Berlin verfügt nach Warschau und Moskau über das drittgrößte Fernwärmenetz Europas. Rund 30 Prozent der Haushalte werden über Fernwärme versorgt. Dieses Netz soll weiter ausgebaut und gleichzeitig dekarbonisiert, das heißt auf nicht-fossile Energieträger umgestellt werden – eine Herkulesaufgabe. Ist Berlin gerüstet?
Dass der Aus- und Umbau der Fernwärmenetze eine Schlüsselrolle für das Gelingen der Wärmewende und das Erreichen der Klimaziele spielt, ist unbestritten. Daher, so Wirtschaftssenatorin Franziska Giffey (SPD), beteilige sich das Land Berlin auch am Bieterverfahren zum Erwerb der Fernwärme vom Konzern Vattenfall. Bereits im letzten Jahr erklärte die Senatorin, man wolle „die Fernwärme wieder nach Hause holen“, um Einfluss auf die Wärmeversorgung nehmen zu können. „Mit seinen 1,4 Millionen Fernwärmehaushalten ist dieser Hebel für die Energiewende in Berlin von sehr großer Bedeutung.“
„Fernwärme nach Hause holen“
In Städten wie Berlin mit seinen Großsiedlungen und dicht bebauten Quartieren kann die leitungsgebundene Wärmeversorgung eine besonders klimaneutrale und kosteneffiziente Lösung sein. Die Betonung liegt auf ‚kann‘. Denn zum einen ist Fernwärme derzeit wegen der oft hohen Kosten bei Mieter:innen nicht besonders beliebt. Dazu kommt: Die Nutzung erneuerbarer Energien in der Wärmeversorgung steht – anders als bei der Stromerzeugung – noch ganz am Anfang. Auch 2023 werden die Heizkessel ganz überwiegend mit fossilen Brennstoffen befeuert. So gibt der Berliner Fast-Monopolist Vattenfall an, dass zu 75 Prozent Erdgas zum Einsatz kommt, gefolgt von Steinkohle mit 15 Prozent. Brennstoffe wie Biomasse und Biogas oder der Einsatz erneuerbarer Energien oder Abwärme machen nur einen sehr geringen Anteil aus. Die Folge: Fast ein Drittel des CO2-Ausstoßes in Berlin geht auf das Konto des schwedischen Konzerns. Im Jahr 2021 waren das 4,9 Millionen Tonnen. Beim Fernheizwerk Neukölln, einem der beiden anderen Berliner Fernwärmeversorger mit rund 55.000 belieferten Wohnungen, wird seit 2022 immerhin ein Anteil von 26 Prozent erneuerbarer Wärme erreicht, vor allem durch den Einsatz von Biomasse in Form von Holzpellets.
Doch es muss schneller gehen mit der Umstellung. Beim Fernwärmegipfel, zu dem Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) und Bundesbauministerin Klara Geywitz (SPD) im Juni geladen hatten, sprach sich ein breites Bündnis für mehr Tempo beim Aus- und Umbau der Wärmenetze aus. Wichtig sei es, Hemmnisse abzubauen und die Preistransparenz und damit den Verbraucherschutz zu stärken. „Wir müssen einen klaren und verbindlichen Rahmen für die Weiterentwicklung der Wärmenetze schaffen“, sagte Geywitz. Dazu gehöre eine attraktive und transparente Preisgestaltung und begleitende Förderprogramme. Die Eigentümerinnen und Eigentümer müssten frühzeitig wissen, ob und wann ihr Haus angeschlossen werden kann. Zu diesem Zweck wird derzeit ein Gesetz zur kommunalen Wärmeplanung und Dekarbonisierung der Wärmenetze auf den Weg gebracht. Das Bundeskabinett hat dem Gesetzentwurf Mitte August zugestimmt. Demnach soll bis zum Jahr 2030 die Hälfte der Fernwärme klimaneutral erzeugt werden durch erneuerbare Energien und unvermeidbare Abwärme, welche als Nebenprodukt in einer Industrie- oder Gewerbeanlage entsteht. Bis 2040 soll dieser Anteil auf 80 % steigen. Außerdem werden die Kommunen verpflichtet, Fahrpläne für den Ausbau und die Dekarbonisierung der Wärmenetze zu erstellen.
Arbeit am Wärme-Stadtplan hat begonnen
Das Gesetz ist zwar noch nicht beschlossen, dennoch arbeitet man in Berlin bereits seit gut einem Jahr an einem solchen Fahrplan. Grundlage dafür ist das 2021 beschlossene Berliner Klimaschutz- und Energiewendegesetz (EWG). Anfang 2026 soll die gesamtstädtische Wärmeplanung stehen. Das sei ein sportlicher Zeitplan, aber zu schaffen, sagt der Leiter der bei der Senatsverwaltung für Mobilität, Verkehr, Klimaschutz und Umwelt angesiedelten Arbeitsgruppe. Dass man es in Berlin nicht mit einem Stadtwerk, sondern mit drei privaten Fernwärmebetreibern zu tun hat, sei dabei eine besondere Herausforderung. Kernaufgabe ist die Erstellung eines Wärmekatasters, einer Bestandsanalyse zu den Bedarfen und Potentialen. Dabei werden eine Vielzahl von Daten zusammengetragen. So soll beispielsweise herausgefunden werden, in welchen Gebieten das Fernwärmenetz weiter ausgebaut werden kann und welche Möglichkeiten der Wärmegewinnung aus dem Flusswasser, aus der Solarthermie oder aus Rechenzentren bestehen. Ein solcher Wärmeplan könne nie abschließend aufgestellt, sondern müsse ständig fortgeschrieben werden, erklärt der Leiter der Arbeitsgruppe. Beispielsweise sei durch fortschreitende Sanierung mit einer sinkenden Nachfrage zu rechnen.
Vorzeigeprojekte wie die Flusswasser-Wärmepumpen des Energieversorgers BTB sind von besonderem Interesse. BTB, mit rund 10.000 versorgten Haushalten einer der drei Anbieter auf dem Berliner Fernwärmemarkt, baut in Schöneweide an der Spree Europas größten Fernwärmespeicher. Das funktioniert – vereinfacht gesagt – folgendermaßen: warmem Flusswasser aus der Spree wird mittels Großwärmepumpen ein Teil der Wärmeenergie entzogen und anschließend auf über 90 Grad erhitzt, um in das Fernwärmenetz der BTB eingespeist zu werden. Speicher sorgen dafür, dass die Wärme auch im Winter verfügbar ist. Mit der Umweltwärme aus der Spree leite man den Kohleausstieg im Heizkraftwerk Schöneweide ein, heißt es bei der BTB. Doch abgesehen von solchen wichtigen Pilotprojekten: Wie wollen es die drei Fernwärmeversorger schaffen, innerhalb von sieben Jahren die Hälfte der Fernwärme klimaneutral zu erzeugen und gleichzeitig die Versorgungssicherheit gewährleisten? Lassen sich Heizkraftwerke überhaupt ohne Weiteres umrüsten?
Nun ist es nicht so, dass sich in den letzten Jahrzehnten gar nichts getan hätte. Seit den 1980er Jahren wurden zahlreiche Kraftwerke rückgebaut oder umgerüstet, vor allem von Heizöl und Steinkohle auf Erdgas und Biomasse. Die Veränderungen sind im Stadtbild sichtbar. So ist das 100 Jahre alte Heizkraftwerk Wilmersdorf, direkt an der A 100, bereits verschwunden – und mit ihm ein Monument der Berliner Energieversorgung. 2021 wurden die von Weitem sichtbaren Kesselhäuser und
Vattenfall sieht kein Problem beim Umbau
Schornsteine abgebaut. Berlins leistungsstärkstes Kraftwerk, Reuter West, wird zwar immer noch mit Steinkohle betrieben, doch im September 2019 wurde hier Europas größte Power-to-Heat-Anlage integriert – für Vattenfall ein erster Baustein der Dekarbonisierung. Solche Anlagen wandeln elektrische Energie in Wärme um, meist über Wärmepumpen. Das bereits 1927 in Betrieb genommene Heizkraftwerk Klingenberg in Rummelsburg wurde 1970 komplett umgebaut. Derzeit wird es mit Erdgas betrieben, wobei nach dem Prinzip der Kraft-Wärme-Kopplung neben Strom gleichzeitig Wärme erzeugt wird. Technisch sieht man bei Vattenfall keine Probleme, die vorhandenen Kraftwerke umzurüsten.
In dem Ende Juni 2023 vorgelegten Dekarbonisierungsfahrplan – eine Verpflichtung aus dem EWG – bekennt man sich ausdrücklich zu dem Ziel, die Wärmeerzeugung bis zum Jahre 2040 komplett klimaneutral zu gestalten. Einen „breiten Mix an Technologien“ stellt man sich vor, wobei fossile Brennstoffe durch fossilfreie und erneuerbare Energien ersetzt werden sollen. Bereits bis 2030 soll der komplette Ausstieg aus der Kohle erfolgen. Gleichzeitig werden Großwärmepumpen, Biomasseanlagen mit Kraft-Wärme-Kopplung und Wärmespeicher errichtet. Fossiles Gas soll durch Wasserstoff ersetzt und die vorhandenen Ölkessel könnten zu Bioölkessel umgerüstet werden. Auch die Abfallenergie, die bislang hauptsächlich für die Stromerzeugung genutzt wird, will der schwedische Energiekonzern verstärkt einsetzen. Eine wichtige Rolle könne künftig auch die Abwärme aus industriellen Prozessen spielen. Für das Gelingen der Wärmewende braucht es nach Ansicht von Vattenfall jedoch eine Aufstockung der Fördermittel. Auch die kommunalen Wohnungsunternehmen sieht man in der Pflicht. Sie müssten geeignete Flächen für Solar- und Geothermie-Speicher ausweisen.
BUND: Vattenfalls Einschätzungen sind unrealistisch
„Das ist kein guter Plan für klimaneutrale Fernwärme“, meint dazu der Bund für Umwelt und Naturschutz. Mit einem solchen Plan würde das Berliner Fernwärmenetz am „Sankt-Nimmerleins-Tag“ dekarbonisiert sein, aber dann einen extrem hohen Verbrauch aufweisen. Kritisiert wird unter anderem, dass die Abfallverbrennung von einem derzeitigen Anteil von 4 Prozent auf 10 Prozent ansteigt. Die Biomasseverbrennung soll auf 14 Prozent anwachsen. „Das Verbrennen von Restmüll in Müllverbrennungsanlagen kann nicht klimaneutral sein“, erklärt Matthias Krümmel vom BUND. Den Klimareferenten stört zudem, dass nicht näher aufgeführt wird, woher Vattenfall Abfall und Biomasse beziehen will. Blinde Flecken sieht er auch beim Wasserstoff, den Vattenfall künftig mit über 20 Prozent für die Wärmeerzeugung verbrennen will: Das sei angesichts des nur schwer einzuschätzenden Wasserstoffmarkts völlig unrealistisch. Vollends unglaubwürdig mache sich Vattenfall, wenn künftig noch stärker auf die Verbrennung von Holzpellets gesetzt wird. Bereits jetzt verbrennt das Energieunternehmen rund 88.000 Tonnen Holz im Jahr, etwa in seinen Holzkraftwerken in Moabit und im Märkischen Viertel. Das, so sagt Krümmel, werde auf 450.000 Tonnen anwachsen: „Im Grunde wird Kohle einfach durch Holz ersetzt.“ Es sei angesichts des Kahlschlags in den Wäldern ein Irrglaube, dass Holz so einfach nachwachse – egal wie oft die Holz-Lobby das noch behaupte. Vattenfall selber verweist darauf – ebenso wie das Heizkraftwerk Neukölln –, dass man nur nachhaltiges, CO2-zertifiziertes Holz aus europäischen Wäldern verwende. Die Potenziale liegen nach Überzeugung des BUND woanders: bei Geothermie und Abwasser als Wärmequellen für Großwärmepumpen. Das streitet Vattenfall nicht ab, argumentiert aber, man sei bei der Erschließung der Geothermie auf die Kommunen angewiesen. Diese müssten „schnellstmöglich“ die vorhandenen Potenziale kartografieren. Das Fazit der Umweltschützer vom BUND: Mit einer zu lange andauernden Gasverbrennung und einer Verfielfachung der Biomasseverbrennung werde man gar nichts erreichen. „Das Beste wäre wahrscheinlich, wenn Vattenfall seinen Fernwärme-Sektor an den Senat verkaufen würde.“
Eine 2021 vorgelegte Studie des Fraunhofer-Instituts für Energiewirtschaft und Energiesystemtechnik kam 2021 zu dem Ergebnis, dass es technisch möglich ist, die Berliner Fernwärme bis spätestens 2035 CO2-neutral zu produzieren und die Emissionen aus der Wärmeerzeugung massiv zu senken. Als geeignete Energiequellen sieht die Studie neben industrieller Abwärme insbesondere Flusswasserwärmepumpen, Solarthermie, tiefe Geothermie und Erdsondenwärmepumpen. Einen zusätzlichen geringen Beitrag könnten Abwasserwärmepumpen, Restmüll und Wasserstoff leisten. Die Potenzialstudie wurde von Bündnis Kohleausstieg Berlin und Fridays For Future Berlin in Auftrag gegeben.
Fernwärme ist derzeit wenig verbraucherfreundlich
Was Mieterinnen und Mieter natürlich auch interessiert: Wie wird sich der Fernwärmepreis entwickeln? Wie teuer wird es, wenn ihre Wohnung künftig an die Fernwärme angeschlossen wird? Seriöse Prognosen sind derzeit nicht möglich, denn das hängt von vielen Faktoren ab. Fest steht aber: Fossile Brennstoffe wie Gas werden immer teurer werden. Der Deutsche Mieterbund (DMB) stellt in einer gemeinsamen Erklärung mit der Verbraucherzentrale Bundesverband e.V. (vzbv) klar: Mehr Fernwärme braucht mehr Verbraucherschutz. „Ein zentraler Punkt für uns ist, dass es angesichts der Monopolstrukturen im Fernwärmemarkt eine stärkere Preistransparenz und eine klar definierte Preisaufsicht gibt“, sagt DMB-Bundesdirektorin Melanie Weber-Moritz.
Beide Verbände begrüßen, dass die Bundesregierung einen verstärkten Fokus auf die Entwicklung der Fernwärme legt. Doch derzeit sei Fernwärme mit ihren langen Vertragslaufzeiten (in der Regel 5 bis 10 Jahre) und intransparenten Preiserhöhungen sowie Preisanpassungsklauseln wenig verbraucherfreundlich. Weil ein Wechsel nicht möglich ist, sind die Verbraucher:innen, sprich Hauseigentümer:innen, den Preisforderungen und Konditionen ihres Versorgers weitgehend alternativlos ausgeliefert. In dem gemeinsamen Positionspapier, das anlässlich des Fernwärme-Gipfels im Juni veröffentlicht wurde, werden daher konkrete Vorgaben für die Preisänderungsklauseln gefordert. Eine bundeseinheitliche Preisaufsicht, beispielsweise die Bundesnetzagentur, müsse die Preise und ihre Zusammensetzung prüfen. Zudem müsse der Anschlusszwang, den es in vielen Kommunen – anders als in Berlin – gibt, abgeschafft werden. „Nur so können Wärmenetze zu einer attraktiven Lösung werden, die zudem in der breiten Bevölkerung akzeptiert wird“, heißt es in dem Papier.
Ein weiterer zentraler Punkt betrifft die Modernisierungsumlage. Solange Vermieter:innen die Investitionskosten komplett auf ihre Mieter:innen umlegen können und nicht einmal verpflichtet sind, Fördermittel in Anspruch zu nehmen – was die Umlage zumindest senken würde –, wird der Heizungsaustausch zu deutlichen Mietsteigerungen führen. Energetische Modernisierungen sollten jedoch kostenneutral sein, fordern DMB und vzbv. Nur mit einer Reform der Modernisierungsumlage könne man erreichen, dass klimagerechtes Wohnen für alle bezahlbar ist.
Birgit Leiß
Die Zeche müssen die Mieter:innen bezahlen
Als enttäuschend und unsozial hat der Berliner Mieterverein (BMV) das am 8. September beschlossene Gebäudeenergiegesetz (GEG) bezeichnet. Einmal mehr habe sich die FDP zugunsten von Immobilieneigenümer:innen durchgesetzt, kommentierte BMV-Geschäftsführerin Wibke Werner. Ein Heizungsgesetz ohne flankierenden Schutz der Mieter:innen vor Mieterhöhungen nach Modernisierung zu erlassen, sei „grob fahrlässig“. Zwar betont Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck, dass der Heizungsaustausch mit bis zu 70 Prozent bezuschusst wird, doch eine Verpflichtung für vermietende Eigentümer:innen, Fördermittel in Anspruch zu nehmen, gibt es nicht. Die Antragstellung können sie sich auch schlicht und einfach sparen und die Kosten stattdessen auf die Mieter:-innen umlegen.
In einem Offenen Brief wandte sich der BMV zusammen mit anderen Mieterorganisationen, -initiativen und Umweltverbänden an die Bundesregierung. Die Kritik: Das neue Gesetz verschlechtere die Situation sowohl für die Mieter:innen als auch fürs Klima. Statt endlich die Reform der Modernisierungsumlage anzugehen, werde sogar eine neue, zusätzliche Umlage eingeführt. Künftig können zehn Prozent der Investitionskosten für eine neue Heizungsanlage auf die Miete umgelegt werden. Zwar gilt eine Kappungsgrenze von 0,50 Euro pro Quadratmeter Wohnfläche. Doch das dürfte den meisten Mieter:innen nicht viel nutzen, befürchtet Wibke Werner. Denn sobald auch nur eine weitere Modernisierungsmaßnahme hinzukommt oder Fördermittel gar nicht in Anspruch genommen werden, gilt die bisherige Regelung, wonach 8 Prozent der Kosten umgelegt werden dürfen. Besonders absurd: Anders als in der ursprünglichen Fassung geplant, sollen nun im Bestand auch weiterhin neue Gas- und Ölheizungen eingebaut werden dürfen – „eine ökologische Katastrophe“ heißt es in dem Offenen Brief. Die BMV-Geschäftsführerin: „Die absehbaren Kostensteigerungen für fossile Energie müssen die Mieter:innen alleine tragen!“ Erst wenn die Wärmepläne vorliegen – je nach Größe der Kommune ab 1. Juli 2026 oder 1. Juli 2028 – müssen neu eingebaute Heizungen zu 65 Prozent erneuerbare Energien nutzen. Und auch dabei gibt es großzügige Ausnahmeregelungen. Bestehende Heizungen können weiter wie bisher genutzt werden. Auch wenn eine Reparatur ansteht, ist kein Heizungsaustausch erforderlich. Ob sich mit diesem Gesetz viel CO2 einsparen lässt, ist mehr als fraglich.
bl
So funktioniert Fernwärme
Die Idee, Häuser und Wohnungen mit Fernwärme zu heizen, reicht ins 19. Jahrhundert zurück und kommt aus den USA. Erste Fernwärmenetze in Europa wurden in den 1920er Jahren in Dänemark und Deutschland in Betrieb genommen. Heute werden in Dänemark circa 64 Prozent und in Deutschland circa 15 Prozent der Haushalte mit Fernwärme versorgt. Der Unterschied zwischen den beiden Ländern ergibt sich aus einer höheren Bevölkerungsdichte und kompakteren Siedlungsstruktur in Dänemark.
Fernwärmenetze sind vorwiegend in den großen Städten rentabel, da dort viele Menschen auf wenig Fläche versorgt werden können. Berlin zählt zu den deutschen Vorreitern bei der Verbreitung von Fernwärme, und der Energieversorger Vattenfall betreibt das größte Fernwärmenetz Westeuropas. Laut Vattenfall ist der Anteil von Fernwärme an der Berliner Wärmeversorgung mit 30 Prozent fast doppelt so hoch wie der nationale Durchschnitt. Dominierender Energieträger ist Gas. Fernwärme ist energieeffizient, denn das System nutzt auch Abwärme, die prozessbedingt in industriellen Anlagen anfällt, wie zum Beispiel in Raffinerien, Stahl- oder Chemiefabriken. Oder sie nutzt Wärme, die bei der Stromerzeugung in einem Kraftwerk durch Kraft-Wärme-Kopplung (KWK) anfällt. In diesen Anlagen wird durch Verbrennung von beispielsweise Gas gleichzeitig mechanische Energie („Kraft“) und thermische Energie („Wärme“) erzeugt. Dafür werden verschiedene KWK-Technologien wie Dampfturbinen, Gasturbinen, Motor-Blockheizkraftwerke (BHKW) und Brennstoffzellen eingesetzt. In den KWK-Anlagen wird so auch Strom erzeugt, und die Gesamtenergieeffizienz ist durch die getrennte Erzeugung von Strom und Wärme höher.
Noch ist Erdgas die Nummer eins der Energieträger
Wie und in welchem Aggregatzustand gelangt nun die Wärme effizient vom Erzeuger zum Verbraucher? Zur Übertragung großer Energiemengen über weite Entfernungen ist der Transport von dampfförmigen Wärmeträgern am effizientesten. Für kürzere Distanzen oder Anwendungen mit niedrigeren Energiemengen eignet sich hingegen Wasser als flüssiger Wärmeträger eher und ist auch kostengünstiger. Der Wärmeträger Gas beziehungsweise Wasser wird von einem Wärmespeicher in der Anlage durch ein geschlossenes System aus isolierten Stahl- oder Kunststoffrohren bis zu einer Schnittstelle/Übergabestation zwischen dem Fernwärmenetz und dem Verbrauchsgebäude gepumpt. Über Wärmetauscher wird die Wärme an ein eigenes Kreislaufsystem im Verbrauchsgebäude übertragen.
Fernwärmenetze können je nach Bedarf erweitert und an Gebäude oder Siedlungen angeschlossen werden. Bei Fernwärmeheizungen entfallen für den einzelnen Verbraucher Investitionskosten und der Aufwand für die Wartung einer eigenen Heizungsanlage. Weil für individuelle Heizungsanlagen in den Gebäuden Anschaffungs- und Wartungskosten entfallen, wird der Gesamtenergieverbrauch durch weniger Wärmeverluste und CO2-Ausstoß reduziert. Da zudem die Abhängigkeit von Transport und Lagerungen von Brennstoffen entfällt, der Einsatz von Fernwärme Treibhausgas-Emissionen reduziert und Energie einspart, scheint diese Art von Wärmeversorgung durchaus kostengünstig und nachhaltig.
Umrüstung auf Fernwärme erfordert Genehmigung
Berliner Altbauten können zügig und problemlos an das vorhandene Fernwärmenetz angeschlossen werden, was Vorteile bringt. „Alte“ Zentralheizungsanlagen mit bereits vorhandenen Rohrleitungen und Verteilsystemen können erhalten bleiben, und nur der Heizkessel muss gegen eine Fernwärmeübergabestation getauscht werden. Für einen Wechsel auf Fernwärme fallen einmalige Umstellungskosten von 8000 bis 16.000 Euro an. Für den Fernwärmeanschluss können Förderungen von der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) oder vom Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA) mit derzeit circa 30 Prozent für eine Übergabestation in Anspruch genommen werden. Die Fernwärmepreise variieren je nach Anbieter und Netzgebiet und setzen sich aus einem Arbeitspreis pro Kilowattstunde und einem Grundpreis pro Kilowatt angeschlossener Leistung zusammen. Der Arbeitspreis beinhaltet den tatsächlichen Verbrauch, während der Grundpreis die Kosten für das Kraftwerk und die Netze inkludiert. Die Höhe des Grundpreises ist abhängig von der Anschlussleistung. Diese liegt zum Beispiel für ein Einfamilienhaus bei circa rund 20 bis 30 Euro pro Kilowatt im Jahr. So würden bei einer Heizlast von 15 Kilowatt jährlich 300 bis 450 Euro fällig. Der Arbeitspreis schlägt hier mit circa 9 bis 12 Cent pro Kilowattstunde zu Buche. Für ein Einfamilienhaus wären das bei einem durchschnittlichen Verbrauch von 15.000 Kilowattstunden circa 1350 bis 1800 Euro im Jahr. Für eine 70 Quadratmeter große Wohnung in einem Mehrfamilienhaus hat die Gasag für das Abrechnungsjahr 2021 insgesamt durchschnittlich 965 Euro im Jahr ausgerechnet. Für die Umrüstung auf Fernwärme ist in Berlin eine Genehmigung erforderlich, zuständig dafür ist das Energieversorgungsunternehmen oder der Netzbetreiber.
Elke Augustin
23.10.2023