Der Senat will die Wohnraumversorgung Berlin (WVB) umbauen und umbenennen. Ihre bisherige Kernaufgabe zur Kontrolle der landeseigenen Wohnungsunternehmen wird gestrichen und durch die Einrichtung einer Mietpreisprüfstelle ersetzt. Das ist ein weiterer Schritt in der seit Jahren schleichend vorgenommenen Demontage dieser Institution, die 2016 nach einem Volksbegehren entstanden ist. Das damals von einer schwarz-roten Regierung installierte Prüf- und Beratungsgremium verdankte seine seither immer wieder bedrängte Existenz der notgedrungenen Einsicht des Senats, dass man die erfolgreich erhobenen Forderungen des Volksentscheids nicht einfach unter den Tisch kehren kann. Doch nach und nach hat man die ungeliebte Institution in die Spur gebracht. Der Bausenator hat nunmehr den vorläufig letzten Akt des Stücks eingeläutet.
„Sicheres Wohnen – Beteiligung, Beratung, Prüfung“ – so soll die WVB künftig heißen. Der Senat hat im Juli beschlossen, die gesetzliche Grundlage der WVB zu ändern. Wenn das Abgeordnetenhaus die Gesetzesänderung verabschiedet, bekommt die WVB nicht nur einen neuen Namen, sondern auch andere Aufgaben.
Der Senat skizziert diese aber nur sehr vage. Die (dann Ex-)WVB soll für die Unterstützung der Mieterräte und -beiräte bei den landeseigenen Unternehmen sowie für die kürzlich eingerichtete Ombudsstelle zur Vermittlung in Mietstreitigkeiten zuständig sein. Die Zuständigkeit gab es allerdings auch schon vor der Neuaufstellung. Die Aufsichtsfunktion über die Geschäfte der Wohnungsbau-Unternehmen fällt dagegen gänzlich weg. Was neu sein wird, ist die Einrichtung einer Prüfstelle für die zulässige Miethöhe bei Neuvermietungen. Zur Erledigung der Aufgaben sollen „die Strukturen und Gremien verschlankt sowie Arbeitsabläufe entbürokratisiert“ werden. Dazu werden der Verwaltungsbeirat und auch der Fachbeirat der WVB verkleinert und neu besetzt. „Mit der Neuaufstellung stärken wir weiter die Instrumente zum Schutz der Mieterinnen und Mieter in unserer Stadt“, sagt Bausenator Christian Gaebler (SPD).
Die Menschen, die mit ihrem Engagement vor neun Jahren die WVB erstritten haben, fassen dies allerdings nicht als Stärkung des Mieterschutzes auf. „Was wie eine harmlose Umbenennung aussieht, ist die Zweckentfremdung der Ergebnisse des Mietenvolksentscheids 2015, mit dem die Berliner:innen mehr Kontrolle über ihre Wohnungsunternehmen wollten“, kritisiert Ulrike Hamann-Onnertz, Geschäftsführerin des Berliner Mietervereins (BMV). Die Vorstände und Geschäftsleitungen der Wohnungsbaugesellschaften haben von Anfang an nur unwillig mit der WVB zusammengearbeitet. Weder wollten sie sich Vorgaben machen noch auf die Finger schauen lassen. Durch die WVB-Novellierung werden sie nun davon befreit. „Damit fehlen Transparenz und eine soziale Ausrichtung der Landeswohnungsunternehmen“, beklagt Ulrike Hamann-Onnertz, die eine Mit-Initiatorin des Mietenvolksentscheids und selbst von 2020 bis 2022 WVB-Vorstandsmitglied war.
Verschlankung oder Verstümmelung?
„Die ‚Neuausrichtung‘ der WVB ist eher eine Verstümmelung“, sagt Rouzbeh Taheri, ebenfalls Mitstreiter des Mietenvolksbegehrens. Jan Kuhnert, von 2016 bis 2020 Vorstandsmitglied der WVB, stellt fest: „Alle Instrumente, die mit der WVB geschaffen wurden, um die landeseigenen Wohnungsunternehmen unabhängiger evaluieren zu können, werden nun abgeschafft.“ Wenn der Senat diese Aufgabe intern erledigen möchte, würde „der Bock zum Gärtner“ gemacht, so Kuhnert. „Gerade die Senatsbauverwaltungen haben sich immer schützend vor die landeseigenen Wohnungsunternehmen gestellt und diese vor stärkeren politischen Vorgaben zu schützen versucht“, berichtet er. „Die Wohnungsunternehmen freuen sich sicherlich, nun unbehelligter ihre Geschäfte betreiben zu können und dem Senat zu sagen, was die politischen Ziele sein sollten statt umgekehrt: Hier wedelt der Schwanz mit dem Hund!“
„Nicht mehr viel“ erwartet Matthias Bernt vom Leibniz-Institut für Raumbezogene Sozialforschung (IRS) von der neuausgerichteten WVB. Er war Mitglied des WVB-Fachbeirats, in dem auf einer breiten Basis über die Strategie für die Wohnungsunternehmen diskutiert werden sollte. Mit dem ursprünglichen Auftrag haben die künftigen Aufgaben kaum noch etwas zu tun. „Insofern läuft die Gesetzesnovelle faktisch auf eine Abschaffung der WVB hinaus“, meint er. „Damit wird – ohne eine öffentliche Diskussion und ohne Einbeziehung der Zivilgesellschaft – das Ergebnis des Mietenvolksentscheids gekippt.“ Jan Kuhnert ergänzt: „Auf diese Weise kann man das Vertrauen von Bevölkerung und Initiativen in gemeinsam ausgehandelte Ergebnisse auch gründlich zerstören.“
Warum der WVB ihre Kernaufgaben entzogen werden, erklärt die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung auch auf direkte Nachfrage nicht schlüssig. Sprecher Martin Pallgen spielt die bisherige Aufgabe als „Beratungsfunktion gegenüber den privatrechtlich organisierten landeseigenen Wohnungsunternehmen“ herunter, die nun auf „Themen des Mieterschutzes fokussiert“ wird. Ansonsten führt er die „Richtlinien der Regierungspolitik 2023-2026“ als Begründung ins Feld – im Klartext heißt das: Die WVB-Umgestaltung erfolgt so, weil Schwarz-Rot das so will.
Mietpreisprüfstelle ohne Durchgriffsmöglichkeiten
„Zu begrüßen ist nichtsdestotrotz, dass die neue Institution Aufgaben des Mieterschutzes übernehmen soll“, sagt BMV-Geschäftsführerin Ulrike Hamann-Onnertz. Die angekündigte Mietpreisprüfstelle trifft allerdings auf Skepsis. Sie soll nicht nur der Mieterschaft der städtischen Unternehmen, sondern allen offenstehen. Voraussichtlich wird mit der Aufgabe ein externer Dienstleister beauftragt – ähnlich wie bei der Ombudsstelle.
„Die Mietpreisüberprüfung muss sanktionsbewehrt sein“, fordert Matthias Bernt. „Eine Überprüfung ihrer Miete können Mieter:innen auch alleine oder mit Hilfe von Anwält:innen und Mietervereinen vornehmen. Wenn Verstöße nicht stärker geahndet werden, ist wenig gewonnen.“ Die Mietpreisprüfstelle bekommt aber keine Durchgriffsmöglichkeiten. „Sie prüft die Einhaltung der Mietpreisbremse, berät Mieterinnen und Mieter diesbezüglich und verweist – wenn notwendig – an die zuständigen Stellen“, erklärt Behördensprecher Martin Pallgen. Für Rouzbeh Taheri steht deshalb fest: „Es ist eine Nebelkerze des Stadtentwicklungs-Senators, um durch Scheinaktivität die Untätigkeit des Senats und der Bundesregierung in Sachen Mieterschutz zu vertuschen.“
Jens Sethmann
Die Behinderung hat Tradition
Die Wohnraumversorgung Berlin (WVB) ging aus dem Mietenvolksentscheid von 2015 hervor. Eigentlich wollte das Volksbegehren erreichen, dass die sechs landeseigenen Wohnungsunternehmen in Anstalten öffentlichen Rechts (AöR) umgewandelt werden. Damit wären sie nicht mehr auf eine Gewinnerzielung ausgerichtet gewesen. Der Zuspruch für das Volksbegehren war hoch. Doch weil die Umsetzung erhebliche Widerstände erwarten ließ, handelte die Initiative mit dem damaligen SPD-CDU-Senat einen Kompromiss aus: 2016 wurde die WVB als Anstalt öffentlichen Rechts (AöR) gegründet. Sie bekam unter anderem die Aufgabe, „politische Leitlinien in Bezug auf die Wahrnehmung des Versorgungs- und Wohnungsmarktauftrages durch die landeseigenen Wohnungsunternehmen zu entwickeln, zu evaluieren und fortzuschreiben“. So kontrollierte die WVB, ob die Wohnungsbaugesellschaften ihre Verpflichtungen aus der Kooperationsvereinbarung einhalten – etwa die Vermietungsquoten für Wohnberechtigungsschein-Inhaber:innen – und unterrichtete die Öffentlichkeit über die wirtschaftliche Lage der Unternehmen. Auch die Schulung und Unterstützung der Mieterräte in den Unternehmen und der Mieterbeiräte in den einzelnen Kiezen gehören zum Auftrag der WVB. Die Rolle der Mieterbeiräte ist mittlerweile gesetzlich verankert.
Besonders die SPD-Senatoren haben die WVB nie akzeptiert. So torpedierte der damalige Finanzsenator Matthias Kollatz ihre Arbeit, indem er 2020 Volker Härtig in den WVB-Vorstand drückte – einen Polterer aus der immobiliennahen Betonfraktion der SPD, der gegen den Mietenvolksentscheid polemisiert hatte. Und nachdem Christian Gaebler 2023 das Stadtentwicklungsressort übernommen hatte, entzog er als erstes der WVB die Zuständigkeit für die Berichterstattung über die Wohnungsunternehmen.
js
25.09.2024