Der im Mai erschienene Mietspiegel hielt für Innenstadtbewohner:innen einige Überraschungen bereit. Weitgehend unbemerkt hatte sich ihr Wohnumfeld offenbar so sehr verbessert, dass sie plötzlich statt in einfacher nun in mittlerer oder sogar guter Wohnlage leben. Wie kommt das?

Foto: Christian Muhrbeck
Die Ratiborstraße in Kreuzberg ist eine ruhige Wohnstraße am Görlitzer Park. Mit dem vorletzten (nicht qualifizierten) Mietspiegel wurden Teile davon erstmals von einfacher auf mittlere Wohnlage hochgestuft. Dass der aktuelle Mietspiegel einen Abschnitt nun sogar als gute Wohnlage ausweist, hielten einige Bewohner:innen zunächst für einen Scherz. Von einer Wohnlage wie im Dahlemer Villenviertel kann hier, direkt am bundesweit bekannten Drogen-Hotspot, keine Rede sein, zumal um die Ecke, am Paul-Lincke-Ufer mit seinen repräsentativen Altbauten, lediglich einfache und mittlere Wohnlagen ausgewiesen sind.

Dazu muss man wissen, dass 2019 ein völlig neues Verfahren zur Wohnlageneinordnung eingeführt worden ist. Seitdem spielen statistische Indikatoren eine entscheidende Rolle, darunter die Bodenrichtwerte, der Statusindex aus dem Monitoring Soziale Stadt sowie die Lärmbelastung. Eine stark verdichtete Bebauung oder eine schlechte Anbindung an den Öffentlichen Personennahverkehr, wie sie noch im Mietspiegel 2021 als Indikatoren aufgeführt sind, fließen allenfalls indirekt ein. Zum Fall Ratiborstraße sagt die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, dass die geringe Lärmbelastung 2019 noch nicht einbezogen worden war, stattdessen sorgte die Entfernung zur nächsten Bushaltestelle für einen Negativ-Punkt. Außerdem trug die stärkere Gewichtung des „Grünvolumens“ zur Höherstufung bei. Dabei gehe es in erster Linie um Klima- und Umweltfaktoren, nicht um Erholungs- oder Aufenthaltsqualität, so der Sprecher. Dass es in der nur 380 Meter langen Ratiborstraße nun drei unterschiedliche Wohnlagen gibt, könne vorkommen. Ermittelt wird nicht straßen-, sondern blockweise.
Umstrittenes Kriterium Bodenrichtwert
Katrin Schmidberger, Grünen-Abgeordnete mit Wahlkreis Friedrichshain-Kreuzberg erreichten in den vergangenen Monaten viele Beschwerden von Mieter:innen, die nicht verstanden haben, warum sich plötzlich ihre Wohnlage verbessert haben soll. Ihre Anfrage im Abgeordnetenhaus ergab: Vor allem die Innenstadt-Bezirke sind von der Höherstufung betroffen, am stärksten Friedrichshain-Kreuzberg. Hier hat sich der Anteil der guten Wohnlage von 7,3 Prozent im Mietspiegel 2021 auf 24,1 Prozent im aktuellen Mietspiegel mehr als verdreifacht.

Foto: Christian Muhrbeck
Die Gärtnerstraße in Friedrichshain beispielsweise wurde durchgängig von mittel auf gut hochgestuft. Als Grund gibt der Senat auch hier das Grünvolumen sowie einen gestiegenen Sozialindex und die Bodenrichtwerte an. Dass die Bodenrichtwerte nun gewichtet zu fast 30 Prozent mit einfließen, bestrafe die Mieter:innen doppelt, sagt Katrin Schmidberger: „Einmal steigt der Druck durch die hohen Kaufpreise und dann speist sich daraus auch noch eine bessere Wohnlage mit entsprechenden Mieterhöhungspotenzialen.“ Eigentlich, so die Sprecherin für Wohnen und Mieten, sollten die Bodenrichtwerte hier gar keine Rolle spielen: „Hohe Kaufpreise sind ein Zeichen für Spekulation und nicht für eine gute Wohnlage, von der Mieter:innen etwas haben.“
Birgit Leiß
Anfechtung vor Gericht kaum aussichtsreich
Auch bei Vorliegen eines qualifizierten Mietspiegels kann die Wohnlageneinordnung vor Gericht angezweifelt werden. Allerdings kommt das nur bei einer „offensichtlich nicht sachgerechten Einordnung“ in Betracht, hat das Amtsgericht Hamburg entschieden (AG Hamburg vom 3. Dezember 2020 – 40a C 163/20 –). Das Gericht wird dazu in aller Regel ein Sachverständigengutachten einholen und dieser Einschätzung dann auch meist folgen. Das letzte Wort hat aber immer der Richter oder die Richterin, wie der Bundesgerichtshof klarstellte (BGH vom 15. März 2016 – VIII ZR 87/15 –).
bl
28.02.2025