„Nationaler Aktionsplan gegen Wohnungslosigkeit“: Die Ampel-Koalition präsentiert das Papier mit dem kraftvollen Namen als Startschuss für nicht weniger als die Überwindung von Wohnungslosigkeit innerhalb der nächsten sechs Jahre. Beteiligte Akteure kritisieren jedoch, dass die Inhalte des Plans bereits bekannt sind und es nun vor allem an innovativen, konkreten Maßnahmen fehle. Wir haben uns angeschaut, was der Aktionsplan tatsächlich zu bieten hat.
Wer in der Stadt lebt, erlebt täglich das Scheitern der deutschen Wohnungspolitik. Die Zahl der Menschen ohne feste Bleibe ist in den vergangenen Jahren stetig gestiegen, ebenso wie die Zahl derer, die selbst kurzfristig kein Obdach finden. Doch Obdachlosigkeit ist als offensichtlichste und schlimmste Form der Wohnungslosigkeit nur die Spitze des Eisbergs: Schätzungen der Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe (BAG W) zufolge sind über 600.000 Menschen in Deutschland ohne Wohnung. Sie schlafen bei Freunden, Familie oder in Unterkünften, etwa jede zehnte Person aber auf der Straße.
SPD, Grüne und FDP haben sich im Koalitionsvertrag darauf geeinigt, bis 2030 Obdachlosigkeit überwinden zu wollen. Ende April präsentierte Bundesbauministerium Klara Geywitz (SPD) den Nationalen Aktionsplan gegen Wohnungslosigkeit (NAP). Er wird als Startschuss für ein koordiniertes Handeln von Akteuren aus Staat, Zivilgesellschaft und Wirtschaft auf allen föderalen Ebenen vorgestellt, um Wohnungslosigkeit zu bekämpfen.
Der im März veröffentlichte Referentenentwurf zog Stellungnahmen beteiligter Akteure wie der BAG W, dem Deutschen Mieterbund (DMB) oder dem Bundesverbands deutscher Wohnungs- und Immobilienunternehmen (GdW) nach sich. Die Analyse dessen, was im Referentenentwurf aufgenommen wurde und was es letztlich in die Endfassung schaffte, wirft Fragen auf: Auf wessen Interessen und Expertise legt die Bundesregierung Wert? Kann und will der NAP wirklich Veränderung bewirken? Oder dient der Plan lediglich dazu, den Anschein zu erwecken, dass die im Koalitionsvertrag festgelegten Ziele verfolgt werden?
Erfassung von Wohnungslosen und Bestandsaufnahme
Definitiv zu begrüßen ist, dass das Statistische Bundesamt seit 2022 jährlich Daten über Personen erhebt, die „von den Kommunen oder mittels Kostenerstattung der Kommunen durch freie Träger wegen Wohnungslosigkeit untergebracht werden“ (NAP, S. 7). Dabei werden Informationen wie Geschlecht, Alter und Nationalität erfasst. Allerdings beschränkt sich der Inhalt der 40-seitigen Dokumentation des Aktionsplans überwiegend auf eine Bestandsaufnahme, die Bekräftigung gemeinsamer Werte und die Darstellung von Leitlinien für das nationale Forum gegen Wohnungslosigkeit.
Das Forum soll den Aktionsplan unabhängig von politischen Mehrheitsverhältnissen bearbeiten können und umfasst Akteure verschiedener föderaler Ebenen, einschließlich verschiedener Ministerien, der Bauministerkonferenz und des Deutschen Städtetags. Einem beratenden Lenkungskreis gehören nichtstaatliche Akteure wie die Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe (BAG W), der Deutsche Mieterbund (DMB), der Bundesverband deutscher Wohnungs- und Immobilienunternehmen e. V. (GdW), die Selbstvertretung wohnungsloser Menschen und die Gesellschaft für innovative Sozialforschung und Sozialplanung (GISS e. V.) an.
Man wolle von nun an Jahresprogramme entwickeln, erklärt der NAP. Am Ende des Dokuments befindet sich eine Übersicht über laufende Maßnahmen in den einzelnen Bundesländern, die von verschiedenen Trägern durchgeführt werden, sowie eine Tabelle, die die Maßnahmen und die zugehörigen Leitlinien kurz auflistet. Um festzustellen, welche Maßnahmen neu sind und welche bereits beschlossen wurden, ist eine eigenständige Recherche erforderlich. Die aufgeführten Maßnahmen umfassen von der Bundesregierung bereits bewilligte „Finanzhilfen für den sozialen Wohnungsbau“ in Höhe von 18,15 Milliarden Euro für den Zeitraum 2022 bis 2027 bis hin zu allgemeinen Bekundungen wie der „Verbesserung der Rahmenbedingungen für den Wohnungsneubau“.
Unzureichender Schutz der Wohnungslosen
Die BAG W hatte ursprünglich scharfe Kritik am Referentenentwurf, insbesondere hinsichtlich der Rechte von Wohnungslosen, geübt. Es sei „nicht akzeptabel, dass Empfehlungen zur baulichen Ausgestaltung und Ausstattung ordnungsrechtlicher Unterkünfte nur als ‚möglicherweise sinnvoll‘ angesehen werden“. Da es sich „bei der Gefahrenabwehr um einen Schutz von Grundrechten handelt und nicht um eine sozialrechtliche Maßnahme”, sind die Kommunen „zur Unterbringung verpflichtet“.
Die bemängelte Passage wurde nicht angepasst und betont eher Sinn und Funktion der Notunterkünfte im Kontext der öffentlichen Sicherheit, anstatt den Schutz der Wohnungslosen in den Vordergrund zu stellen. Der Punkt wirft Licht auf zwei Aspekte: Mangelnde Standards in Unterkünften und die Rechtfertigung, dass diese nur für die übergangsweise Unterbringung gedacht sind – was sie laut Wohnungslosenbericht des Bundes 2022 de facto aber oft nicht sind. Fast die Hälfte der Betroffenen lebt seit über zwei Jahren in solchen Einrichtungen, während nur zehn Prozent kürzer als acht Wochen untergebracht sind.
Ineffiziente Unterbringung von Geflüchteten
Eine große Gruppe an Wohnungslosen, die strukturell besonders lang in notdürftigen Unterkünften verweilen muss, sind Geflüchtete. Dabei gelten Grundrechte auch für sie, unabhängig vom Pass. Ob Inkompetenz oder kalkulierte Abschreckung schuld sind, ist nicht klar, jedoch herrschen menschenunwürdige Zustände in Geflüchtetenunterkünften. Wir erinnern uns an Tegel, wo ein gefährlicher Brand für Schlagzeilen gesorgt hatte und viele weitere desaströse Zustände vorherrschen.
Die Bewohner:innen haben entweder keinen Zugang zum oder keine Chancen auf dem regulären Wohnungsmarkt. Damit nicht genug: Die Unterbringung ist preislich extrem ineffizient. Laut einer Anfrage von Pro Asyl kostet das Lager mit etwa 5.000 Plätzen Berlin fast eine halbe Milliarde Euro im Jahr. Der Abgeordnete Jian Omar (Grüne) nennt 260 Euro pro Person am Tag. Dass man von dem Geld jedes Jahr bezahlbare Wohnungen bauen könnte, steht außer Frage, doch der NAP lässt konkrete Ansätze für eine nachhaltige Strategie zur Wohnraumversorgung für Geflüchtete vermissen.
Mangel an schützendem Mietrecht
Der DMB, Dachverband des Berliner Mietervereins, konzentriert sich vor allem auf präventive Aspekte des Mietrechts. Ein zentrales Thema ist dabei seit Jahren die Reform der Schonfristzahlung, die auch im Koalitionsvertrag der Ampel vorgesehen ist. Maßnahme 15 im NAP will zwar mietrechtliche Maßnahmen aus dem Koalitionsvertrag umsetzen, fokussiert jedoch hauptsächlich auf die bereits verlängerte Mietpreisbremse. Man könnte denken, im NAP würden die bisherigen Bestrebungen als origineller Teil des „neuen“ Programms aufgeführt – doch allein das Wort „Schonfrist“ findet sich nicht ein einziges Mal. Die Reform soll verhindern, dass die ordentliche Kündigung des Mietverhältnisses wegen Mietschulden wirksam wird, wenn der offene Betrag innerhalb einer Schonfrist beglichen wird. Denn gerade diese mietrechtliche Stellschraube könnte viele Menschen vor der Wohnungslosigkeit bewahren: Laut Wohnungslosenbericht 2022 verloren fast die Hälfte aller Wohnungslosen ihre Bleibe wegen Mietschulden.*
Bezahlbare Mieten als zentraler Baustein
Um noch effektiver gegen die Ursachen von Wohnungslosigkeit vorzugehen, bemängelt der DMB im NAP das Fehlen klarer Regelungen zu Miethöhen. Der „Bundesjustizminister wird daher aufgefordert, seine Verweigerungshaltung zu jeder Mietrechtsreformdiskussion aufzugeben“. Um den in Großstädten oft im zweistelligen Prozentbereich steigenden Angebotsmieten entgegenzuwirken, fordert der DMB die Einführung eines umfassenden Mietenstopps für mindestens fünf Jahre. Außerdem müssten alle Mieten (auch die von gefördertem Wohnraum und unverändertem Bestand) in die Berechnung der Mietspiegel einfließen, um die Effektivität der Mietpreisbremse zu stärken. Ausnahmen von der Bremse sollten gestrichen und Zuwiderhandlungen durch eine Reform des Wirtschaftsstrafgesetzes sanktioniert werden. Ferner wird gefordert, Indexmietverträge zu verbieten und für bestehende Verträge eine Kappungsgrenze einzuführen. Ziel aller dieser mietrechtlichen Forderungen ist es, bezahlbaren Wohnraum zu sichern und wirksam gegen die Preisspirale vorzugehen.
Ambitionierte Ziele, aber mangelnde Kompetenz über die nötigen Mittel
„Jede Person, die obdachlos ist, soll bis 2030 ein passendes Wohnungsangebot erhalten“, schreibt die Bundesregierung über den NAP. Sowohl Wohnungslosenverbände als auch Vermietende betrachten dieses Ziel als „sehr ambitioniert“, um es vorsichtig auszudrücken. Die aufgeführten Maßnahmen sind entweder nicht neu, oder bleiben vage formuliert und ihre Erfüllung nicht messbar.
Auch mangelt es an der finanziellen Unterfütterung: Der NAP stellt klar, dass zusätzliche finanzielle und personelle Ressourcen nur dann vom Bund bereitgestellt werden können, wenn ihm die entsprechende Gesetzgebungs- und Verwaltungskompetenz zusteht. Diese Mittel müssen zudem aus den vorhandenen Haushaltsansätzen und innerhalb des Stellenplans der jeweiligen Bundeshaushalte gedeckt werden (NAP, S. 20). Am Ende können SPD und Grüne die Schuld für ausbleibenden Mieterschutz und mangelnde Finanzierung von sozialem Wohnungsbau womöglich auf den kleinsten Koalitionspartner FDP schieben: Die Partei stellt sowohl den Justiz-, als auch den Finanzminister, die für entsprechende Lösungen zuständig wären. Das stimmt auch uns nicht optimistisch, dass der NAP eine Erfolgsgeschichte sein wird.
Fazit: Symbolcharakter statt konkrete Lösungen
Alle Akteure, die sich für Wohnungslose einsetzen, weisen nachdrücklich auf einen Punkt hin: Ohne ausreichend bezahlbaren Wohnraum lässt sich die Wohnungslosigkeit nicht überwinden. Doch gerade zu diesem Aspekt finden sich im NAP keine neuen Maßnahmen. Es bleibt maximal bei Absichtserklärungen, die auch die renditeorientierte Wohnungswirtschaft unterschreiben könnte. „Leider fehlen im NAP-Entwurf an vielen Stellen konkrete Lösungen, wie wohnungslose Menschen, die mit besonders hohen Zugangshürden zum Wohnungsmarkt konfrontiert sind, mit bezahlbarem Wohnraum versorgt werden sollen“, kritisiert BAG-W-Geschäftsführerin Sabine Bösing. Immerhin hat der NAP Symbolcharakter und kann als verbindlich für die aktuelle Bundesregierung gelten.
ml
* Im Falle von Mietschulden kann nur die fristlose Kündigung durch Begleichung dieser geheilt werden. Die ordentliche fristgemäße Kündigung wird durch die Begleichung der Mietschulden hingegen nicht geheilt.
22.05.2024