Die Berliner Skyline soll wachsen – zumindest, wenn es nach Bürgermeister Kai Wegner geht. Doch der Weg zu einer markanten Silhouette ist steinig: Zwischen teuren Prestigeprojekten und dem Versprechen auf Gemeinwohlflächen bleibt die Wohnungsnot ungelöst. Wie realistisch ist eine Zukunft mit Wolkenkratzern in der Hauptstadt?
Die Skyline von New York fasziniert seit jeher Menschen weltweit. Auch Berlins Regierender Bürgermeister Kai Wegner (CDU) zeigte sich beeindruckt vom 541 Meter hohen One World Trade Center. „Berlin muss definitiv mutiger in die Höhe bauen“, erklärte er nach seinem Besuch in New York Mitte November dem Tagesspiegel. „Eine markante Skyline, ähnlich wie in Frankfurt am Main, kann ich mir auch für Berlin gut vorstellen.“
Dass Wegner die Hauptstadt auf Augenhöhe mit den großen Metropolen der Welt positionieren möchte, zeigten bereits die ambitionierten Pläne für eine Magnetschwebebahn. Wie aber ein solches Prestigeprojekt inmitten einer katastrophalen Haushaltslage Realität werden soll, blieb der Regierende indes schuldig. Koalitionspartner und die Opposition waren jedenfalls nicht überzeugt. Stattdessen will man sich bemühen, die Olympischen Spiele 2036 oder 2040 an die Spree zu holen. Eine höhere Skyline könnte dann noch mehr Gäste aus aller Welt empfangen.
Der Hochhaus-Boom und seine Schattenseiten
Die Debatte über Hochhäuser ist in Berlin keineswegs neu. Schon im November des Vorjahres sprach sich die CDU auf ihrer Fraktionsklausur in Warschau für eine deutlich höhere Skyline aus. Erste Pläne realisieren sich bereits. So erhebt sich an der Warschauer Straße – begleitet vom Protest der Bewohner:innen der umliegenden Kieze – der Amazon-Tower. Dessen 142 Meter werden schon jetzt vom im Bau befindlichen Estrel-Tower am S-Bahnhof Sonnenallee überholt. Das neue Wahrzeichen hat jüngst die Wolkenkratzer-Marke von 150 Metern genommen und wird bei Fertigstellung 176 Meter in die Höhe ragen.
Was solche Wolkenkratzer nicht bringen: bezahlbaren Wohnraum! Zwar scheint es naheliegend, den Mangel an Wohnraum in beliebten Innenstadtlagen durch den Bau in die Höhe zu kompensieren. Doch in der Realität entfallen oft weniger als ein Drittel der geplanten Flächen auf Wohnungen, während über die Hälfte für Büros vorgesehen ist. Der Grund dafür liegt in der privaten Planung, die primär auf Rendite abzielt. Je höher ein Gebäude wird, desto teurer wird der Quadratmeter – Kosten, die sich nur durch hochpreisige Gewerbemietverträge amortisieren lassen. Sozial verträgliche Wohnraumkonzepte bleiben dabei auf der Strecke.
Doch selbst wenn Hochhäuser zu Wohnzwecken gebaut werden, ist dies in der Unterbringung nicht besonders effizient. Denn laut Zahlen der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung lassen sich in der Stadt 322 Menschen auf einem Hektar Fläche (100 mal 100 Meter) unterbringen, wenn diese in geschlossener Blockbauweise mit Hinterhofbebauung genutzt wird. Hochhäuser dagegen bieten mit zehn bis elf Etagen nur Platz für 319, mit mehr als elf Etagen sind es sogar nur 315 Einwohner:innen pro Hektar.
Mehrwert für die Allgemeinheit durch Hochhausleitbild
Im Februar 2020 hatte der damals rot-grüne Senat mit der Verabschiedung des Hochhausleitbildes erste Schritte unternommen, Berlin behutsam in die Höhe wachsen zu lassen. Dieses Leitbild greift für Bauprojekte, die die umliegenden Gebäude um mehr als 50 Prozent überragen – in Berlin also meistens ab einer Höhe von 35 Metern. Das Leitbild fordert, die Hochhausprojekte so zu gestalten, dass sie der Allgemeinheit einen Mehrwert bieten und gut in das Stadtbild integriert werden. Dabei soll die soziale Nutzung vor Ort, die Infrastruktur und das Stadtklima Beachtung finden und die Nachbarschaft am Planungsprozess beteiligt werden. Allerdings wurde bis heute kein Hochhaus nach diesen Vorgaben fertiggestellt. Anfang des Jahres waren laut Senatsverwaltung etwa 50 Projekte in Planung, davon fünf mit einer Höhe von mehr als 100 Metern.
Kai Wegner strebt an, die bestehenden Regelungen weiter zu flexibilisieren, um den Bau höherer Gebäude zu erleichtern. Wie bei anderen städtebaulichen Planungen mit gesamtstädtischer Bedeutung wird der Senat dabei vom Berliner Baukollegium unterstützt – einem unabhängigen Expertengremium, das beratend tätig ist.
Mischnutzung und Gemeinwohlflächen auf dem Prüfstand
Zur Diskussion steht unter anderem die im Hochhausleitbild festgelegte Mischnutzung, die vorsieht, dass mindestens 30 Prozent der Fläche in einem primär gewerblich genutzten Hochhaus für „Gemeinwohlflächen“ wie Wohnungen oder kulturelle Einrichtungen bereitgestellt werden. Allerdings bestehen Zweifel, ob diese Vorgabe tatsächlich bezahlbare Mieten für Wohnungen oder soziale Infrastruktur ermöglichen kann. Das Baukollegium argumentiert, dass Mieten für soziale Zwecke in Hochhäusern aufgrund hoher Baukosten schwer finanzierbar seien und daher die Mischnutzungsquote überdacht werden sollte. Das Gremium schlägt vor, das Gemeinwohl stattdessen durch eine Abgabe auf die Bodenwertsteigerung infolge der Hochhausbebauung zu sichern.
Eine weitere Vorgabe betrifft den öffentlichen Zugang zu den Dachgeschossen von Hochhäusern. Diese Regelung, so die Kritik, mache die Gebäude optisch „dick und moppelig“. Das Baukollegium schlägt vor, diese öffentlichen Bereiche stattdessen in niedrigeren Etagen, etwa im fünften oder sechsten Stock, anzusiedeln. Ein Beispiel hierfür ist das Hochhausprojekt an der Jannowitzbrücke. Dort wurde entschieden, statt eines öffentlich zugänglichen obersten Geschosses eine begrünte Dachterrasse auf dem fünfgeschossigen Sockelgebäude zu schaffen, die für die Öffentlichkeit zugänglich und kostenlos nutzbar ist. Diese Terrasse befindet sich etwa 25 Meter über dem Straßenniveau und soll einen höheren Mehrwert für die Allgemeinheit bieten als beispielsweise ein Restaurant in der Turmspitze.
Standortwahl: Cluster oder freie Planung?
Auch bei der Standortwahl für Hochhäuser sehen die Expert:innen Änderungsbedarf. Das Baukollegium hält hohe Gebäude nur in den bereits etablierten Clustern – Potsdamer Platz, Alexanderplatz, Breitscheidplatz, Hauptbahnhof und Ostbahnhof – für stadtverträglich. Der SPD-Baustadtrat von Mitte, Ephraim Gothe, fordert zudem, die Standortwahl nicht von „Sherpas der Investoren, die besonders gut verdrahtet sind“, diktieren zu lassen.
Gothes Plädoyer für eine städtebaulich geplante Standortwahl verdient Zustimmung. Doch dieser Ansatz sollte sich nicht nur auf die Standortwahl beschränken, sondern die gesamte Planung und Ausrichtung von Projekten betreffen. Angesichts des wachsenden Leerstands von Büroflächen in Berlin bei gleichzeitig dramatischer Wohnungsnot muss das Baukollegium stärker darauf hinwirken, bestehende Flächen effizient für den Bau von Wohnungen zu nutzen – auch wenn dies den Verzicht auf kostspielige Hochhäuser erfordert.
ml
17.12.2024