Vor 100 Jahren wurde die gewerkschaftlich getragene, gemeinnützige Wohnungsbaugesellschaft Gehag gegründet. Mittlerweile gehört sie zum Vonovia-Konzern. Der soziale Gründungsgedanke ist vollends zerstört, dennoch können die Erfolge der Gehag aus den 1920er Jahren Vorbild für das Berlin der 2020er Jahre werden.
Am 14. April 1924 wurde in Berlin die Gemeinnützige Heimstätten-, Spar- und Bau-Aktiengesellschaft (Gehag) gegründet, um „gesunde Wohnungen zu angemessenen Preisen für die minderbemittelten Volksklassen“ zu schaffen, wie es in der Satzung heißt. Träger des neuen Unternehmens waren der Allgemeine Deutsche Gewerkschaftsbund, der Verband sozialer Baubetriebe und einige Arbeitergenossenschaften. Treibende Kraft war Martin Wagner, der 1926 Stadtbaurat von Berlin werden sollte. Er hatte zuvor schon die Bauhütten als solidarische Baubetriebe ins Leben gerufen und die Einführung der Hauszinssteuer durchgesetzt, mit deren Erlösen ab 1924 das Wohnungsbauprogramm der Weimarer Republik überhaupt erst finanziert werden konnte.
Die Gehag legte aus dem Stand ein enormes Baupensum vor. Bis 1933 baute sie in Berlin rund 10.000 hochmoderne Wohnungen mit zweckmäßigen Grundrissen, Bädern, Balkonen oder Loggien und teilweise sogar mit Zentralheizung.
Zwangseingliederung in die Deutsche Arbeitsfront
Mit dem Erfolgsmodell ging es zu Ende, als 1931 inmitten der Weltwirtschaftskrise die Hauszinssteuergelder gestrichen wurden. Der Wohnungsbau brach in Deutschland zusammen. Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten 1933 wurden die Gewerkschaften zerschlagen und enteignet, die Gehag in die „Deutsche Arbeitsfront“ eingegliedert.
Nach dem Krieg erklärten die Alliierten die Gehag für aufgelöst. Die Ost-Berliner Bestände wurden der Kommunalen Wohnungsverwaltung zugeordnet, in West-Berlin konnte die Gehag 1952 wieder als Wohnungsunternehmen die Arbeit aufnehmen. Sie gehörte nun zu je einem Drittel dem Deutschen Gewerkschaftsbund, der Deutschen Angestelltengewerkschaft und dem Land Berlin. Sie verwaltete die Gehag-Siedlungen im Westteil der Stadt und engagierte sich im Sozialen Wohnungsbau, vor allem in Britz-Süd und in der Gropiusstadt.
1998 wurde die Gehag zu drei Vierteln privatisiert, 2001 verkaufte der Senat auch noch die restlichen 25 Prozent. In Ost-Berlin wurden die ehemaligen Gehag-Bestände an die Baubecon, eine gewerkschaftseigene Nachfolgegesellschaft der Neuen Heimat, übertragen und kurz darauf privatisiert. Nach mehreren Weiterverkäufen ist der größte Teil der Gehag-Wohnungen seit 2007 beziehungsweise 2012 in der Hand der Deutschen Wohnen, die inzwischen zum Vonovia-Konzern gehört.
Die Deutsche Wohnen schmückt sich mit fremden Federn
Die Gehag besteht weiter – als leere Hülle. Die Deutsche Wohnen hat das Gehag-Hufeisen als Firmenlogo gekapert und schmückt sich mit der sozialen Tradition, während sie hohe Gewinne aus dem Unternehmen zieht und diese lieber an die Aktionär:innen ausschüttet als sie in Instandhaltung oder Neubau zu investieren.
Ein 100-jähriges Jubiläum kann niemand ernsthaft feiern. „Die Gehag ist mit 74 Jahren verstorben“, sagte ihr langjähriger Vorstand Karl-Heinz Peters im Rückblick auf die 1998 erfolgte Privatisierung.
Jens Sethmann
Bunt, durchgrünt, vorbildlich
Die Gehag wurde stark von ihrem Chefarchitekten Bruno Taut geprägt. Er plante farbenfrohe Häuser in durchgrünten Siedlungen, die damals als Ikonen des „Neuen Bauens“ weltweit Aufsehen erregt haben. Die Hufeisensiedlung und die Wohnstadt Carl Legien stehen deshalb auf der Unesco-Welterbe-Liste, die Waldsiedlung Zehlendorf wurde kürzlich ebenfalls nominiert. Die Gehag sei „als solidarischer Wohnungsbau vorbildlich für die Herstellung aktuell benötigter Wohnungen und zukünftigen Wohnens“, sagt Steffen Adam, Bauhistoriker und Vorstandsmitglied im Architekten- und Ingenieurverein Berlin-Brandenburg.
js
30.05.2024