Die sechs landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften sollen 63 Prozent ihrer Wohnungen an Haushalte mit niedrigem und mittlerem Einkommen vermieten. Welche Wohnungen an welche Einkommensgruppen gehen, ist undurchsichtig. Der Senat hat die Kontrolle über seine Wohnungsunternehmen deutlich zurückgefahren und damit auch die Transparenz verschlechtert.
Seit Monaten ist Beatrice F. erfolglos auf der Suche nach einer günstigen Wohnung. Ihr Nettoeinkommen liegt unterhalb der Grenze für den Wohnberechtigungsschein (WBS) 140, mit dem in Berlin ein niedriges Einkommen definiert ist. Für einen Einpersonenhaushalt sind das bis zu 1400 Euro im Monat. Die landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften Degewo, Gesobau, Gewobag, Howoge, Stadt und Land sowie WBM sind durch eine Kooperationsvereinbarung mit dem Senat dazu verpflichtet, 63 Prozent aller zur Wiedervermietung anstehenden Wohnungen an Menschen mit WBS-konformen Einkommen zu vermieten – davon die Hälfte an Haushalte mit einem Einkommen bis zur WBS-140-Grenze und die andere Hälfte an Haushalte mit einem darüberliegenden Einkommen bis zur WBS-220-Grenze. Das entspricht bei einem Singlehaushalt 2200 Euro netto im Monat und gilt als mittleres Einkommen.
Vergaberegeln legen die Wohnungsunternehmen fest
Die landeseigenen Unternehmen bieten also eigentlich relativ gute Chancen für Geringverdienende, eine Wohnung zu finden. Doch Beatrice F. macht andere Erfahrungen: „Ich kann mich auf fast keine WBS-Wohnung bewerben.“ Die meisten der auf der gemeinsamen Vermietungsplattform inberlinwohnen.de inserierten Wohnungen sind für die Gruppe der mittleren Einkommen reserviert – auch solche Wohnungen, die vom Preis her gut für Leute mit einem geringeren WBS-140-Einkommen bezahlbar sind.
So verlangen Gewobag, Gesobau, Degewo und Howoge für Einzimmerwohnungen mit Nettokaltmieten zwischen 281 und 347 Euro ein Einkommen oberhalb des WBS 140 bis zum WBS 220. Um solche Wohnungen würde sich Beatrice F. gern bewerben. Mit ihrem Einkommen knapp unterhalb der WBS-140-Schwelle läge ihre Mietbelastung in allen Fällen noch deutlich unter 27 Prozent – dies gilt bei den landeseigenen Vermietern als Grenze der Leistbarkeit. Dennoch wird von Interessent:innen ein höheres Einkommen verlangt. „Es ist für mich nicht sozial, wenn man mit einem Nettoeinkommen von 2200 Euro eine kleine günstige Wohnung anmieten kann und die Menschen mit WBS 140 – also mit weniger Einkommen gehen leer aus“, sagt Beatrice F.
Wer legt fest, welche Wohnung an welche Einkommensgruppe gehen soll? Die Wohnraumversorgung Berlin (WVB), die nach dem Mietenvolksentscheid von 2015 unter anderem zu dem Zweck gegründet wurde, den landeseigenen Wohnungsunternehmen Leitlinien für die Wohnraumversorgung zu geben, ist dafür nicht mehr zuständig (hierzu unsere Info unten). Die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, Bauen und Wohnen achtet nur darauf, das am Ende des Jahres die vorgegebenen Quoten erfüllt sind. „Die landeseigenen Wohnungsunternehmen legen die Wohnungen, welche für die Vermietung an unterschiedliche Zielgruppen vorgesehen sind, selbstständig fest“, erklärt Martin Pallgen, Sprecher der Senatsverwaltung.
Aus den Vorgaben folgt beispielsweise im Bestand der Howoge zwangsläufig eine Bevorzugung der mittleren Einkommensgruppe. Die günstigen Mieten in den Plattenbaubeständen führen dazu, „dass mehr als 90 Prozent unserer Wohnungen auch durch Haushalte mit WBS bis 140 angemietet werden könnten“, so Howoge-Sprecherin Sabine Pentrop. Um die Vorgabe auch für die WBS-220-Gruppe zu erfüllen, muss diesen Menschen also auch ein Teil der billigsten Wohnungen vorbehalten werden. „Die Howoge nutzt dieses Instrumentarium auch, um eine soziale Durchmischung zu erreichen beziehungsweise die vorhandene Mischung zu stabilisieren“, ergänzt Sabine Pentrop.
Die Vermietung nach Quote wird zudem nicht gleichmäßig über das Jahr vorgenommen. Im Sommer erklärte die Howoge, sie habe ihr Soll aktuell „deutlich übererfüllt“ – aus diesem Grund habe man momentan überwiegend Wohnungen ganz ohne WBS-Bindung in der Vermietung. Das ist auch bei den anderen Unternehmen zu beobachten.
Empfehlung oder Abschreckung?
Die Degewo stellt noch eine weitere Hürde für geringverdienende Mietinteressenten auf: „Zur Anmietung einer Wohnung sollte das verfügbare Haushaltsnettoeinkommen ungefähr dem dreifachen der monatlichen Gesamtmiete entsprechen“, lautet ein Hinweis auf der Degewo-Webseite. Vor allem bei Angeboten, in denen hohe Betriebskostenvorauszahlungen angesetzt sind, wird damit ein deutlich höheres Einkommen erwartet als nach dem Leistbarkeitsversprechen, das sich auf die Nettokaltmiete bezieht. Die Degewo will das als „Empfehlung“ verstanden wissen, „die den Mietinteressenten als Orientierung dienen soll“, so Sprecher Stefan Weidelich. „Sie stellt kein Ausschlusskriterium im Anmietungsprozess dar.“ Doch genau so wirkt der Hinweis auf viele Wohnungssuchende.
Bei den Landeseigenen finden sich auch immer wieder unerklärliche Angebote – etwa eine Howoge-Wohnung in der Lichtenberger Rathausstraße: In dem Neubau von 2018 sollten 81 Quadratmeter 1710 Euro kosten. Der Quadratmeterpreis von 21,12 Euro liegt weit über dem Oberwert des Mietspiegels. Bei der Anpassung an den neuen Mietspiegel sei es „versehentlich zur fehlerhaften Annoncierung gekommen“, erklärt Howoge-Sprecherin Pentrop. Das Angebot wurde auf 18 Euro korrigiert – gerade noch im Mietspiegel-Rahmen.
Jens Sethmann
Ohne Transparenz und soziale Ausrichtung
Die Wohnraumversorgung Berlin (WVB) ist nicht mehr dafür zuständig, die Einhaltung von Vermietungsquoten bei den kommunalen Unternehmen zu kontrollieren. Die 2016 als Anstalt öffentlichen Rechts gegründete WVB ging aus dem Mietenvolksentscheid von 2015 hervor und bekam die Aufgabe, „politische Leitlinien in Bezug auf die Wahrnehmung des Versorgungs- und Wohnungsmarktauftrages durch die landeseigenen Wohnungsunternehmen zu entwickeln, zu evaluieren und fortzuschreiben“. Jetzt beabsichtigt der Senat, das Gesetz zu ändern und gibt der Anstalt einen neuen Namen: „Sicheres Wohnen – Beteiligung, Beratung, Prüfung“. Sie ist nur noch für die Unterstützung von Mietergremien, die Errichtung einer Ombudstelle im Fall von Unstimmigkeiten zwischen den landeseigenen Wohnungsunternehmen und deren Mieterinnen und Mietern sowie für Beratungen zu Mieterschutzthemen zuständig. „Die Folgen sind das Fehlen von Transparenz und sozialer Ausrichtung der Landeswohnungsunternehmen“, kritisiert BMV-Geschäftsführerin Ulrike Hamann-Onnertz.
js
Das Leistbarkeitsversprechen – ein Feigenblatt?
Seitdem der Senat Anfang des Jahres 2024 den „Mietendimmer“ für die landeseigenen Wohnungsunternehmen aufgehoben hat, gilt ein „Leistbarkeitsversprechen“: Mieterhöhungen sollen nicht dazu führen, dass Menschen mehr als 27 Prozent ihres Einkommens für die Nettokaltmiete ausgeben müssen. Mieterhöhungen, die darüber hinausgehen, werden auf Antrag der Mieter:innen gekappt. In der Praxis läuft das aber weitgehend ins Leere. Von den rund 130 .000 Haushalten, die im ersten Vierteljahr eine Mieterhöhung bekommen haben, beantragten nur 468 eine Kappung – und in lediglich 51 Fällen wurde sie bewilligt.
„Das Leistbarkeitsversprechen schafft keine Entlastung, sondern ist lediglich ein Feigenblatt des Senats, um die drastischen Mietsteigerungen zu rechtfertigen“, kritisiert der Linken-Wohnungspolitiker Niklas Schenker, der die Zahlen im Abgeordnetenhaus erfragt hat. Die Regelung sei viel zu umständlich. Der Verband Berlin-Brandenburgischer Wohnungsunternehmen BBU sieht das anders. „Die extrem niedrige Zahl von Anträgen zeigt, dass die Unternehmen trotz des hohen Kostendrucks höchst maßvoll und sozial ausgewogen bei Mietanpassungen vorgehen“, sagt Vorständin Maren Kern. Ihr Fazit: „Das Leistbarkeitsversprechen funktioniert.“
js
inberlinwohnen.de/wohnungsfinder/
28.08.2024