Die Wohnungsgeberbestätigung ist quasi die Eintrittskarte ins gesellschaftliche Leben in Berlin – und für Migrant:innen meist nur schwer zu bekommen. Wir sprachen mit Luzia von der Initiative Ciudad Migrante über die besonderen Herausforderungen der Zugezogenen aus aller Welt und über mögliche Lösungen.
Vor Kurzem hat das Casa Popular Marielle Franco seine Türen geöffnet. Die bunt geschmückten Räume in einem Kellerladen in der Kreuzberger Solmsstraße sind ein Projekt des Bloque Latinoamericano Berlin und des Bildungszentrums Lohana Berkins. Verschiedene Gruppen mit Bezug zu Lateinamerika nutzen die Räume regelmäßig. Wir treffen hier Luzia, um etwas über die Kampagne „Anmeldung für Alle“ zu erfahren. Die Brasilianerin lebt seit vier Jahren in Berlin und engagiert sich in der Initiative Ciudad Migrante.
Luiza, wann hat sich euer Bündnis gebildet und wer beteiligt sich?
Das Bündnis entstand Ende 2023, Ciudad Migrante startete damals die Kampagne. Nach einer Reihe von Workshops haben wir festgestellt, dass die Anmeldung beim Bürgeramt für viele ein großes Problem ist. Das Thema wollten wir aber zusammen mit anderen Organisationen vorantreiben, weil es nicht nur ein Problem lateinamerikanischer Migrant:innen ist. Also haben wir die Kampagne zusammen mit Right to the City im Dezember offiziell gestartet. Aktuell unterstützen uns 25 Gruppen. Ganz aktiv dabei sind zum Beispiel auch Asamblea Migrante, Oficina Precaria und Berlino Possibile.
Wieso ist es so ein großes Problem, sich in Berlin anzumelden?
Wenn man in Berlin ankommt und sich beim Bürgeramt anmelden möchte, braucht man eine Wohnungsgeberbestätigung. Wer eine Wohnung sucht, findet aber hauptsächlich Wohnraum zur Untermiete. Die Untervermietungen sind meistens nicht mit den Vermieter:innen abgesprochen, weshalb die Untermietenden keine Wohnungsgeberbestätigungen erhalten. Es ist ein Problem mit dieser Bürokratie, die eigentlich dazu beitragen sollte, die Ressourcen der Stadt richtig zu verteilen – durch die Wohnungskrise in Berlin und die inoffizielle Untermiete als Hauptwohnform, insbesondere für Neuankömmlinge, ist die Anmeldung zu einem Problem geworden.
Wieso wollen Hauptmieter:innen eher eine Untermiete machen – also ohne Anmeldung?
Viele sind nur für einen Monat, für ein Semester oder auch länger weg , aber sie wissen, dass es schwierig wird, danach wieder eine Wohnung zu finden. Also wollen sie den Mietvertrag nicht aufgeben. Aus Angst, Vermietende könnten die Untermiete verbieten, sprechen sie sie nicht ab – selbst, wenn sie ein Recht darauf hätten. Außerdem können die Mieter:innen bei inoffizieller Untermiete die Preise frei bestimmen. Ich denke, viele nutzen das aus, um ein bisschen Umsatz zu machen.
Und welchen Nachteil haben dann Menschen, die sich nicht anmelden können?
Ohne Anmeldung bleibt man von vielen Grundrechten ausgeschlossen. Man erhält keine Steuer-ID Nummer, kann kein Bankkonto eröffnen, kann nicht in eine Krankenkasse eintreten. Sehr oft ist die Anmeldung auch eine Voraussetzung, um einen Arbeitsvertrag unterzeichnen zu können. Für manche dieser Probleme gibt es Lösungen, die aber immer mit einem komplizierten Prozess verbunden und manchmal auch illegal sind. Für andere – beispielsweise die nötige Anmeldung für einen Aufenthaltstitel – gibt es keine Umwege. Ich habe noch nie eine Person gesehen, die es geschafft hat, ohne Anmeldung einen Aufenthaltstitel zu bekommen oder zu verlängern.
Und wie beeinflussen diese Umstände wiederum die Möglichkeit, sich anmelden zu können?
Das nennen wir den Teufelskreis der Anmeldung: Ohne Anmeldung ist es schwierig, ein Bankkonto zu eröffnen oder einen Arbeitsvertrag zu unterzeichnen. Und ohne das ist es wiederum schwierig, eine reguläre Wohnung anzumieten, in der dann auch die Anmeldung möglich ist.
Welche Gruppen sind besonders betroffen von diesem Problem?
Wir sehen Migrant:innen als besonders betroffen, denn das sind Gruppen, die in Berlin ankommen und keine Möglichkeit haben, zum Beispiel bei ihren Eltern angemeldet zu bleiben. Auch eine sogenannte Scheinanmeldung bei Freunden wird kriminalisiert. Für Migrant:innen ist das Risiko höher, dabei erwischt zu werden, weil unsere Aufenthaltstitel davon abhängen, ob unsere Führungszeugnisse sauber sind. Letztendlich entscheidet also der Wohnungsmarkt und der Wille der Vermieter:innen, ob wir hierbleiben können. Frauen sind besonders betroffen. Ich kenne sogar Fälle, in denen Vermieter:innen, die Aussicht auf eine Wohnung mit Anmeldung ausgenutzt haben, um potenzielle Mieter:innen sexuell zu belästigen.
Welche strukturellen Probleme in der Gesellschaft führen dazu, dass so eine Problematik besteht?
Die Immobilienkrise in Berlin generell – die Anmeldung ist ein bürokratisches Problem, aber es müsste kein Problem sein. Deswegen ist uns in der Kampagne auch wichtig zu betonen, dass die Anmeldung nicht das Ende von allem ist. Eine unserer Forderungen ist, dass es eine permanente Lösung für die Wohnungskrise gibt.
Was sind eure Forderungen, um das spezifische Problem der Anmeldung zu lösen?
Allem voran steht die Forderung nach einer permanenten Lösung für die Wohnungskrise. Zudem
fordern wir die Entkriminalisierung von solidarischen Aktionen wie der Scheinanmeldung und eine universelle Anmeldestelle. Dort sollen sich alle anmelden können, die gerade noch eine Wohnung suchen, sie sollen dort Post empfangen können und alle mit einer Anmeldung zusammenhängenden Rechte erhalten. Etwas Ähnliches gibt es für Obdachlose in Berlin: Sie können sich mit dem Status „ohne festen Wohnsitz“ anmelden und ihre Post bei Institutionen der Stadt Berlin dann abholen. Alternativ könnte man die Notwendigkeit der Wohnungsgeberbestätigung abschaffen.
Wer sind Verbündete in diesem Kampf?
Generell Organisationen und Individuen, die sich mit dem Thema Wohnen und Stadt beschäftigen oder mit anderen Themen wie Migration oder Jugend. Die sind alle wichtig und willkommen, wir möchten auf jeden Fall, dass die Kampagne noch wächst.
Wie macht ihr jetzt weiter?
Wir versuchen, weiterhin Druck aufzubauen, auf der Straße präsent zu sein und zu informieren. Wir waren bei der Mietenwahnsinn-Demo mit einem eigenen Block. Auch beim Recht auf Stadt Forum haben wir mit einem eigenen Workshop teilgenommen. Es sind aktuell weitere Veranstaltungen geplant.
Danke für das Gespräch!
Das Interview führte Moritz Lang
Sie wollen die Kampagne unterstützen? Hier gibt es mehr Informationen.
Infoblock Ciudad Migrante
Die Initiative Ciudad Migrante ist 2022 aus dem Umfeld des Bloque Latinoamericano Berlin entstanden. Sie ist eine Gruppe engagierter Lateinamerikaner:innen, die Workshops zum Austausch über verschiedene Themen wie Wohnen und bürokratische Hürden veranstalten und politisch auf Demos aktiv sind.
18.07.2024