Hat es Zweck, sich gegen eine Eigenbedarfskündigung zu wehren? Oder ist man vor Gericht chancenlos? Das MieterMagazin wirft auf die Einschätzung der Eigenbedarfsbegründungen durch die urteilenden Richter einen Blick, wie er sich in der Praxis eines Mietervereins-Vertragsanwalts zeigt.
Wenn eine Eigenbedarfskündigung im Briefkasten liegt, ist der Schock der Mieter:innen naturgemäß groß. Was soll man tun? Wie eine neue Wohnung finden auf einem Mietmarkt, der hoffnungslos überlaufen ist? Wie die neue Miete bezahlen, die vielleicht doppelt so hoch sein wird wie die bisherige?
„Das Wichtigste ist, möglichst schnell Hilfe zu suchen und sich beraten zu lassen“ weiß Rechtsanwalt Klaus Henningsen, Vertragsanwalt beim Berliner Mieterverein. „Wer einfach nur abwartet, versäumt die Chance, sich gegen die Eigenbedarfskündigung zu wehren.“ Doch hat eine gerichtliche Auseinandersetzung um die Berechtigung des geltend gemachten Eigenbedarfs überhaupt eine Aussicht auf Erfolg? Schließlich gibt § 573 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) dem Vermieter das Recht, den Mietvertrag zu kündigen, wenn er die Wohnung für sich oder für Familienangehörige benötigt. Dies stellt die im Grunde einzige Möglichkeit für die Vermieterseite dar, einen Mieter oder eine Mieterin, die sich vertragsgemäß verhalten und sich nichts zuschulden kommen lassen, aus der Wohnung zu bekommen. Allerdings führt das auch zu Verlockungen. Denn der Eigenbedarf lässt sich nicht beweisen, da er ja in der Zukunft liegt. Also verlangt das Gericht von Vermieter oder Vermieterin, dass sie die Gründe, warum sie die Wohnung benötigen, glaubhaft und nachvollziehbar darlegen. Und das macht manche Vermieter:innen kreativ. Da wird schon mal gleich drei Mietparteien auf einmal gekündigt, weil man deren Wohnungen zu einer großen Wohnung zusammenlegen und dann als Familien-Wohngemeinschaft samt Großmutter dort einziehen will. Oder die Kinder wollen justament immer gerade dort studieren oder arbeiten, wo die Eltern eine vermietete Eigentumswohnung haben. Für den Eigenbedarf scheint jede Begründung recht zu sein. Ob der Vermieter wirklich vorhat, die Wohnung zu nutzen, oder aber einfach nur die Mieter:innen loswerden will, um die Wohnung teurer zu vermieten oder als leere Wohnung besser verkaufen zu können, muss das Gericht beurteilen. „Die Richter:innen sind inzwischen aber glücklicherweise meist sehr sensibilisiert für dieses Thema, sie fragen sehr intensiv nach“, sagt Rechtsanwalt Henningsen.
Gerichte fragen jetzt genauer nach
Im ersten Fall, von dem der Anwalt Henningsen berichtet, gab es im Vorfeld erhebliche gerichtliche Auseinandersetzungen wegen Mängelbeseitigungen. Der Vermieter, der weitab wohnt, hatte diesen Rechtsstreit verloren. Damit wollte er sich wohl nicht abfinden, denn kurz danach kündigt er wegen Eigenbedarfs. Begründung: Er wolle endlich die kulturellen Vorteile der Hauptstadt nutzen. Außerdem sei die Ostsee schnell zu erreichen. Als Zeugin war die Ehefrau vom Gericht geladen. Sachlich hat sie das ganze Vorbringen ihres Mannes bestätigt, doch damit gab sich der Richter nicht zufrieden und bohrte nach. Auf soviel Wissbegier war die Frau anscheinend nicht gut vorbereitet. Sie wusste nicht zu sagen, warum dieses Interesse an Kultur und Badestrand auf einmal entstanden ist. Den Richter hat das nicht überzeugt. Er bezeichnete die Ausführungen als unglaubhaft, und hat folgerichtig die Klage auf Räumung wegen Eigenbedarfs abgewiesen. Der Vermieter hat daraufhin vermutlich eingesehen, dass man die Justiz nicht so leicht hinter das Licht führen kann, wie er geglaubt hatte. Eine Berufung gegen das Urteil hat er jedenfalls nicht eingelegt, und die Mieter:innen konnten in ihrer Wohnung bleiben.
Verkaufsabsicht von Anfang an
Im zweiten Fall gab es eine Bitte des Vermieters für ein persönliches Gespräch mit dem Mieter. Dort teilte er mit, die Wohnung verkaufen zu wollen, nachdem die Spekulationsfrist von 10 Jahren nach Erwerb verstrichen war. Das Angebot, die Wohnung selbst zu kaufen, lehnte der Mieter ab. Umso überraschter war er, als er nach einigen Monaten die Kündigung des Mietverhältnisses erhielt. Die Begründung war, dass der Sohn des Vermieters einziehen wollte. Dies erstaunte den Mieter vor allem deswegen, weil dieser Sohn, wie ihm bekannt war, zu diesem Zeitpunkt in China lebte. Doch auch darauf hatte der Vermieter eine plausible Antwort: Der Sohn habe dort geheiratet und mit der Frau ein gemeinsames Kind bekommen. Er habe Aussicht, in Deutschland einen Arbeitsplatz zu erhalten, daher solle ihm die Wohnung zur Verfügung gestellt werden. Der arme Mieter fügte sich in sein vermeintliches Schicksal. Er hatte Glück, fand während der Kündigungszeit eine neue Wohnung und zog aus, ohne allerdings eine Rechtspflicht hierzu anzuerkennen. Und diese Vorsicht erwies sich als nur zu berechtigt. Der Sohn des Vermieters ist nie in die Wohnung eingezogen, die er doch angeblich so dringlich brauchte. Vielmehr wurde die Wohnung vom Vermieter verkauft, wie er es ja von Anfang an beabsichtigt hat. Die Vermutung lag nahe, dass der behauptete Eigenbedarf des Sohnes nur ausgedacht war. Also hat der Mieter auf Schadenersatz geklagt. In zwei Instanzen gelang es dem Vermieter nicht, nachzuweisen, dass der Sohn in Berlin oder Umgebung je die konkrete Aussicht auf einen Arbeitsplatz hatte. Die Wohnung bekam der Mieter allerdings, wie fast immer in solchen Fällen, nicht zurück. Doch immerhin muss ein Vermieter, der den Eigenbedarf nachgewiesenermaßen nur vorgetäuscht hat, den beim Mieter angerichteten Schaden ersetzen: alle Umzugskosten und die Differenz zwischen der alten und der neuen Miete, zeitlich sogar unbegrenzt, in der gerichtlichen Praxis meist nur für drei bis vier Jahre. Aber auch, wenn sich die Begründung für den Eigenbedarf nicht in jedem Fall erschüttern lässt, ist es sinnvoll, sich gegen eine solche Kündigung zu wehren, weiß Henningsen. Auf jeden Fall gewinne man Zeit. Und das Verfahren vor Gericht könne auch eine für die Mieter:innen unerwartet positive Wendung nehmen. Der Anwalt: „In einem meiner Fälle wegen Eigenbedarf in diesem Jahr hat das Gericht aus gesundheitlichen Gründen auf einen Härtefall erkannt, in einem anderen aufgrund der Wohnraummangellage.“ Er macht betroffenen Mieter:innen Mut: „Auch für den Vermieter ist der Prozess ein Risiko. Aus diesem Grund ist mancher bereit, dem Mieter eine Entschädigung anzubieten, wenn dieser auszieht. Ohne eine Auseinandersetzung hat man solche Chancen nicht“.
Stefan Klein
Eigenbedarf – die Rechtslage
§ 573 BGB Abs. 2: „Ein berechtigtes Interesse des Vermieters an der Beendigung des Mietverhältnisses liegt insbesondere vor, wenn (…) 2. der Vermieter die Räume als Wohnung für sich, seine Familienangehörigen oder Angehörige seines Haushalts benötigt.“
31.01.2024