Trotz einer klaren Mehrheit gegen eine Bebauung des Tempelhofer Feldes im Volksentscheid von 2014 hat sich die neue Regierungskoalition aus CDU und SPD auf eine Randbebauung geeinigt. Wir haben mit Mareike Witt von der Initiative 100% Tempelhofer Feld gesprochen, um den Plan aus der Perspektive der Volksentscheidinitiator:innen einzuordnen.
Diskussionen um das Tempelhofer Feld gibt es nicht erst seit gestern. Bereits am 25. Mai 2014 fand ein Volksentscheid über den Entwurf des Gesetzes zum Erhalt des Tempelhofer Feldes (ThF-Gesetz) statt. Der Gesetzesvorschlag beinhaltete neben der Untersagung einer Bebauung insbesondere die Verpflichtung an das Land Berlin, die Fläche nicht zu verkaufen und stattdessen als öffentliches Freizeit- und Erholungsgebiet zu erhalten.
Eine Mehrheit der Wähler:innen stimmte gegen eine Bebauung: 739.124 Berliner:innen und damit 64,3 Prozent waren für das von der Initiative vorgeschlagene Gesetz, 35,6 Prozent dagegen. Zusätzlich gestärkt wurde das Ergebnis durch die mehrheitliche Ablehnung eines alternativen Gesetzentwurfs vom damaligen rot-schwarzen Senat, der eine Randbebauung vorsah.
Trotz dieser Entscheidung und des Inkrafttretens des ThF-Gesetzes nehmen die Debatten um die Fläche bis heute kein Ende. Besonders der Mangel an verfügbaren Grundstücken für bezahlbaren Wohnraum sowie die Vermutung, dass sich die Mehrheiten in der Bevölkerung aufgrund der Berliner Wohnungsnot zugunsten einer Bebauung verschoben haben, bringen das Thema erneut auf die politische Agenda. Das Ziel: eine Änderung des bestehenden Gesetzes mit der Möglichkeit einer Randbebauung entgegen der damaligen Entscheidung der Bevölkerung. Rechtlich hätte das Abgeordnetenhaus sogar die Möglichkeit, das Gesetz – genauso wie jedes andere – mit einer einfachen Mehrheit zu ändern.
Liebe Mareike Witt, eure Initiative 100% Tempelhofer Feld war Initiatorin des Volksentscheids. Wie bewertet ihr, dass die neue Regierung aus CDU und SPD die Randbebauung des Tempelhofer Feldes ermöglichen will?
Unsere Verwunderung hält sich in Grenzen. Berlin hat ein riesiges Mietenproblem. Doch das wird mit einer Bebauung des Tempelhofer Feldes nicht gelöst. Dort kann nicht preiswert gebaut werden, allein schon, weil die notwendige Infrastruktur an den geplanten Randgebieten fehlt – darunter fallen zum Beispiel (Ab-)Wasser- und Stromleitungen. Es ist viel kostengünstiger, auf erschlossenen und versiegelten Flächen zu bauen. Der Stadtentwicklungsplan Wohnen (StEP Wohnen 2030) weist für knapp 200.000 Wohnungen Baulandpotenziale aus. Die sind noch lange nicht gebaut. Warum jetzt stattdessen diese weltweit einmalige Freifläche bebaut werden soll, erschließt sich uns weder aus ökologischer Perspektive noch mit Blick auf die soziale Flächengerechtigkeit.
Wenn auf dem Tempelhofer Feld günstige Wohnungen entstehen sollen, müssten die hohen Kosten querfinanziert werden, zum Beispiel über Mietsteigerungen in anderen Beständen der dort bauenden Wohnungsunternehmen. Oder es wird am Ende eben doch zumindest ein Teil der Wohnungen zu hohen Preisen angeboten. Herr Gaebler von der SPD, der im neuen Senat für Stadtentwicklung, Bauen und Wohnen zuständig ist, sagte kürzlich in einem Interview mit der Morgenpost, dass Berlin auch teure Wohnungen brauche. Ist das Satire oder reitet er immer noch auf dem berühmten Sickereffekt herum, der nie eingetreten ist?
Die Berliner CDU bekommt ihre größten Parteispenden aus der Immobilienwirtschaft. Bei der SPD sieht das nicht viel anders aus. Wer beißt schon die Hand, die einen ernährt? Die SPD ist seit über 30 Jahren in der Regierung und wohl längst mit dem Immobilienfilz verwoben. Leitungsebenen mit entsprechenden Parteibüchern sind in der Immobilienwirtschaft keine Seltenheit. Es sind genau diese Parteien, die seit Tag eins nach dem Volksentscheid das Ergebnis permanent anzweifeln.
Was habt ihr denn vor, wenn sie den Plan wirklich umsetzen?
Wenn es dazu kommt, müssen wir ein Konzept entwickeln, um die Besucher:innenströme des Tempelhofer Feldes umzuleiten. An einem schönen Sonntag kommen dort über 70.000 Menschen zusammen, und irgendwo müssen die Menschen ja hin. Da werden wir ganz schön was zu tun haben.
Aber vorher werden wir darüber aufklären, warum CDU und SPD das Feld bebauen wollen und warum das niemals zu mehr bezahlbaren Wohnungen führen wird – sondern sogar das Gegenteil provozieren kann. Wohnungen, die in letzter Zeit direkt am Tempelhofer Feld neu gebaut wurden, haben einen Mietpreis von 30 Euro pro Quadratmeter und mehr.
Noch einmal zum Volksentscheid: Wann haben solche Volksentscheide ihre Gültigkeit verloren?
Ein Volksentscheid hat aus gutem Grund – wie jedes Gesetz auch – kein Ablaufdatum. CDU und SPD verbreiten mantraartig, die Stimmung sei inzwischen gekippt. Umfragen und Zählungen der Menschen, die heute im Vergleich zu 2014 das Feld regelmäßig nutzen, weisen in eine andere Richtung. Was sich aber seitdem geändert hat, sind die Mietpreise in der Stadt. Die verbessern sich jedoch nicht durch die Bebauung des Feldes.
Vielen Dank für eure Einschätzung!
Ein Beitrag von Vera Colditz
19.05.2023