Das Parlament der Europäischen Union mit Sitz in Straßburg wird seit 1979 alle fünf Jahre von den EU-Bürger:innen gewählt – in 27 nationalen Abstimmungen. In Deutschland dürfen dieses Jahr am 9. Juni erstmals auch 16- und 17-Jährige wählen.
Die aktuell 705 Sitze des Europäischen Parlaments (EP) – von denen 41 Prozent Frauen innehaben – werden ab der kommenden Wahlperiode auf 720 aufgestockt, um das europäische Bevölkerungswachstum auch im Parlament abzubilden. In Deutschland wird es auch künftig bei den 96 Sitzen bleiben, andere Länder gewinnen Sitze hinzu: Frankreich etwa hat dann zwei mehr – insgesamt 81; für Dänemark und die Slowakei wächst die Anzahl um jeweils einen Sitz auf 15.
Die Abgeordneten verschiedener Mitgliedsländer schließen sich entsprechend ihrer politischen Ausrichtungen zu Fraktionen oder „Parteienfamilien“ zusammen. Aktuell sind sieben Fraktionen vertreten: EVP (Christdemokraten, Konservative, 177 insgesamt/30 deutsche Abgeordnete); S&D (Sozialdemokraten, 139/16); Renew (Liberale, Zentristen, 102/7); Grüne/Europäische Freie Allianz (72/25); EKR (EU- Konservative und -Reformer, 68/1); ID (Rechtspopulisten, Rechtsextreme, 59/9); Die Linke (37/5). Auch 50 Fraktionslose sitzen im EU-Parlament, davon drei aus Deutschland (Infobox Fraktionslos im Parlament).
Die Fraktion der Progressiven Allianz der Sozialdemokraten (das Kürzel S&D kommt vom englischen „Progressive Alliance of Socialists & Democrats“), besteht beispielsweise aus den Mitgliedern der Sozialdemokratischen Partei Europas (SPE). Diese wiederum setzt sich aus 33 nationalen sozialdemokratischen und sozialistischen Parteien wie der deutschen SPD und der irischen Labour Party zusammen. Teil der Fraktion sind auch einige parteilose Mitglieder, die programmatisch der Sozialdemokratie nahestehen.
Gnadenbrot oder Karriere-Katapult?
Das Arbeitsplatz-Image hat sich verändert
Das geflügelte Wort „Hast du einen Opa, schick ihn nach Europa“ stand für die früher verbreitete Praxis, „ausgediente“ Politiker:innen zu einer Europakandidatur zu drängen – quasi aufs Altenteil abzuschieben. Die aktuelle EU-Kampagne „Oma Courage“ der FDP-Bundestagsabgeordneten und EP-Bewerberin Strack-Zimmermann spielt mit dieser Phrase.
Die nicht ganz von der Hand zu weisende Praxis hat sich in den vergangenen Jahren aber stark geändert. Das Redaktionsnetzwerk Deutschland schreibt in einem aktuellen Beitrag, das EP sei „inzwischen ein regelrechtes Karrieresprungbrett“. Das verwundert nicht, wenn man weiß, dass es als Entscheidungsgremium immer wichtiger wird – und das nicht erst, seitdem Krieg in Europa herrscht. Auch das sinkende Durchschnittsalter der Parlamentarier:innen – heute 49,5 Jahre, vor fünf Jahren noch 53 Jahre – dokumentiert Veränderung.
Mit dem Thema „Housing“, also Wohnen und Mieten, beschäftigt sich der Ausschuss für Beschäftigung und soziale Angelegenheiten (kurz EMPL), dem auch zwölf Deutsche angehören. Darunter sind Katrin Langensiepen (Grüne/EFA) als Vize-Vorsitzende des Ausschusses und Özlem Demirel-Böhlke (Linke), die zuvor als Landtagsabgeordnete in Nordrhein-Westfalen wohnungspolitische Sprecherin ihrer Fraktion war.
2021 hat sich das Parlament intensiver mit dem Thema Wohnungsnot auseinandergesetzt – und die EU-Länder aufgefordert, Zugang zu angemessenem und erschwinglichem Wohnraum als durchsetzbares Menschenrecht anzuerkennen (hierzu unser Interview mit dem EU-Kommissar Nicolas Schmit).
2023 hat das EP außerdem über neue EU-Vorschriften für mehr Transparenz bei der kurzfristigen Vermietung von Unterkünften entschieden (Einzelheiten im Beitrag „Wo Europa mitwohnt und mitbaut“).
Wohlbekannte Gesichter bei den deutschen EU-Anwärter:innen
Der laufende Wahlkampf konzentriert sich vor allem auf die Spitzenkandidat:innen der Parteien. Für die CDU ist das Ursula von der Leyen. Die ehemalige Bundesministerin steht zwar auf keiner Wahlliste – möchte aber wieder EU-Kommissionspräsidentin werden. Für Berlin ist erneut Hildegard Bentele CDU-Spitzenkandidatin. Die SPD stellte – wie 2019 – Katarina Barley als Frontfrau auf. Sie war in der Vergangenheit Bundesjustizministerin, Bundesfamilienministerin und SPD-Generalsekretärin. Auf Platz 7 der Liste findet sich Gaby Bischoff. Die Berlinerin ist bereits EP-Abgeordnete – und Mitglied im Sozialausschuss. Die FDP wird von der Bundestagsabgeordneten Marie-Agnes Strack-Zimmermann in den Europa-Wahlkampf geführt. Auf Platz 11 ihrer Liste findet sich mit Anastasia Vishnevskaya-Mann die erste Freidemokratin aus Berlin. Spitzenkandidatin bei den Grünen – auch EU-weit – ist Terry Reintke. 2014 war sie als damals jüngste Abgeordnete ins EP eingezogen. Auf Platz 2 und 3 folgen mit Sergey Lagodinsky und Anna Cavazzini zwei Berliner:innen – ebenso auf Platz 5 mit Hannah Neumann – Vorsitzende des Grünen-Kreisverbandes Lichtenberg – und Platz 8 mit Erik Marquardt. Alle vier Grüne sind ebenfalls bereits Europaabgeordnete. Die AfD schickt Maximilian Krah auf Platz 1 ins Rennen.
Der als Hardliner geltende EU-Parlamentarier geriet zuletzt wegen möglicher Geldzahlungen aus dem Ausland und eines für China spionierenden Mitarbeiters in die Schlagzeilen. Auf den Listenplätzen 15 und 29 finden sich mit Alexander Sell und David Christopher Eckert zwei Berliner. Die Linke will mit einem Spitzenduo punkten: Wie 2019 ist das der gebürtige Berliner Martin Schirdewan – dieses Mal mit Carola Rackete an seiner Seite. Die Aktivistin wurde als Kapitänin bekannt, die mit robustem Auftreten gegenüber lokalen Behörden Flüchtlinge aus Seenot im Mittelmeer rettete. Schirdewan war Schattenberichterstatter zum „Digital Services Act“, der Internetfirmen in die Pflicht nimmt – darunter auch Plattformen für Kurzzeitvermietungen wie Airbnb.
Neu dabei in diesem Jahr sind unter anderem das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) und die Klima-Aktivist:innen der „Letzten Generation“.
Auch zahlreiche Kleinparteien sind im Wahlkampf vertreten. Denn bei der Europwahl gibt es in Deutschland – wie in rund der Hälfte der EU-Mitgliedsstaaten – keine Prozenthürde.
Katharina Buri
Fraktionslos im Parlament
Wenn der deutsche Abgeordnete Martin Sonneborn (Die Partei) im Europäischen Parlament an das Rednerpult tritt, muss er sich kurzfassen. Meist steht ihm nur eine Minute Redezeit zur Verfügung. Der Grund: Er ist fraktionslos, gehört also keiner der derzeit sechs Parteienfamilien im EP an. Dadurch verfügt er auch über weniger Büroräume, Personal und finanzielle Mittel.
Dieses Schicksal teilen derzeit 50 Abgeordnete (Stand 24. April 2024). Ein Teil von ihnen gehört kommunistischen oder rechtsextremen Parteien an. Diese lehnen das Parlament und die EU grundsätzlich ab und haben nur aus Repräsentanzgründen Kandidaten aufgestellt. Besonders traf dies naturgemäß auf die Abgeordneten der britischen Brexit-Partei zu, die bis zu ihrem Austritt aus dem Parlament am 31. Januar 2020 ebenfalls fraktionslos waren. Die Ziele des Satirikers Sonneborn hingegen sind Kritik und Aufklärung – nach dem Motto „Europa nicht den Leyen überlassen“.
Stefan Klein
Die Parteien zu den wichtigsten Themen aus Mietersicht
Der Berliner Mieterverein hat allen Berliner Kandidat:innen acht Wahlprüfsteine vorgelegt, Fragen zu den wichtigsten Themen aus Mieter:innensicht. Drei davon stellen wir hier exemplarisch vor: Auf die Frage, ob sie eine Anerkennung des Rechts auf Wohnen als grundlegendes Menschenrecht befürworten, antworten Grüne, Linke und Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) mit ja. Auch die SPD schreibt, sie habe den entsprechenden EU-Parlamentsbeschluss unterstützt. Die CDU bleibt vage, während die FDP „keinen Bedarf an weiterer Rechtsprechung“ erkennnt.
Die Festlegung einer Obergrenze der „warmen“ Wohnkosten von 25 Prozent des verfügbaren Haushaltseinkommens bis 2030 befürworten Linke und BSW, auch die SPD will den Überbelastungs-Referenzwert von 40 auf 25 Prozent senken. Die Grünen geben an, unter anderem „die Mietpreisbremse verlängern und verschärfen“ zu wollen. Die FDP lehnt den Vorschlag ab. Die CDU schreibt, das Land Berlin habe versucht, das Problem durch Regulierung unter anderem mit Mietpreisbremse und Mietendeckel zu lösen, was die Situation aber weiter verschärft habe und daher nicht wiederholt werden sollte.
Die Zielsetzung, bis 2030 in jedem EU-Mitgliedsstaat und jeder EU-Gemeinde eine Quote von mindestens 30 Prozent sozialen und bezahlbaren Wohnraum anzustreben, befürwortet die Linke. Das BSW sieht dies zwar grundsätzlich positiv, lehnt aber die Ausweitung von EU-Kompetenzen ab. Die SPD hält den Vorschlag für „bedenkenswert“, die Grünen fordern einen „speziellen EU-Fonds“ mit Mitteln dafür. Die CDU lehnt den Vorschlag mit dem Hinweis darauf ab, er sei für Gemeinden mit hohem Leerstand nicht sinnvoll. Die FDP erachtet „zielgenaue Maßnahmen der einzelnen Länder“ für sinnvoller.
kb
www.berliner-mieterverein.de/aktuelles/europawahl-2024-die-wahlpruefsteine-des-berliner-mietervereins.htm
03.06.2024