Mit Börsenspekulation die Rente sichern? Die Bundesregierung hat sich auf die „Aktienrente“ geeinigt. Sie will geliehene Milliarden an der Börse investieren und mit dem Gewinn auf Dauer das Niveau der gesetzlichen Rente absichern. Nicht nur Sozialverbände protestieren, auch Mietervereine warnen vor möglichen Auswirkungen auf dem Wohnungsmarkt.
Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) und Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) haben im März das Rentenpaket II vorgestellt. Um die Rentenbeiträge und das Rentenniveau stabil zu halten, wird das „Generationenkapital“ eingeführt, auch Aktienrente genannt. Eine bundeseigene „Stiftung Generationenkapital“ soll dafür bereits in diesem Jahr ein Darlehen von 12 Milliarden Euro aufnehmen und an den Kapitalmärkten anlegen. Bis 2036 ist geplant, 200 Milliarden Euro dafür zu verwenden. Ab jenem Jahr sollen die mit diesem Geld erwirtschafteten Gewinne als Zuschuss in die Rentenversicherung fließen. Der Gesetzentwurf wird zurzeit im Bundestag beraten.
Als „riskanten Irrweg“ bezeichnet der Paritätische Gesamtverband die geplante Aktienrente. „Die gesetzliche Rentenversicherung ist eine denkbar ungeeignete Plattform, um mit ihr an der Börse zu spekulieren. Aktien auf Pump zu kaufen, bringt kaum Rendite und ist extrem risikoreich“, warnt Hauptgeschäftsführer Ulrich Schneider. Verena Bentele, Präsidentin des Sozialverbandes VdK, ergänzt: „Das neue Generationenkapital darf kein Spielgeld sein.“ Auch sie bezweifelt, dass angesichts unberechenbarer Börsenentwicklungen die erwartete Rendite von zehn Milliarden Euro pro Jahr überhaupt erzielt wird. Matthias Birkwald, Rentenpolitiker der Linken im Bundestag, rechnet vor: „Es bräuchte einen riesigen Kapitalstock über 570 Milliarden Euro oder eine völlig unrealistische Rendite von jährlich sieben Prozent, um durchschnittlich Verdienende irgendwann Mitte der 2030er Jahre um gerade mal knapp zehn Euro pro Monat zu entlasten.“
Viel Schatten auf dem norwegischen Modell
Auch aus Mietersicht ist von den Plänen nichts Gutes zu erwarten: „Wenn der Staat in Rentenfonds investiert, wird die Preisspirale auf dem Wohnungsmarkt weiter angeschoben, mit sehr negativen Folgen für die Mieter:innen“, sagt Rolf Bosse, Vorsitzender des Mietervereins zu Hamburg. Pensionsfonds aus aller Welt investieren heute schon gern in börsennotierte Immobilienunternehmen, weil diese als profitabel und sicher gelten.
Denn gerade solche Wohnungsunternehmen handeln nur im Interesse der Aktionäre, indem sie die Mieten soweit wie möglich erhöhen und bei der Instandsetzung sparen. Die Konsequenz: Die Renditen steigen, wenn die Mieten erhöht werden und die Wohnungen verfallen. „Diesen Mechanismus darf der Staat nicht verstärken“, fordert Rolf Bosse.
Unrühmliches Vorbild ist der Staatliche Pensionsfonds Norwegens, der gegründet wurde, um die Sozialbeiträge möglichst gewinnbringend anzulegen, und zu einem der größten Finanzinvestoren weltweit geworden ist. Über die staatliche Norges Bank hält der norwegische Pensionsfonds unter anderem 14,6 Prozent der Vonovia-Aktien und ist mit rund 3,3 Milliarden Euro der gewichtigste Anteilseigner an Deutschlands größtem Wohnungskonzern.
Nach seinen Ethikrichtlinien investiert der norwegische Pensionsfonds nicht in Unternehmen, die gegen Menschenrechte verstoßen, Kohlebergbau betreiben, Massenvernichtungswaffen herstellen oder mit Tabakprodukten handeln. Mit dem Schröpfen von Mieter:innen hat der Fonds hingegen kein Problem.
Vonovia betreibt Image-Pflege
Die Vonovia versucht sich ihrerseits als ethisches Investment darzustellen. So lässt man sich regelmäßig nach den ESG-Kriterien bewerten. ESG steht für environmental, social and governance. Es werden also Umwelt-, Sozial- und Unternehmensführungsstandards zertifiziert.
Mit energetischen Sanierungen und den teilweise noch günstigen Mieten möchte die Vonovia dabei punkten. Auch mit Social Bonds strebt die Vonovia nach einem guten Image. Im April hat das Unternehmen zum zweiten Mal eine solche „Soziale Anleihe“ auf den Markt gebracht und damit 850 Millionen Euro eingesammelt. „Dieser auf zehn Jahre ausgelegte Social Bond ist ein Beleg dafür, dass wir unsere soziale Verantwortung mit unserem hervorragenden Zugang zum Kapitalmarkt kombinieren können“, sagt Vonovia-Finanzchef Philip Grosse. Mit dem Social Bond sollen „soziale Projekte“ finanziert werden. Dazu zählt die Vonovia „belegungsgebundene Wohnungen für Haushalte mit niedrigem Einkommen, aber auch freifinanzierte Wohnungen in Berlin, die mit einer Miete von mindestens 15 Prozent unter der ortsüblichen Vergleichsmiete den Zugang zu bezahlbarem Wohnraum ermöglichen“, sowie Umbauten zu barrierearmen Wohnungen – Dinge, die andere Wohnungsunternehmen als Selbstverständlichkeiten begreifen.
Gute Gründe für schlimme Befürchtungen
Zu den Vonovia-Shareholdern, die einen wesentlichen Einfluss auf die rein profitorientierte Geschäftspolitik der Vonovia haben, gehören auch weitere Pensionskassen. An nahezu allen börsennotierten Wohnungskonzernen sind diese direkt oder indirekt über Investmentgesellschaften wie BlackRock, Oaktree oder Lone Star beteiligt.
Die Befürchtungen, dass die deutsche „Stiftung Generationenkapital“ ebenfalls Anteile an Wohnungsunternehmen kauft, sind nicht aus der Luft gegriffen. Die ähnlich aufgebaute bundeseigene Stiftung KENFO – ein Fonds, der die Hinterlassenschaften der Atomindustrie entsorgen soll – tut genau das. Sie hat unter anderem Aktien von Vonovia, Deutsche Wohnen, Covivio und TAG sowie von kommerziellen Pflegeheimbetreibern erworben und erhofft sich daraus eine hohe Rendite. So hilft der Staat mit, Mieten und Pflegeheimkosten in die Höhe zu treiben.
Verena Bentele vom VdK fordert deshalb klare Regelungen: „Der Investition in Einrichtungen der Daseinsvorsorge und unökologische Produkte muss ein Riegel vorgeschoben werden. Unsere Rentenfinanzierung darf nicht auf Kosten armer Menschen oder der Zukunft des Planeten gehen.“
Auch wenn die Rentenbeiträge selbst nicht in die Aktienmärkte fließen sollen, befürchten die Sozialverbände, dass das Vertrauen in das System der gesetzlichen Rente leiden wird. Sie fordern stattdessen unisono eine Rentenversicherung, in die alle einzahlen, also auch Beamte und Selbstständige. „Das ist nicht nur eine Frage der verlässlichen Finanzierung, sondern auch eine Frage sozialer Gerechtigkeit“, so Ulrich Schneider vom Paritätischen Gesamtverband.
Jens Sethmann
Österreich macht’s besser
Wie man ein rein umlagefinanziertes Rentensystem aufbaut, das trotz alternder Gesellschaft ohne Zockerei an den Börsen auskömmliche Renten sichert, zeigt Österreich: Dort zahlen auch Selbstständige und seit 2005 ebenfalls Beamte ihre Beiträge zur Pensionsversicherung. Der Beitragssatz ist mit 22,8 Prozent zwar höher als die deutschen 18,6 Prozent, die durchschnittliche Alterspension liegt in Österreich aber bei 1480 Euro im Monat gegenüber 1054 Euro in Deutschland. Während hierzulande das Renteneintrittsalter bis 2029 auf 67 Jahre erhöht wird, gehen in der Alpenrepublik Männer mit 65, Frauen mit 60 in Pension.
js
29.10.2024