Über zwanzig Bauten realisierte die 1924 geborenene Architektin Magdalena Hänska zusammen mit ihrem drei Jahre älteren Mann Gerd. Von wem jeweils die Idee, der Entwurf und schließlich die Umsetzung der Wohnbauten und öffentlichen Gebäude für Wissenschaft und Versorgung stammte, lässt sich wie bei so vielen Architektenpaaren nur schwerlich nachvollziehen. Doch angesichts der relativ kurzen Schaffensperiode der Magdalena Hänska ist der eigene Stil, der Schwung, den sie mitbrachte für den „Beton brut“, den sichtbaren Beton, der die Stilrichtung des Brutalismus beschreibt, beträchtlich.
Begonnen hatte das Ehepaar recht unspektakulär mit einem Schwesternwohnheim in Wilmersdorf, 1963, ein unscheinbarer, braver Entwurf. Doch schon mit der Bruno-Lösche-Bibliothek in Moabit, Perleberger Straße 33, zeigt sich eine Tendenz zum brachialen Einsatz von Beton. Vielleicht prägte der Freiheitswille das Bauen in der „Frontstadt Berlin“: Man traute sich was im öffentlichen Raum. 1966 begannen die Bauten für die Wohnsiedlung am Zabel-Krüger-Damm am nördlichen Berliner Stadtrand. Im Auftrag des Wohnungsbauunternehmens GSW entstanden 2150 Wohnungen in Mischbauweise, verkleidet mit sogenannten Eternitplatten. Markantestes Bauwerk war das zerklüftete Hochhausgebirge von Hans Scharoun, der hier seine in Stuttgart-Fasanenhof entwickelte Stahlbetonbauweise weiterführte, entgegengesetzt schwingende, kreissegmentähnliche Hausteile. Das Ehepaar Hänska erhielt den Auftrag für die nicht gar so hochgeschossige Wohnbebauung Schluchseestraße – das gesamte Viertel ist nach romantischen Orten im Schwarzwald benannt – und aus der Intention der zweiten Nachkriegsmoderne, die ein gleichberechtigtes Nebeneinander von allen Einkommens- und Bildungsklassen abbilden sollte, ist der Wohnort erst einmal zum Stigma im umgekehrten Sinne der Absicht geworden. Es waren gerade diese Siedlungen, die viele der Bewohner wie mit einem unsichtbaren Aufkleber versehen zu gesellschaftlichen Außenseitern machte. Vielen Berlinerinnen und Berlinern kam es gar nicht in den Sinn, in das „Merkwürdige Viertel“ zu ziehen – zu trist, zu kalt, zu wenig Kiez-Atmosphäre. In einem ähnlich verfassten Wohnort der Moderne, in der Gropiusstadt, bauten die Hänskas von 1965 bis 1967 die Hermann-von-Helmholtz-Schule und eine Kindertagesstätte in der Wutzkyallee – strenge Architektur, das Gegenteil verspielter Leichtigkeit.
Gleichfalls ein Gewächs der Moderne: Auf das 16.500 Quadratmeter große Gelände an der Leonorenstraße 35 in Berlin-Lankwitz setzten die Hänskas in den Jahren 1963 bis 1967 die Landeslehranstalt für medizinisch-technische Assistenten. Es ist 2018 abgerissen worden. In den Jahren von 1969 bis 1972 begann das Ehepaar mit dem Entwurf für die Zentralen Tierlaboratorien der Freien Universität in Berlin-Lichterfelde – ein 1982 in Betrieb genommenes Bauwerk, das es in den Rang einer Ikone seiner Stilrichtung schaffte.
Ein Forschungslabor im Panzerkreuzer
Abgeschirmt von der Außenwelt und vom Tageslicht lagen die Laboratorien in einem riesigen Monster aus Sichtbeton, hermetisch abgeriegelt, ein abgetakeltes Kriegsschiff der Moderne – 117 Meter lang, 37 Meter breit und 23 Meter hoch – mit einem großen Garten in Richtung Teltow-Kanal. Man witzelte, das mit dem Namen „Mäusebunker“ versehene Ungetüm würde eines Tages im Kanal versinken. Tiefliegende Fenster, spitze Lichtgauben und Luftansaugstutzen, die wie Geschützrohre aussehen, geben der Universitätseinrichtung ein brachiales, abweisendes Äußeres. Die tetraederförmigen Fensterelemente sind wie bei historischen Festungsarchitekturen auf die glatte Außenwand gesetzt – eine Trutzburg – abgeschirmt, um das Gebäude vor Licht und Erwärmung durch Sonneneinstrahlung zu schützen.
Heute gehört der Mäusebunker zum Bestand des Klinik- und Forschungsverbunds der Charité, und auch wenn die Tendenz der Meinungen in Richtung Abriss geht, schielt man mit einem Auge auf den Fehling-Bau, das ehemalige Hygiene-Institut, das in nur unwesentlich eleganterer Architektur daherkommt und nun vom Fraunhofer-Institut genutzt wird. Die Charité hält allerdings eine sinnvolle Nutzung des Mäusebunkers aufgrund der Schadstoffbelastung, der nicht natürlichen Belüftung und der radikalen Bunkerarchitektur für nahezu unmöglich. Eine Untersuchung des Landesdenkmalamtes hingegen bestätigt inzwischen die Denkmalwürdigkeit beider Gebäude.
Wie das Monstrum umnutzen?
Häufig wird in der Literatur nicht Magdalena Hänska genannt, wenn von den Erbauern die Rede ist, sondern Kurt Schmersow, der projektverantwortliche Mitarbeiter, der auf dem Bauschild des Mäusebunkers verzeichnet war. Doch das Büro hieß zur Entstehungszeit Gerd und Magdalena Hänska. Bis zu ihrem Austritt war das Gebäude bis zum Farbkonzept im Inneren fertig entworfen. Wenn der dem Sichtbeton huldigende zeitgenössische Architekt Arno Brandlhuber begeistert von seinen Plänen für den Mäusebunker spricht, fällt der Name Magdalena Hänska jedenfalls nicht.
Einer der beiden Söhne von Magdalena, Thomas, wurde Architekt und führte das Büro zusammen mit seinem Vater fort. Heute werden im Architektenatelier der Hänskas in der Mommsenstraße hochwertige Taschen entworfen und produziert. Die Kreativität lebt bei den Hänskas fort.
Brandlhuber wiederum, der für den Galeristen Johann König erfolgreich die St. Agnes-Kirche in Kreuzberg in eine durch den vorhandenen Sichtbeton streng gegliederte Galerie umbaute, will den Mäusebunker in einen disziplinübergreifenden Kreativstandort umdefinieren. Mit einem offenen Brief („Lasst uns übernehmen – Wir nutzen um“) haben König und Brandlhuber ihre Idee des kulturellen Zentrums dem Charité-Vorstand, dem Berliner Kultursenator und dem Regierenden Bürgermeister vorgeschlagen: einen Treffpunkt aus Kunst, Kultur und Wissenschaft mit Ausstellungsflächen, Ateliers, Start-up-Büros, aber auch mit Räumen für die Universitäten. Ein für alle offenes Zentrum, das wünscht sich auch Thomas Hänska für das Vermächtnis seiner Eltern.
Silke Kettelhake
Beat in den Bunker
Das Institut für Hygiene, das von dem Architekturbüro Fehling + Gogel entworfen wurde, steht dem Mäusebunker von Gerd und Magdalena Hänska gegenüber, verbunden durch einen Tunnel. Beides sind Denkmale ihrer Zeit, doch während das Hygiene-Institut unter Denkmalschutz steht und weitergenutzt wird, ist die Debatte um Abriss oder Neugestaltung der 22.000 Quadratmeter Fläche des Mäusebunkers weiter unentschieden. Ein zweistelliger Millionenbetrag sei notwendig, um erst einmal das Gebäude in den Rohzustand zurückzuversetzen. 95 Prozent des Gebäudes sind ohne natürliche Belichtung. Das größte Problem: die Asbest-Belastung. 2017 beantragte die Charité den Abriss des Gebäudes.
Jedenfalls hat Berlin mit dem Mäusebunker einen Vorzeigefall in Sachen brutalistischer Architektur– im Ranking der weltweiten Aufmerksamkeit für Bauwerke, die verstören, ganz oben. Zu Bauzeiten, als die Kosten die Kalkulation um das 37-fache überschritten, bot der nicht endende Stadtplanungsskandal schon Raum für Nutzungsideen wie die, man solle den Klotz doch bitte in einen „Beat-Schuppen“ umwandeln.
eska
Architekturgeschichte zum Brutalismus:
www.monumente-online.de/de/ausgaben/2018/1/Brutalismus.php
Projekte des Architekten Arno Brandlhuber:
www.bplus.xyz
30.05.2024