Im Haus der Statistik am Alexanderplatz versammelte der Arbeitskreis QUEER*WOHNEN im November Vertreter:innen wohnungspolitischer Organisationen und sozialer Projekte. Gemeinsam entwickelten sie einen Forderungskatalog für queersensibles Wohnen. Dringender Handlungsbedarf besteht aufgrund drohender Kürzungen in der Wohnungsnotfallhilfe und der spezifischen Benachteiligungen, denen queere Menschen auf dem Wohnungsmarkt ausgesetzt sind.
Wohnungsnot betrifft viele, aber nicht alle gleich. Menschen aus marginalisierten Gruppen, wie LGBTQIA+-Personen, stehen vor zusätzlichen Herausforderungen. LGBTQIA+ ist ein Akronym und steht für: lesbisch, gay, bisexuell, trans, queer, intersexuell, asexuell sowie weitere Identitäten und Orientierungen. Diskriminierung auf dem Wohnungsmarkt ist für queere Menschen oft subtiler und weniger sichtbar als für andere benachteiligte Gruppen. Aus diesem Grund hat sich das zivilgesellschaftliche Netzwerk AK QUEER*WOHNEN zum Ziel gesetzt, die queersensible Wohnraumversorgung in Berlin auf Basis des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) und des Berliner Landesantidiskriminierungsgesetzes (LADG) voranzubringen.
Die Dringlichkeit wurde bereits zu Beginn der Arbeitsrunde deutlich: Ein queeres Wohnprojekt berichtete von akuter Räumungsgefahr. Kathrin Schultz, Leiterin von Queerhome*, schilderte die Flut an Beratungsanfragen von queeren Personen und deren Angst vor Wohnungslosigkeit, besonders im Winter. Notunterkünfte, ohnehin überfüllt, bieten oft nicht den Schutz, den queere Menschen benötigen, da sie von einer vielschichtigen Art der Benachteiligung betroffen sein können.
Forderungen an den Berliner Senat
Angesichts dringender Herausforderungen hat der Arbeitskreis QUEER*WOHNEN drei zentrale Forderungen formuliert, um die Wohnraumversorgung für queere Menschen zu verbessern:
- Soziale Wohnraumversorgung für alle: Der Senat muss seiner Verantwortung gerecht werden und sicherstellen, dass LSBTIQ+-Akteur:innen aktiv in die Lösungsfindung eingebunden werden. Der Arbeitskreis positioniert sich als Partner und fordert: Nicht „über uns“, sondern „mit uns“ handeln!
- Bedarfsorientierte, queersensible Unterkünfte: Wohnangebote müssen gezielt auf die Bedürfnisse queerer Menschen ausgerichtet und bestehende Strukturen in Zusammenarbeit mit den Bezirksämtern gesichert werden. Queersensibilität soll verbindlich in die Qualitätskriterien für die Gesamtstädtische Steuerung der Unterbringung (GStU) integriert werden.
- Schutz marginalisierter Gruppen: Queere Wohnungslose mit Flucht- oder Migrationshintergrund erleben oft Rassismus und Diskriminierung. Der AK fordert den Ausbau migrantischer Selbstorganisation (MSOs), den Aufbau sicherer Unterkünfte (insbesondere für queere BiPoC, also Black People, Indigenious People und People of Colour), mehrsprachige Angebote und unkomplizierte Antragsverfahren.
Herausforderungen auf dem Wohnungsmarkt
Queere Menschen sind häufig gezwungen, ihre Identität bei der Wohnungssuche oder der Beantragung von Hilfeleistungen offenzulegen. Dies führt zu einer doppelten Belastung aus finanzieller Notlage und potenzieller Diskriminierung. Der Senat bestätigt, dass „mit hoher Wahrscheinlichkeit eine ausgeprägte Korrelation zwischen prekären Lebenslagen von LSBTIQ+ aufgrund von Diskriminierungserfahrungen im Allgemeinen und hieraus resultierenden Risiken einer Wohnungs- oder Obdachlosigkeit im Lebensverlauf besteht“.
Ein zentrales Konzept in diesem Zusammenhang ist das sogenannte „straight-passing“. Dabei nehmen Außenstehende queere Personen fälschlicherweise als heterosexuell oder cisgeschlechtlich (sich mit dem Geschlecht identifizierend, welches bei der Geburt zugeschrieben wurde) wahr, weil ihre queere Identität nicht offensichtlich ist. Dies kann kurzfristig vor direkter Diskriminierung schützen, lässt die Identität jedoch oft unsichtbar bleiben, sodass spezifische Bedürfnisse dieser Personen ungehört bleiben. Kommt eine Flucht- oder Migrationsgeschichte hinzu, verstärkt sich die Benachteiligung durch rassistische Diskriminierung, die vielschichtig mit der queeren Identität wirkt. Diese Mehrfachdiskriminierung führt dazu, dass Betroffene in Not- oder Fluchtunterkünften häufig weder die notwendige Sicherheit noch den nötigen Schutz erfahren, da sie wegen ihrer Herkunft und queeren Identität marginalisiert werden. Sie benötigen besonderen Schutz aufgrund ihrer Sexualität, müssen diese aber oft erst offenlegen, was neue Diskriminierung nach sich ziehen kann.
Eine weitere Herausforderung für queere Menschen ist der Zugang zu Wohnraum, der oft unabhängig von ihrer finanziellen Lage erschwert wird. Diskriminierung tritt häufig dann auf, wenn Vermieter:innen aufgrund von Vorurteilen Entscheidungen über Wohnraumvergabe treffen – sei es durch die Annahme, dass ein gleichgeschlechtliches Paar in der Nachbarschaft auf Ablehnung stoßen könnte, oder durch stereotype Vorstellungen über die Lebensweise von trans Personen. Mitunter geschehen solche Zuschreibungen sogar unbewusst, da gesellschaftlich verankerte Denkmuster und Klischees im Alltag unreflektiert übernommen werden oder es an einem persönlichen Austausch mit queeren Menschen fehlt. Diese Vorurteile beschränken sich häufig nicht nur auf Vermietende – auch Nachbar:innen können mit ihren Erwartungen oder Bedenken dazu beitragen, dass queere Menschen sich ausgeschlossen oder unwillkommen fühlen.
Sprache und Sensibilität
In Behörden und auf dem Wohnungsmarkt zeigt sich die Diskriminierung oft in Form von Missverständnissen oder fehlerhaften Annahmen. Beispielsweise kann eine unzureichende Sensibilisierung dafür sorgen, dass queere Menschen in Formularen keine passende Auswahlmöglichkeit für ihre Identität finden oder ihre Bedürfnisse in Beratungsgesprächen nicht ernst genommen werden. Solche sprachlichen Barrieren machen queere Identitäten unsichtbar und verstärken das Gefühl, nicht anerkannt zu werden.
Zudem kann Unsicherheit im Umgang mit queeren Begriffen aufseiten von Vermieter:innen dazu führen, dass sich Betroffene bei der Wohnungssuche unwohl oder diskriminiert fühlen – sei es durch unsensible Nachfragen oder falsche Zuschreibungen zu ihrer Person und über ihre Lebensrealität. Diese sprachliche Diskrepanz führt zu einer weiteren Hürde beim Zugang zu angemessenem Wohnraum. Fehlendes inklusives Bewusstsein bei Vermieter:innen, Behörden und auch der Gesellschaft insgesamt führt zu strukturellen Benachteiligungen und erschwert eine gleichberechtigte Teilhabe am Wohnungsmarkt.
Ansätze für Veränderung
Um solche Barrieren zu überwinden, sind Reflexion und Weiterbildung essenziell. Begriffe wie LGBTIQA+ sind dynamisch und beschreiben keine starren Kategorien, sondern vielfältige individuelle Erfahrungen. Genau diese Dynamik führt in der Praxis häufig zu Unsicherheiten. Workshops und Schulungen können bei Behörden und Vermieter:innen das Verständnis für queere Identitäten stärken. Dies umfasst die richtige Verwendung von Begriffen und die Fähigkeit, Unsicherheiten anzusprechen und respektvoll zu kommunizieren. Ein bewusster und inklusiver Umgang mit Sprache ist ein wichtiger Schritt zu einem diskriminierungsfreien Wohnungsmarkt. Indem wir uns alle unserer eigenen Denkmuster bewusst werden und bereit sind, sie zu hinterfragen, können wir gemeinsam dazu beitragen, solche Hürden abzubauen.
Zudem sollten Unterstützungsangebote als Ausdruck von Solidarität verstanden werden. Politische und institutionelle Maßnahmen können Schutzräume schaffen, queersensible Wohnangebote fördern und die Sichtbarkeit und Akzeptanz queerer Lebensrealitäten erhöhen (siehe oben Forderungen an den Senat). Ebenso wichtig sind gesetzliche Regelungen, die Diskriminierung auf dem Wohnungsmarkt effektiv verhindern.
Angesichts von Kürzungen der Wohnungsnotfallhilfe ist ein offener, solidarischer und gemeinschaftlicher Umgang wichtig. So können wir alle zur Sensibilisierung in unserem Umfeld beitragen, etwa indem wir Informationen über die Herausforderungen queerer Menschen auf dem Wohnungsmarkt in sozialen Netzwerken teilen oder im Freundeskreis besprechen.
Wenn Sie von Diskriminierung auf dem Wohnungsmarkt erfahren, seien Sie solidarisch und ermutigen Sie die betroffenen Personen, Unterstützung bei spezialisierten Beratungsstellen zu suchen.
lsw, fs
Exkurs
Der Begriff „queer“ stammt aus dem Englischen und bedeutete ursprünglich „seltsam“ oder „abweichend“. Im 19. Jahrhundert nutzte man ihn abwertend für Menschen, die nicht den heteronormativen Erwartungen entsprachen, besonders für homosexuelle Personen. Ab den 1980er Jahren eroberte die LGBTQIA+-Bewegung „queer“ selbstbewusst zurück und besetzte ihn positiv. Heute umfasst der Begriff Identitäten, die traditionelle Vorstellungen von Geschlecht und Sexualität hinterfragen, darunter lesbische, schwule, bisexuelle, trans*, inter*, asexuelle und nicht-binäre Personen.
Als marginalisierte Gruppe erfahren queere Menschen oft strukturelle Benachteiligung in Bereichen wie Arbeit, Wohnen und Gesundheit. Diese Ungleichheiten resultieren aus gesellschaftlichen Normen, die Heterosexualität und binäre Geschlechterrollen noch immer als einzig richtig ansehen. Häufig sind Vorurteile, Unwissenheit und kulturelle Werte die Ursache von Diskriminierung, die von subtilen Ausgrenzungen bis hin zu körperlicher Gewalt reichen kann. Queere Menschen als marginalisierte Gruppe zu erkennen, ist entscheidend, um Benachteiligungen sichtbar zu machen und Chancengleichheit zu fördern. Diese Sichtweise ermöglicht es, Diskriminierung aktiv entgegenzuwirken und eine Gesellschaft zu schaffen, die Vielfalt respektiert und integriert.
Berliner Beratungsstellen für Betroffene
Weiterführende Informationen zum Beratungsnetzwerk queer*home
17.12.2024