Im Fall Oranienstraße 169 wurde mittlerweile die Staatsanwaltschaft wegen möglicher Verstöße gegen den Fördervertrag eingeschaltet – vorläufiger Höhepunkt eines Immobilienkrimis im linksalternativen Kreuzberger Milieu.
Bis Mitte 2022 war für die 22 Mietparteien alles in Ordnung. Dass einige sich nicht anmelden oder ihren Namen nicht an die Wohnungstür anbringen durften, dass in mehreren Fällen neben der staatlich geförderten und damit in ihrer Höhe begrenzten Miete noch ein „Mietzuschlag“ auf ein gesondertes Konto überwiesen werden musste – all das kam ihnen offenbar nicht weiter merkwürdig vor. Das mag verwundern, lässt sich aber damit erklären, dass man zur Eigentümergemeinschaft, die das Haus 1991 erworben hatte, ein freundschaftliches Verhältnis hatte. Man duzte sich, einige aus der achtköpfigen Eigentümer-GbR wohnten zumindest zeitweise auch im Haus. Doch als Mitte 2022 Investoren durch Haus geführt wurden und die GbR offenbar einen lukrativen Verkauf plante, kam der Stein ins Rollen.
„Wir waren fassungslos und wütend“, sagt ein Mieter. Schließlich arbeiten viele der Gesellschafter im Medienbereich und waren bekannt dafür, in taz, Berliner Zeitung und der Süddeutschen Zeitung den spekulationsbedingten Ausverkauf der Stadt anzuprangern. Die im Haus in der Oranienstraße Wohnenden fanden heraus, dass ihr Haus Mitte der 1990er Jahre für rund 3,4 Millionen Mark aus dem Selbsthilfeprogramm des Senats saniert worden war. Damit verbunden waren Auflagen: etwa eine gedeckelte Miethöhe sowie die Meldung freiwerdender Wohnungen ans Bezirksamt. Im Fördervertrag verpflichteten sich die angeblichen Selbsthelfer – von denen einige nie im Haus gewohnt haben – außerdem zur Einrichtung eines Gemeinschaftsraums. Gegen diese Förderungsbedingungen wurde vielfach verstoßen, wie das Nachrichtenmagazin Spiegel im Januar 2023 berichtete. Aufgeschreckt durch diesen Artikel schrieb die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung Mitte März sämtliche Mieter:innen in der Oranienstraße 169 an und bat um genaue Angaben zum Mietverhältnis. Man prüfe, ob man Fördermittel zurückfordern kann.
Offensichtlich versagten hier über Jahrzehnte sämtliche Kontrollmechanismen. Dazu teilt die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung mit, dass man wegen der möglichen Verstöße Strafanzeige erstattet habe. Doch nach Auskunft der Staatsanwaltschaft wurde das Verfahren wegen Verjährung eingestellt. Die Bindung ist bereits Ende 2017 ausgelaufen.
Florian Schmidt, grüner Baustadtrat von Friedrichshain-Kreuzberg, hatte im Januar verkündet, der Erwerb durch eine Genossenschaft sei „in Sicht“. Durch den öffentlichen Druck war die Eigentümergemeinschaft offenbar bereit, mit der Genossenschaft in Gründung „WirWerk“ zu verhandeln. Doch die Verhandlungen wurden inzwischen auf Eis gelegt. Schmidt wollte sich dazu nicht äußern. Man sei nicht an den Verhandlungen beteiligt. Es ist also nicht ausgeschlossen, dass die cleveren „Selbsthelfer“ mit der Oranienstraße 169 doch noch den großen Reibach machen.
Birgit Leiß
26.05.2023