Die Diskussion über zu hohe Baukosten verstellt den Blick auf ein anderes Problem: die seit Jahren massiv gestiegenen Bodenpreise. Sie verhindern die Schaffung von Wohnraum, Platz für Schulen, Verwaltung und Kultur. Das muss sich ändern, finden unsere Expert:innen und diskutieren Möglichkeiten für eine „Rückeroberung“ des Bodens durch die Stadt und seine sozial gerechte Nutzung.
Berlin ist nicht nur die Stadt mit den meisten Einwohner:innen in Deutschland, sondern auch die mit der größten Fläche: 891 Quadratkilometer umfasst unser Stadtstaat. Fast die Hälfte davon, nämlich 47 Prozent, gehören der öffentlichen Hand und damit allen Berliner:innen. Doch schiere Größe allein bringt noch keinen bezahlbaren Wohnraum, zumal die 47 Prozent auch einen Großteil der Grün- und Wasserflächen sowie das Straßennetz dieser Stadt umfassen. Umgekehrt bedeutet das: Baugrundstücke oder potenzielles Bauland für dringend benötigten Wohnraum, für Schulen, Verwaltung und Kultureinrichtungen sind vielfach in privater Hand und so der Spekulation auf dem „Markt“ ausgesetzt. Bodenpreise haben einen bedeutenden Anteil an den Gesamtbaukosten, hohe Bodenpreise gefährden den Neubau. Der Stadtentwicklungsplan 2030 (StEP Wohnen 2030) weist bereits bei der Veröffentlichung im Jahr 2020 auf die zunehmende Knappheit von Bauland hin: Bodenmangel ist gleich Wohnungsmangel.
Ein Blick in den Bodenrichtwerteatlas (BORIS) zeigt, wie sich der Bodenmarkt in den vergangenen zehn Jahren aufgeheizt hat. Ein Beispiel: Lag der Bodenrichtwert für den Wrangelkiez in Kreuzberg Anfang 2013 noch bei 440 Euro pro Quadratmeter, betrug er zehn Jahre später 4.200 Euro pro Quadratmeter. Auch wenn der Preisanstieg in den begehrten Innenstadtbezirken besonders eklatant ist, betrifft er das gesamte Stadtgebiet. Selbst in der Hochhaussiedlung Heerstraße in Spandau am äußersten Rand von Berlin haben sich die Bodenpreise innerhalb von zehn Jahren verdreifacht.
Bauträger:innen führen die hohen Bodenpreise schon seit Jahren als Grund für den stagnierenden Wohnungsbau an. Die sich überlagernden Krisen und ihre Folgen – unterbrochene Lieferketten, gestiegene Energie- und Materialkosten – tun ein Übriges. Wenn doch gebaut wird, dann sind es hochpreisige Miet- oder Eigentumswohnungen. Das Argument: Der Bau von preisgünstigen Wohnungen ist in Berlin unter den derzeitigen Umständen wirtschaftlich nicht mehr darstellbar.
Sind Bodenpreisregulierungen der Hebel, um leistbaren Wohnraum zu schaffen? Wir haben zwei Expert:innen nach ihrer Einschätzung gefragt.
Katrin Lompscher (Die Linke) war von Dezember 2016 bis August 2020 Senatorin für Stadtentwicklung und Wohnen. Vor ihrer politischen Tätigkeit arbeitete die Diplomingenieurin für Städtebau lange Zeit wissenschaftlich im Bereich Stadtplanung und kennt daher beide Seiten. Sie fordert die konsequente Anwendung vorhandener planungsrechtlicher Instrumente und ein ganzheitliches Bodenankaufskonzept.
„Bodenpolitik ist überwiegend Bundespolitik, doch auch die Bundesländer verfügen über Instrumente, mit denen sie zumindest lokal die Verkehrswerte der Grundstücke senken können: eigene Grundstücke, das Baugesetzbuch, die Bauordnung und das besondere Städtebaurecht. Einige dieser Möglichkeiten bleiben bisher theoretisch, da die Verwaltungen sie kaum nutzen. Dabei haben wir über das Planungsrecht beispielsweise Definitions- und bei Bedarf Zugriffsmöglichkeiten für private Grundstücke, wobei die Entschädigung auf gesetzlicher Grundlage auch unter dem Verkehrswert erfolgen kann. Es gibt ein kommunales Vorkaufsrecht, beispielsweise bei Eigentümerwechsel oder Entwidmung von Bahnflächen. Mit dem Baugebot kann die Kommune eine genehmigte Bebauung verlangen oder selbst vornehmen. Mit dem besonderen Städtebaurecht ist es sogar möglich, Bodenpreise vor der geplanten städtebaulichen Entwicklung einzufrieren.
Wir brauchen also nicht ausschließlich neue Instrumente. Viel wichtiger ist, dass die Berliner Verwaltungen, insbesondere die Bezirke, ein größeres Selbstbewusstsein entwickeln und das Zepter der Planungshoheit wieder mehr in die Hand nehmen. Dazu gehört auch eine grundsätzliche Verständigung über die Ziele einer Berliner „Bodenoffensive“, eine gemeinsame Strategie und deren Umsetzung. Oberstes Ziel muss es sein, wieder mehr Boden in die öffentliche Hand zu bekommen. Hier hat die Politik bis Mitte der 2000er Jahre mit der Privatisierung von Boden und Wohnungsbeständen große Fehler gemacht. Ein wesentlicher Eckpfeiler dieser Offensive ist die sogenannte Bodenbevorratung, also der Ankauf von Flächen, die künftig als Bauland für öffentliche oder öffentlich unterstützte Zwecke dienen können. Die Bodenbevorratung muss langfristig angelegt sein, damit sie auch bei Regierungswechseln Bestand hat.
Natürlich ist es bitter, dass wir heute Flächen teuer (zurück)kaufen müssen. Dennoch sollte Berlin ein strategisches Ankaufkonzept unter Einbeziehung der Bezirke entwickeln, indem wir planungsrechtliche Instrumente und das besondere Städtebaurecht gezielt anwenden. Je mehr Flächen wir wieder in die öffentliche Hand überführen können, desto mehr Handlungsoptionen und Gestaltungsspielräume hat die Stadt. Verwaltung und Politik müssen vertrauensvoll zusammenarbeiten, damit die Berliner Bodenpolitik ein Gemeinschaftsprojekt ist – langfristig und beständig.“
Philip Schöntag ist Vorstand der Ectus 82. AG, einem Generalübernehmer und Projektentwickler für nachhaltigen Neubau und Sanierung. Die Bodenpreise sieht er als ein großes Problem, wenn auch nicht als das einzige. Er fordert preisgünstige Baugrundstücke und eine neue Genehmigungs- und Förderpraxis.
„Nachhaltig und energieeffizient Bauen hat seinen Preis. In den vergangenen Jahren ist es in Berlin und auch in Brandenburg immer schwieriger geworden, preisgünstige Grundstücke zu erwerben. Jetzt kommen die gestiegenen Zinsen, Materialknappheit und der Fachkräftemangel hinzu. In Berlin spielen vor allem die hohen Grundstückspreise eine große Rolle, denn die anschließenden Baukosten und die Finanzierungszinsen sind überall dieselben. Viele Grundstückseigentümer:innen wollen derzeit zudem nicht verkaufen, sie sitzen Zinsanstiege und Inflation einfach aus.
Wenn wir uns um Grundstücke bemühen, erleben wir häufiger, dass es immer jemanden gibt, der noch zehn Prozent mehr drauflegt. Das macht die Preise und auch den Markt kaputt, gerade für diejenigen, die sozial und nachhaltig bauen wollen. Durch die hohen Bodenpreise und die insgesamt hohen Baukosten sind in der wirtschaftlichen Berechnung derzeit Mieten von 20 Euro pro Quadratmeter nötig. Unter diesen Voraussetzungen fangen viele gar nicht erst an zu bauen.
Hinzu kommt der Zeitdruck: Der Bedarf an preisgünstigen Wohnungen ist groß, die Anforderungen an die Projektentwickler:innen sind durch die Klimaschutzziele noch einmal gestiegen. Deshalb brauchen wir dringend Reformen – nicht nur bei den Bodenpreisen, sondern auch in der Genehmigungs- und Förderpraxis.
In der Planungs- und Genehmigungsphase haben wir oft den Eindruck, dass die Berliner Stadtentwicklung überwiegend junge Gutverdienende im Blick hat. Nachhaltiges und barrierefreies Bauen spielen nur eine untergeordnete Rolle. Dabei weisen Klima- und demografischer Wandel in eine weitere Richtung.
Die Bodenpreise sind ein großes Problem, aber eine Korrektur der Bodenwerte allein wird nicht reichen. Es muss ein großer Rundumschlag erfolgen. Neben dem Abbau bürokratischer Hürden und der Schaffung eines ordnungsrechtlichen Förderrahmens muss es vor allem darum gehen, gemeinsam Lösungen für mehr bezahlbaren Wohnraum zu entwickeln. Wir sind für Kooperationen mit der Stadt offen.“
Fazit: Entscheidungsmacht und Gestaltungsspielräume zurückgewinnen
Die Expert:innen sind sich einig: Die Bodenpreise sind ein wichtiger Faktor zum Gelingen von mehr sozialem und nachhaltigem Wohnungsneubau. Eine flächendeckende Bodenpreisregulierung sehen beide Expert:innen nicht als Allheilmittel. Doch einig sind sie sich auch darin, dass politischer Wille fehlt und die öffentliche Hand ihre Gestaltungsspielräume nicht voll ausgenutzt.
Während Katrin Lompscher sich von der Rückgewinnung der Entscheidungsmacht über den Boden einen wichtigen Lösungsansatz verspricht, sieht Philip Schöntag als privater Unternehmer die Lösung darin, mit dem Land Berlin zu kooperieren, wenn es um die Vergabe von Bauland an private, sozial orientierte Bauträger:innen geht. Ob allerdings auch bei privatwirtschaftlichen Bauträger:innen die Vergabe von Grundstücken per Erbbaurecht gelingen kann, hängt von verschiedenen Faktoren ab. Große Renditen sind derzeit ohnehin nicht zu erwarten, sonst hätten die großen Wohnungsunternehmen nicht offenherzig Baustopps verkündet.
Wo privatwirtschaftliche Bauträger:innen keine kostengünstigen Wohnungen schaffen wollen, sollte das Land Berlin über Zugriffsrechte vorrangig selbst zum Bauherren werden und die Grundstücke zu Preisen unter den Verkehrswerten ankaufen. So könnte Berlin am Ende kostengünstiger bauen als private Unternehmen. Denn in Krisensituationen verschwindet Wohnungsnot nicht, sondern verschärft sich eher noch. Um die gemeinwohlorientierte Daseinsvorsorge beim Wohnen langfristig zu sichern, darf Boden in öffentlicher Hand nicht mehr verkauft werden. Der private Zugang zu Baugrundstücken sollte nur über das Erbbaurecht erfolgen. Last but not least: Wir fordern von der Bundesregierung weiterhin, der Spekulation mit dem Boden den Riegel vorzuschieben.
Ein Beitrag von Franziska Schulte
Weitere Informationen:
Mediathek-Tipp aus unserem MieterMagazin März 2023 „Profitmaschine Boden”
Neue Studie Deutschen Institut für Urbanistik (difu) zeigt anhand einer repräsentativen Kommunalbefragung wie 16 Fallstudienstädte städtebaurechtliche Instrumente bei der Baulandmobilisierung einsetzen.
Ein Bodenfonds für Berlin
Seit 2020 gibt es die Berliner Bodenfonds GmbH (BBF), eine Tochtergesellschaft der Berliner Immobilienmanagement GmbH (BIM) zum strategischen Ankauf von Grundstücken. Der Senatsbericht vom September 2022 geht detailliert auf die Verwendung der Mittel im Bodenfonds für Ankäufe von Flächen und Grundstücken ein. Mit insgesamt 135 Millionen Euro hat Berlin bisher rund 50 Grundstücke gesichert, vorrangig zur Realisierung von Infrastrukturmaßnahmen und zur Deckung des Bedarfs in den Bereichen Gewerbe und Kultur. Ein weiteres Instrument neben dem Bodenfonds ist der kreditfinanzierte Grundstücksankauf durch den BBF. Die Gesellschaft verfügt inzwischen stadtweit über sechs Grundstücke, vorrangig Gewerbeflächen. Hierfür wurden bisher Kredite in Höhe von rund 57 Millionen Euro aufgenommen. Sechs weitere Grundstücksgeschäfte mit einem Kreditvolumen von 70,7 Millionen Euro sind noch für dieses Jahr geplant.
Der Flächen- und Grundstücksankauf für Wohnungsbau scheint angesichts der Bodenpreise nicht mehr realistisch zu sein – aus Sicht des BMV braucht es mehr Mittel und zugleich den Einsatz planungsrechtlicher Instrumente, um nicht selbst spekulativer Preistreiber beim Boden zu sein. Zudem muss die Privatisierung von Boden gesetzlich ausgeschlossen werden.
Städte wie Ulm haben bereits vor 130 Jahren mit einer vorausschauenden Bodenpolitik begonnen: Die Stadt betreibt eine grundlegende Bodenbevorratung und kauft mittel- und langfristig Grundstücke für die spätere Verwendung an. Baurecht gibt es nur auf den Flächen der Stadt. Erwerber:innen bauen nach Konzept und Bedarf der Stadt, andernfalls gilt die Rückübertragung, die als Wiederkaufsrecht im Grundbuch vermerkt ist.
19.03.2023