Die Ansiedlung großer Konzerne verändert Stadtbilder und Sozialstrukturen ganzer Kieze – besonders in einer Stadt wie Berlin. Beispiele aus den USA zeigen, wie Mietpreise steigen, soziale Strukturen zerbrechen und kleine Gewerbe bankrottgehen. Diese Entwicklungen drohen nun auch Mieter:innen rund um die Warschauer Straße, wo der 140 Meter hohe „Edge East Side Tower“ entsteht. Auf 32 Etagen soll dieses 400-Millionen-Euro-Hochhaus Amazons neues Hauptquartier werden – mit möglichen Folgen für den Kiez.
In Friedrichshain sorgt der Amazon-Tower derzeit für Aufruhr und Widerstand. Kritiker:innen zahlreicher Initiativen sehen in dem Hochhaus-Projekt die fortschreitende Gentrifizierung und steigende Dominanz internationaler Konzerne über lokale Stadtviertel. Das Projekt symbolisiere die Priorisierung von Wirtschaftsinteressen und renditeorientierten Bauten, während bezahlbarer Wohnraum zunehmend in den Hintergrund gerate. Vertreter:innen der Bündnisse „Berlin vs. Amazon“ und „Deutsche Wohnen & Co. enteignen“ warnten am 26. Oktober 2024 auf einer Demonstration vor dem drohenden Verlust von Kiezstrukturen sowie kultureller Vielfalt und forderten die Zerschlagung von Amazons „Technologie-Monopol“.
Erfahrungen aus Seattle und Arlington zeigen, wie Tech-Unternehmen wie Amazon, Apple, Alphabet (Google), Meta (Facebook) und Microsoft Städte umkrempeln: Mieten steigen rasant, Bewohner:innen und Gewerbe werden verdrängt. The Guardian berichtete bereits 2018 über die dramatischen Veränderungen auf Seattles Wohnungsmarkt, die Amazons Ansiedlung im Jahr 1997 ausgelöst hatte. Immobilienpreise stiegen innerhalb weniger Jahre um 70 Prozent, Mieten wurden für große Teile der Bevölkerung fast unerschwinglich.
Big Tech als Stadtentwickler
„Tech-Urbanisten“ – junge, gut ausgebildete, internationale Arbeitskräfte – bevorzugen oft Innenstadtlagen und zahlen auch hohe Mieten, was teure Neubauten und die Neuvermietung von hochpreisigen Wohnungen fördert. Auch möblierte Wohnungen werden für gut verdienende Menschen mit befristeten Arbeitsverträgen sehr attraktiv und treiben die Mietpreise weiter nach oben. Besonders zynisch: In Bezirken wie Friedrichshain-Kreuzberg sind bezahlbarer Wohnraum oder gar Sozialwohnungen ohnehin knapp. Die Dramatik der Situation verdeutlicht die Antwort der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung auf eine Anfrage der Linke-Abgeordneten Elif Eralp und Niklas Schenker: Von den 10.379 Sozialwohnungen in Friedrichshain-Kreuzberg fallen bis Ende 2027 3.247 aus der Sozialbindung – das entspricht rund 30 Prozent des Bestands.
Zynisch ist auch, dass einige Tech-Konzerne inzwischen selbst als Stadtentwickler auftreten. Alphabet-Tochter Sidewalk Labs bot in Toronto an, Kommunen bei der Infrastruktur zu unterstützen und sie finanziell zu entlasten. Das Projekt scheiterte zwar 2020, dennoch weist das Bündnis „Berlin vs. Amazon“ darauf hin, dass bei solchen Vorhaben detaillierte Datensätze über die Kommunikations-, Konsum- und Bewegungsmuster der Stadtbewohner:innen entstehen – ein oft übersehener Aspekt.
Arbeitskämpfe und Gewerkschaftsbewegungen
Der Widerstand gegen Amazon richtet sich nicht nur gegen soziale und stadtentwicklungspolitische Veränderungen, sondern auch gegen die Arbeitsbedingungen und die enorme Marktmacht des Unternehmens. In Brandenburg und Berlin protestieren Mitarbeiter:innen und Unterstützer:innen immer wieder für bessere Arbeitsbedingungen. Obwohl Unternehmen wie Amazon oft mit der Schaffung neuer Arbeitsplätze argumentieren, verändern sie durch ihre Ansiedlung vor allem die Arbeitskultur der betroffenen Stadtteile. Der starke Konkurrenzdruck und der hohe Leistungsdruck in solchen Unternehmen führen oft zum Verlust vielfältiger Arbeitsstrukturen. Stattdessen breitet sich die einheitliche Kultur der Tech-Branche aus, geprägt von ähnlichen Werten und Lebensstilen, oft inklusive Abgrenzung zu bestehenden Nachbarschaften – was am Ende die kulturelle Vielfalt der Viertel schwächt.
Mit zunehmender Etablierung einer Tech-Community fühlen sich viele der bisherigen Bewohner:innen ausgeschlossen und leiden unter den steigenden Lebenshaltungskosten. Auch können das leistungsorientierte Denken der Tech-Branche und der Fokus auf Wettbewerb den Gemeinschaftssinn mindern und nachbarschaftliche Unterstützung schwächen. Kieze orientieren sich schleichend immer stärker an den Bedürfnissen der neuen technologieorientierten Elite und verlieren dadurch ihre ursprüngliche Vielfalt.
Hält diese Entwicklung an, droht eine langfristige Veränderung der sozialen Dynamik. Die Gentrifizierung in Berlin schreitet voran. Städte müssen daher Wege finden, den sozialen Zusammenhalt zu bewahren und Arbeitsrechte auch in einem leistungsgetriebenen Umfeld zu schützen. Initiativen und Stadtpolitiker:innen stehen vor der Herausforderung, wirtschaftliche Entwicklung und soziale Gerechtigkeit in Einklang zu bringen.
Kulturelle Vielfalt gefährdet
Der Amazon-Tower steht exemplarisch für die Debatte um Gentrifizierung und die Verdrängung durch globale Akteure in Städten wie Berlin. Befürworter:innen solcher Bauvorhaben betonen wirtschaftliche Vorteile, neue Arbeitsplätze und moderne Infrastruktur. Kritiker:innen warnen jedoch vor den sozialen Folgen, die der Wandel des Stadtbilds mit sich bringt.
Aber auch die Tage des „Edge East Side Tower“ als höchster Prestigebau der Stadt sind bereits gezählt, denn an der Sonnenallee in Neukölln entsteht der 176 Meter hohe Estrel Tower. Mit seiner geplanten Vollendung 2025 wird er als Teil des Estrel Hotel-Ensembles die Skyline Berlins weiter verändern. Die geschätzten Kosten belaufen sich auf 260 Millionen Euro (Stand Sommer 2022). Deutschlands größtes und lukrativstes Hotel wird bald 45 zusätzliche Etagen, 525 Hotelzimmer, neue Fitness- und Spa-Bereiche, Büro- und Tagungsräume sowie Restaurants und einer Skybar bieten.
Am Ende bleibt die Frage, wie solche Projekte sozial verträgliches Wohnen und die Belange der Berliner Bürger:innen berücksichtigen. Offene, lebenswerte und kulturell attraktive Städte brauchen bezahlbaren Wohnraum und eine Vielfalt an Menschen, die in den Quartieren dauerhaft wohnen und ihre Gemeinschaft stärken. Statt sterilem Büroraum und teuren Wohnungen für wenige sind gemeinwohlorientierter Wohnungsbau und bezahlbare Mieten zentral, um eine nachhaltige und sozial ausgewogene Stadtentwicklung zu sichern. Nur so bleibt die kulturelle Vielfalt erhalten, die lebendige Viertel ausmacht und Städte lebenswerter und inklusiver gestaltet.
lsw
14.11.2024