Ende Juni hat Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck die zweite von drei Eskalationsstufen des Notfallplans Gas der Bundesregierung ausgerufen. Welche Auswirkungen hat dieser Schritt für Mieter:innen und wie ist das Hilfspaket der Bundesregierung einzuschätzen? Eine Analyse und Antworten auf die drängendsten Fragen.
„Wir sind in einer Gaskrise. Gas ist von nun an ein knappes Gut. Die Preise sind jetzt schon hoch, und wir müssen uns auf weitere Anstiege gefasst machen“, gab der Bundeswirtschaftsminister am 23. Juni 2022 in den Medien bekannt. Seitdem ist die Teuerung der Energie- und explizit der Gaspreise prominentes Thema. Derzeit ist die Versorgung mit Gas laut Habeck gewährleistet, die Gasspeicher sind zu etwa 65 Prozent gefüllt. Für die Vorbereitung auf die anstehende Heizperiode ist das aber zu wenig.
37 Prozent der Berliner Wohnungen werden mit Gas beheizt, bundesweit sind es rund 48 Prozent der insgesamt 40 Millionen Wohnungen. Mieter:innen beklagen seit Jahren den teils drastischen Anstieg der Nettokaltmieten, nun potenziert sich diese Entwicklung zusätzlich über die Heiz- und Warmwasserkosten. Die zu zahlenden Warmmieten könnten für viele Mieter:innen zur Armutsfalle werden.
Die Energiewende – jahrelang verschlafen
Die Zusammenhänge auf den globalen Energiemärkten sowie die Verkettung von Kriseneffekten, die zu den derzeitigen Preisanstiegen führen, sind zweifelsohne komplex. Tatsache ist jedoch, dass die Ursachen für die aktuelle Energiekrise, ausgelöst durch Russlands Krieg in der Ukraine, bereits Jahre zurückliegen. Diese Krise ist zum Teil hausgemacht: In den vergangenen Legislaturperioden haben es die verschiedenen Bundesregierungen schlichtweg verschlafen, eine Abkehr von fossilen Energieträgern bei der Wärmeversorgung auf den Weg zu bringen. Bemerkenswert ist, dass auf den Märkten die Preise für Öl und Gas zunächst sanken. Künstliche Verknappung angesichts des Ausstiegs aus fossilen Brennstoffen in Zeiten der Klimakrise, globalpolitische Entwicklungen sowie Finanzmarktspekulationen trieben die Preise an. Die EU-basierte CO2-Bepreisung mit dem Ziel, Anreize für Energiesparmaßnahmen zu schaffen, leistet einen weiteren Beitrag zur Verteuerung der Energiepreise.
Wer profitiert von den enormen Preissteigerungen?
Es gibt viele Profiteure der aktuellen Energiekrise. In erster Linie sind es diejenigen Unternehmen, die die wertvolle Energie aus der Erde gewinnen, aber auch die Eigner von Finanzprodukten, die Energieträger beinhalten. In Erwartung geringer Liefermengen sind die Preise aufgrund von Spekulation bereits vor der Verknappung von russischer Energie in die Höhe geschossen. Mit Beginn der Sanktionen gegen Russland und der Reduzierung von Gaslieferungen seitens Russlands schlugen die Preissteigerungen insbesondere für Gas in Deutschland und der EU voll durch. Gewinner sind aber auch Versorgungsunternehmen, die im Windschatten der Preisspirale ebenfalls ihre Renditen erhöhen konnten.
Exkurs: Was ist der Notfallplan Gas?
Die Bundesregierung verabschiedete den Notfallplan Gas im Jahr 2019 auf Basis einer EU-Verordnung. Der Plan sieht drei Stufen vor: die Frühwarnstufe, die Alarmstufe und die Notfallstufe. Die Frühwarnstufe rief der Bundeswirtschaftsminister Ende März aus, als Russland ankündigte, Zahlungen für Gaslieferungen nur noch in Rubel zu akzeptieren. Stufe zwei (Alarmstufe) trat im Juni in Kraft, nachdem Russland die Gaszufuhr über die bestehende Gaspipeline Nord Stream I um circa 60 Prozent gedrosselt hatte. Die ersten beiden Stufen sehen keinen Eingriff des Staates in die Energieversorgung vor; der Markt ist in der Lage, die Störungen allein zu bewältigen. Die beteiligten Akteure wie die Gasversorgungsunternehmen und die Fernleitungsnetzbetreiber über die Bundesnetzagentur stehen aber in täglichem Austausch mit dem Krisenstab des Bundeswirtschaftsministeriums (BMWi). Wird die Notfallstufe ausgerufen, kann der Staat in den Markt eingreifen. Dann regelt die Bundesnetzagentur die Gasverteilung.
Was bedeutet die „Alarmstufe Gas” für Privathaushalte?
Mit der Alarmstufe kann eine Preisanpassungsklausel aktiviert werden, die es den Gaslieferanten erlaubt, die Gaspreise für bestehende Verträge anzupassen. Diese Klausel kann beispielsweise auch die Insolvenz von Stadtwerken verhindern. Leidtragende dürften die Endverbraucher:innen sein. Das sind die Kund:innen mit Gasetagenheizungen, aber vermutlich auch Mieter:innen zentral beheizter Gebäude, die sich dann auf eine Anpassung der Vorauszahlungen für Heiz- und Warmwasserkosten einstellen müssen. Noch ist diese Preisanpassungsklausel aber nicht aktiviert. Falls ja, wird ein weiterer Preisschub ausgelöst.
Der BMV fordert bei Aktivierung der Preisanpassungsklausel eine Kontrolle des Staates durch eine Genehmigungsbehörde. Ansonsten kann der Staat bei der Notfallstufe massiv in den Markt eingreifen, bis hin zur Enteignung der produzierenden oder versorgenden Unternehmen.
Welche Folgen für Mieter:innen sind zu erwarten?
Eine wohnungspolitische Einordnung der Energiekrise fehlt bislang. Geopolitisch hervorgerufene Energiekrisen liegen zunächst nicht in der Verantwortung der Wohnungsmarktakteure. Gleichwohl zeigen die mangelnde Umstellung der Beheizung auf erneuerbare Energien und die fehlende Reduzierung des Wärmeverlustes in Gebäuden jetzt schwerwiegende Folgen. Deshalb fordert der Berliner Mieterverein auch, dass Vermieter:innen an den Heiz- und Warmwasserkosten in den Wohngebäuden mit einer schlechten Energieeffizienz beteiligt werden.
Ungerecht ist auch die CO2-Bepreisung. Sie ergibt aktuell überhaupt keinen Sinn, denn ein erhöhter Preis sollte ja Anreize zum Energiesparen oder zu baulichen Maßnahmen der Eigentümer:innen zur Reduktion der CO2-Emissionen führen. Mehr Anreiz als den aktuellen marktgetriebenen Anstieg der Energiepreise braucht es wirklich nicht, ganz zu schweigen von der ungerechten Verteilung des CO2-Preises auf Mieter:innen und Eigentümer:innen.
Die Schätzungen zu den Preissteigerungen sind aktuell sehr unterschiedlich. Manche sprechen „nur” von einer 60-prozentigen Steigerung der Heiz- und Warmwasserkosten, andere von einer Verdoppelung. 2023 rücken Nachforderungen von zwei Monatsmieten in den Bereich des Möglichen. Solche Summen können die Mietzahlungsfähigkeit vieler Mieter:innen überschreiten und für manche eine Spirale in die Armut bedeuten. Deshalb fordern wir zunächst von der Bundesregierung einen besonderen Kündigungsschutz bei Zahlungsschwierigkeiten aufgrund von Heiz- und Warmwasserkosten. Für Haushalte mit unterdurchschnittlichen Einkommen werden die bisherigen Hilfen nicht ausreichen. Darüber hinaus brauchen wir einen Stopp von Versorgungssperren. Das wird vor allem für Mietverhältnisse mit Gasetagenheizungen von Bedeutung sein.
Wie ist das Hilfspaket der Bundesregierung generell einzuschätzen?
Die Bundesregierung hat bislang zwei Entlastungspakete mit überwiegend einmaligen Leistungen geschnürt. Wer welche Ansprüche hat, lesen Sie in unserem Miet-Tipp. Die bisherigen Hilfen reichen aber hinten und vorne nicht. Einmalige Leistungen lösen das Problem nicht. Der Wohngeld- und BaföG-Zuschuss ist viel zu knapp bemessen und erreicht viel zu wenig Haushalte. Vom Energiegeld in Höhe von 300 Euro brutto profitieren nur die versicherungspflichtig Beschäftigten. Die damit erzielte Netto-Entlastung ist keine wirkliche Unterstützung. Nach unserer Einschätzung sind im Rahmen von ALG II die höheren Heiz- und Warmwasserkosten inklusive der Nachzahlung von den JobCentern zu tragen.
Bevor aber immer mehr staatliche Hilfen bereitgestellt werden, sollten Energiepreisdeckel und Übergewinnsteuern eingeführt werden. Wenn der Markt versagt, muss der Staat handeln.
Ist der Importstopp ein Booster für die Energiewende?
Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) hat Ende Mai einen Essay publiziert, in dem die These aufgestellt wird, ein Importstopp könne ein Booster für die Energiewende sein. Einen solchen Sprung ins kalte Wasser könnte es tatsächlich bei einem Gas-Importstopp beziehungsweise bei einem Exportstopp seitens Russlands geben – allerdings buchstäblich: das Duschwasser bliebe kalt. Kurzfristig wird es keinen Booster für die Energiewende geben. Im Gegenteil: Steigen wir bei der Wärmewende über Wärmepumpen auf mehr strombasierte Wärmeerzeugung um, werden wir noch mehr Strom brauchen. Aber auch bei der Stromproduktion muss zunächst der etwa 17-prozentige Gasanteil substituiert werden, vermutlich mit Kohle. Mittelfristig könnten die Gasversorgungsprobleme die Energiewende tatsächlich beschleunigen. Nur müssen wir trotz neuer Wärmepumpen in Wohngebäuden den Wärmeverlust durch die Gebäudehülle weiter um mindestens 30 bis 40 Prozent verringern – das ist und bleibt eine Herkulesaufgabe.
14.07.2022