetische Sanierung stark macht. Klimaschutz scheint hier allerdings nur Mittel zum Zweck zu sein, um wieder an günstige Kredite zu gelangen.
Auf staatliche Hilfe der anderen Art kann Vonovia auch an weiterer Stelle hoffen: Die Bundesregierung will die Modernisierungsumlage trotz Ausweitung der Förderungen aktuell weder senken noch abschaffen, was Vonovia und anderen Vermieter:innen weiterhin die Möglichkeit zur Mietsteigerung über diesen Weg gibt. Im vergangenen Jahr konnte Vonovia die Mieteinnahmen um 3,3 Prozent steigern. Diesen Wert zu übertreffen, ist für das Unternehmen nun noch wichtiger – in der nächstes Jahr fälligen Neuauflage des Mietspiegels in Berlin sieht das Unternehmen große Potenziale (Vonovia Geschäftsbericht 2022) für Mieterhöhungen. Um die hohen Mieten auch langfristig zu realisieren, spricht sich der Konzern für mehr Wohngeld und höhere Löhne aus.
Zukunft für Vonovia?
Ob die Herausforderung für Vonovia tatsächlich kurzfristig, die Anpassung der Investitionsstrategie temporär bleibt, wird sich zeigen. Laut eigenen Angaben konnte das Unternehmen mit dem Joint-Venture-Deal und einem weiteren Verkauf in Höhe von 560 Millionen Euro die Refinanzierung für 2023 und einen Teil von 2024 sichern. Der Verkaufspreis lag allerdings unter den für die Berechnung der Vermögenswerte geschätzten Buchwerten, die seit Jahresbeginn ohnehin weiter gesunken sind.
Auch im Neubau- und Dienstleistungssektor sind die Einnahmen rückläufig, lediglich bei der Vermietung erzielt Vonovia weiterhin Zuwächse – für Mietende stehen die Zeichen also auch weiterhin nicht auf Entlastung.
Weder die im Bund noch im Berliner Senat regierenden Parteien haben offenkundig ein Interesse daran, der finanzialisierten Immobilienwirtschaft einen Riegel vorzuschieben oder den „Megatrend“ Wohnungsnot durch ein ambitioniertes Neubauprogramm zu schwächen. Der Bund will nicht selbst als Bauherr tätig werden, die neue Schwarz-Rote Koalition in Berlin den Vergesellschaftungsvolksentscheid nicht umsetzen, obwohl die von der Immobilienwirtschaft als Verhandlungsgrundlage für die Höhe der Entschädigung angeführten Marktwerte durch die Krise möglicherweise in Frage stehen wie nie zuvor.
Die aktuelle Situation und die Unwilligkeit der Immobilienkonzerne, für dringend nötigen Neubau, Modernisierungen und bezahlbaren Wohnraum zu sorgen, verdeutlicht abermals, dass die oft beschworene Partnerschaft mit der Privatwirtschaft niemandem dient außer den spekulativen Geschäftsmodellen. Deshalb muss der Wohnungssektor unter demokratischer Kontrolle stehen. Wohnungen gehören nicht an die Börse. Doch mit der neuen Berliner Regierung hat die Vonovia vermutlich einen verlässlichen Partner, zumindest bekommt die CDU laut dem Magazin Spiegel fast 80 Prozent ihrer Großspenden aus der Immobilienwirtschaft.
Ein Diskussionsbeitrag von Moritz Lang
Quellen
- Vonovia Rendite mit den Nebenkosten
- Vonovia Geschäftsbericht 2022
- Parteienfinanzierung Immobilienbranche spendet großzügig an CDU und FDP
19.05.2023