Ein absurder Vorschlag geisterte im Frühling durch die Medien: Menschen, die wenig für das Wohnen zahlen, solle die Miete deutlich erhöht werden, damit sie ihren Wohnflächenverbrauch einschränken und Wohnraum für andere freimachen. Eine genauere Betrachtung zeigt: Das würde nicht funktionieren.
Drei Immobilienwissenschaftler um den Regensburger Professor Steffen Sebastian sind der Meinung, es gebe nicht zu wenige Wohnungen, sondern der vorhandene Wohnraum müsse besser verteilt werden. Mieterinnen und Mieter mit günstigen, alten Mietverträgen sollen deshalb deutlich mehr zahlen und dadurch dazu bewegt werden, zu gehen und für Familien Platz zu machen. „Es kann doch nicht sein, dass der Staat auf der einen Seite Menschen schützt, die ohnehin seit Jahrzehnten eine geringe Miete zahlen, und andere finden partout keine bezahlbare Wohnung“, sagte Sebastian in der „Welt“. Gesetzliche Mieterhöhungsbeschränkungen sollten deshalb abgebaut werden. Die höheren Vermietungsgewinne sollen über einen „Vermieter-Soli“ abgeschöpft werden und als Wohngeld an deutlich mehr Menschen fließen als bisher. Damit könnten dann auch Familien freigewordene große Wohnungen anmieten, so die Idee.
In den Vorschlägen würden „unbewiesene Behauptungen mit Halbwissen und Vorurteilen gemischt“, sagt der Berliner Stadtforscher Sigmar Gude, der den Regensburger Vorstoß mit Zahlen aus dem Mikrozensus und aus Sozialstudien für Berliner Milieuschutzgebiete auseinandernimmt. In Berlin wohnen fünf Prozent aller Haushalte in unterbelegten Wohnungen, während es unter Rentnerhaushalten gerade mal drei Prozent mehr sind. Das liegt aber daran, dass Ältere meist zu zweit oder allein wohnen und es nicht genug passende kleine Wohnungen gibt.
Die These, dass unregulierte Mieten für eine sozial gerechtere Verteilung des Wohnraums sorgten, nennt Gude „grundfalsch“. Das zeigt sich dort, wo die Miethöhe heute unbeschränkt ist: Bei der Neuvermietung von großen Wohnungen kommen in vier von fünf Fällen nicht Familien, sondern Ein- und Zweipersonenhaushalte mit sehr hohen Einkommen zum Zuge. „Die Marktmieten, die hier gefordert werden, können sie gut zahlen, während sie für Familien mit Kindern nicht aufzubringen sind“, erklärt Gude. „Es drängt sich der Eindruck auf, dass mit den Altenhaushalten ein Sündenbock für die unzureichende Wohnungsversorgung gesucht und gefunden wurde“, so Sigmar Gude.
Jens Sethmann
29.06.2023