Im Südosten Berlins, rund um den Flughafen Berlin-Brandenburg (BER) und in den angrenzenden Gebieten herrscht ein hoher Entwicklungsdruck. Der Zuzug in die Orte bringt die Infrastrukturen an ihre Grenzen. Und dabei ist das erst der Anfang.
Über 300 Jahre ist die Familie des CDU-Politikers, Olaf Damm, 60, in Waltersdorf ansässig. Damm, Vorsitzender des Entwicklungsausschusses der Gemeindevertretung Schönefeld, ist nach seinen Worten ein bodenständiger Lokalpatriot.
Nicht nur die Inbetriebnahme des BER brachte nach Ansicht des CDU-Politikers viel Zuzug nach Schönefeld und Umgebung: „Leerstand gibt es einfach keinen mehr, und das bei Mieten von 19 Euro pro Quadratmeter.“ 70 Quadratmeter, für junge Familien keine Luxusfläche, das müsse man sich erstmal leisten können. Die Wohnungen werden vom Reißbrett weg verkauft, die Grundstückssuche sei aussichtslos. Damm: „Ob Schönefeld Nord oder Süd, nur wenige Jahre haben ausgereicht, bis der Stadtplan nicht mehr stimmte.“ Die Kommunen seien am Limit, der Infrastruktur gehe die Luft aus – es fehlen Schulen und Kitas. Die Flughafengemeinde zählt mehr als 800 Unternehmen. Der Schönefeld-Ortsteil Kiekebusch mit seinem Amazon-Sortierzentrum verzeichnet täglich 300 polnische Pendler.
Nur 15 Autominuten südlich des Flughafens BER, in Teupitz, liegt das denkmalgeschützte Areal einer bis 1945 nach damaligem Sprach-Usus als „Landesirrenanstalt“ bekannten Klinik, auf dem 450 Wohnungen für circa 2000 Menschen entstehen sollen. Teupitz, einst traditionsreiches Ausflugsziel der Berliner:innen, liegt seit über 30 Jahren im Dornröschenschlaf. Im Wasserschloss haust ein österreichischer Investor, eine Straßenzeile in der Innenstadt ist für 2,5 Millionen Euro zu haben, und das seit Jahren.
Stadt der Zukunft – fehlerfrei
Der Immobilienmakler Frank Acker, groß geworden im benachbarten Groß Köris: „BER? Teupitz schläft. Nach wie vor.“ Dabei explodierte der Bodenrichtwert hier in Groß Köris: von etwa 60 auf 140 Euro pro Quadratmeter. „Wir haben Wald, Wiesen und Wasser – das kriegen die Berliner wohl erst jetzt richtig mit.“ Aber wer hier aufgewachsen sei und bleiben möchte, der finde einfach keine Wohnung mehr.
Mit Bau und Inbetriebnahme des BER ist es längst noch nicht getan: Die Flughafengesellschaft Berlin Brandenburg sieht auf etwa 24 Hektar Fläche unweit der Flugfelder „Potenzial, um einen der zentralsten europäischen Innovationsstandorte zu verwirklichen“. Unter der Wortschöpfung „Horizn BER City“ soll in den Jahren von 2025 bis 2035 ein „urbaner Mikrokosmos und dynamischer Wachstumsraum“ entwickelt werden – eine klimafreundlichere Stadtlandschaft ohne stadtplanerische Fehler soll entstehen, ohne seelenlose Flächen, wie sie etwa entstanden sind zwischen den Flughäfen und den Metropolenkernen in München oder Paris, so das Architekturbüro „Realace“, das im Auftrag der Flughafengesellschaft plant. Und das alles einen Steinwurf entfernt von „Teupitz schläft“.
Silke Kettelhake
Bieder starten und landen in Brandenburg
Irgendwie stand der Bau des BER symbolhaft für Berlin: Er wurde und wurde nicht fertig, eine Politposse mit wechselndem Führungspersonal und endlosen Kostensteigerungen.
Dabei ist der BER im internationalen Vergleich ein biederes Stück Flughafenarchitektur, man vergleiche nur mit dem New Yorker TWA-Terminal von Eero Saarinen oder mit dem dritten Pekinger Flughafen, entworfen von Zaha Hadid, der in Flughöhe an einen Seestern erinnert. Und in London, Flughafen Stansted, schuf Norman Foster eine vielfach nachgeahmte, erweiterbare Deckenkonstruktion – womit wir in Berlin angekommen sind, denn dieser Idee bediente sich auch das Architekturbüro gmp, das für den BER verantwortlich ist. Gegründet wurde das Büro 1965 von Meinhard von Gerkan mit Volkwin Marg, reifte zu einem der größten deutschen, international anerkannten Architekturbüros, dem allerdings beim BER ein bisschen die visionäre Puste ausging. Aber die Zeiten sind auch vorbei, als dem Fliegen noch etwas Mondän-Verruchtes anhaftete und James Bond auf Airport Courchevel in den französischen Alpen in 2000 Metern Höhe abflog, auf dem steilsten internationalen Flughafen der Welt, mit extrem kurzer Rollbahn und mit einem Höhenunterschied von 65 Metern.
sk
29.04.2024