Mit der Wohnungspolitik und dem Städtebau hat die EU auf den ersten Blick nichts zu tun. Das ist ein Politikfeld, das den Mitgliedsstaaten überlassen bleibt. In einem föderalen Staat wie Deutschland werden die staatlichen Aufgaben nach dem Subsidiaritätsprinzip verteilt. Das heißt: Die Aufgaben werden auf der niedrigstmöglichen Ebene wahrgenommen, auf der sie sinnvoll erledigt werden können. Die konkrete Bauplanung wird also in den Städten und Gemeinden vorgenommen, die Förderung des Sozialen Wohnungsbaus und die Bauordnung sind Ländersache, und auf Bundesebene wird ein einheitliches Bau- und Mietrecht gewährleistet.
In der 27-köpfigen Europäischen Kommission, die sonst fast jedes Politikressort abdeckt, gibt es deshalb keine:n Kommissar:in für Bau- und Wohnungspolitik. Daran erkennt man noch die Wurzeln der EU in der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG), der es vor allem darum ging, Handelshürden zu beseitigen und der Wirtschaft in den Mitgliedsstaaten gleiche und gerechte Bedingungen zu bieten. Im Bereich der Wohnungswirtschaft sah man keinen grenzüberschreitenden Regelungsbedarf, weil das Bauen und Wohnen ausgesprochen ortsgebunden stattfindet.
Nationale Wohnbaufördermittel unter EU-Kontrolle
Auf diesem Politikfeld wirkt die EU nationalen Vorhaben entgegen. Die Förderprogramme der einzelnen Staaten stehen unter strenger europäischer Aufsicht. So erschweren die EU-Schuldenregeln direkte öffentliche Investitionen in den Wohnungsbau. Die Wettbewerbs- und Beihilferegelungen setzen die Förderung des Sozialen Wohnungsbaus immer wieder unter großen Rechtfertigungsdruck: Kein Detail der Förderbedingungen darf jemanden ungerechtfertigt benachteiligen. Hierzulande sind Bund, Länder und Gemeinden damit in ihrer politischen Gestaltungsfreiheit deutlich eingeschränkt.
Dringender erforderlich wäre ein europaweites Vorgehen auf dem Immobilienmarkt. Wohnungen werden mittlerweile zu Zehntausenden international als Spekulationsobjekte gehandelt, Gewinne werden in Steueroasen verschoben und die Besitzverhältnisse mit einem Geflecht aus Schein- und Briefkastenfirmen verschleiert. Beispiele dafür findet man nicht nur auf fernen Karibikinseln, sondern auch innerhalb der EU: in Luxemburg, Zypern, Irland oder den Niederlanden.
Abschreckung auch für mächtige Gegner
Die Linke im Europaparlament fordert deshalb, die Steueroasen in der EU zu schließen und ein transparentes Immobilienregister einzuführen, damit man weiß, wer die Gewinne macht und wo sie zu versteuern sind. Die Grünen schlagen einen Renditedeckel für Immobilienkonzerne und die Gesundheitsbranche vor. Weil Wohnen und Pflege zur Daseinsvorsorge gehören, sollten Finanzinvestoren die Gewinne nicht mehr vollständig an ihre Aktionär:innen ausschütten können, sondern in den Betrieb investieren müssen. So würde auch der Druck auf die Mieten geringer.
Das wären große Aufgaben für das Europaparlament und die Kommission. Und dass die EU sich nicht von mächtigen Gegnern abschrecken lässt, hat sie mit ihren milliardenschweren Strafverfahren gegen Tech-Giganten wie Microsoft, Google, Facebook und Intel gezeigt. Europa ist nicht machtlos.
Jens Sethmann
Regional- und Stadtpolitik unterhalb des Radars
Die Europäische Kommission hat von jeher ihren Schwerpunkt in der Wirtschafts- und Finanzpolitik. Schon in der ersten EG-Kommission von 1967 gab es unter den 14 Kommissaren je einen für Wirtschaft, Landwirtschaft, Industrie, Binnenmarkt, Außenhandel und Haushalt. Weil seit 2004 jedem Mitgliedsstaat ein Kommissionsposten zugestanden wird, mussten mit der Erweiterung der EG beziehungsweise EU die Zuständigkeiten nach und nach aufgesplittet werden. Zwar gibt es in der Kommission seit 1973 ein eigenes Ressort für Regionalpolitik. Aktuell ist es aber nur eine Unterabteilung des Kommissariats für Kohäsion und Reform, das von der Portugiesin Elisa Ferreira geführt wird. Dort werden auch stadtpolitische Themen mitbehandelt. Die nichtssagende Ressortbezeichnung und die ausschließlich auf Englisch vorgelegten Berichte mögen dazu beigetragen haben, dass die Arbeit dieser Abteilung weitgehend unterhalb der Aufmerksamkeitsschwelle geblieben ist.
js
29.05.2024