Der in Berlin derzeit geltende Mietspiegel läuft im Mai 2023 aus. Ein seit Monaten schwelender Rechtsstreit lähmt die Erarbeitung einer neuen Auflage. Steht Berlin im kommenden Jahr ohne gültigen Mietspiegel da oder könnte ein Verbändemietspiegel die Lösung sein?
Er ist das derzeit einzige wirksame Instrument zur Regulierung der Mietpreise bei bestehenden Mietverhältnissen: der Mietspiegel. Auf Basis statistischer Datenerhebungen bildet er die sogenannte ortsübliche Vergleichsmiete ab. Auch für Neuvertragsmieten ist der Mietspiegel im Rahmen der in Berlin geltenden Mietpreisbremse die Richtschnur. In Berlin wird die Zeit zur Erstellung eines qualifizierten Mietspiegels für das Jahr 2023 knapp. Denn schon im Mai 2023 soll der neue Mietspiegel erscheinen. Doch seit Anfang dieses Jahres liegt das Ausschreibungsverfahren für den neuen Mietspiegel auf Eis. Was ist passiert?
Tabellen- oder Regressionsanalyse? Ein Methodenstreit
Kern der Auseinandersetzung ist ein Streit um die richtige Methode bei der Erstellung des Mietspiegels. Ein qualifizierter Mietspiegel muss auf anerkannten wissenschaftlichen Grundsätzen basieren. Doch diese Grundsätze sind nicht genau definiert und führten schon in der Vergangenheit zu Streit zwischen Statistiker:innen. Zwei wissenschaftliche Methoden waren bisher gängig und werden als solche auch in der Mietspiegelverordnung benannt: Die Tabellenanalyse basiert auf einer erhobenen Grundgesamtheit und gliedert die Mietdaten nach Wohnfläche, Wohnlage und Baualter in einer Tabelle. Der Regressionsmietspiegel ermittelt zunächst eine Basismiete aus einer kleineren Stichprobe und leitet von dieser ab, welche Wohnungsmerkmale Zu- und Abschläge in welcher Höhe bewirken.
Berlin hatte bislang einen Mietspiegel nach der Tabellenmethode, erstellt durch ein Forschungsinstitut aus Hamburg. Die Tabellenmethode umfasst deutlich mehr Daten als die Regressionsanalyse. Zudem bildet sie die in Berlin vorhandenen großen Unterschiede in Baualtersklassen, Wohnlagen und Gebäudezustand besser ab. Auf Grundlage einer EU-weiten Ausschreibung beauftragt der Berliner Senat das jeweilige Forschungsinstitut mit der Erstellung des Mietspiegels. Die Erstellung wird von der Arbeitsgruppe Mietspiegel begleitet, in der neben dem Senat die Interessenverbände der Mietenden und Vermietenden vertreten sind.
Im Dezember 2021 hatte ein Regensburger Forschungsinstitut das EU-weite Ausschreibungsverfahren der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, Bauen und Wohnen für den neuen Mietspiegel 2023 mit der Behauptung angefochten, die Ausschreibungskriterien würden die Erstellung eines qualifizierten Mietspiegels nicht ermöglichen. Die darauffolgende Prüfung der Vergabekammer Berlin läuft – seitdem ruht die Arbeit am neuen Mietspiegel. Die Mitglieder der Arbeitsgruppe Mietspiegel gehen davon aus, dass aufgrund der zeitlichen Verzögerung die Erstellung eines qualifizierten Mietspiegels nicht mehr möglich ist. Welche Lösungen könnte es jetzt geben?
Verbändemietspiegel könnte „Burgfrieden“ zwischen Mietenden und Vermietenden stiften
Seit dem 1. Juli 2022 gelten das neue Mietspiegelreformgesetz und die neue Mietspiegelverordnung. Diese präzisieren die Vorgaben für die Mietspiegelerstellung. Qualifiziert ist ein Mietspiegel künftig nur dann, wenn er die nach der Mietspiegelverordnung vorgegebenen Kriterien erfüllt und wenn er vom Land und den Interessenvertreter:innen von Vermietenden und Mietenden gemeinsam als qualifizierter Mietspiegel anerkannt wird. Nach der Mietspiegelverordnung ist weiterhin auch ein einfacher Mietspiegel möglich. Die AG Mietspiegel könnte sich somit auf einen einfachen Mietspiegel in Form eines Verbändemietspiegels verständigen, der zwar erneut auf den bereits fortgeschriebenen Daten des Mietspiegels 2021 aufbaut, jedoch auf neuen Daten und Indizes aus dem Wohnungs- und Immobilienmarkt für die Fortschreibung der Miethöhen aufsetzt. Voraussetzung ist, dass die Verbände sich auf die heranzuziehenden Datenindizes einigen – das wird sicher nicht einfach.
Wir werden verhindern müssen, dass allein auf den allgemeinen Lebenshaltungskostenindex zugegriffen wird, denn die allgemeine Teuerung würde auch die Durchschnittsmieten im Mietspiegel in die Höhe treiben. Viel entscheidender sollte aus unserer Sicht die Lohnentwicklung sein sowie die Daten zur Preisentwicklung im Wohnungsmarkt, die die Investitionsbank Berlin (IBB) jährlich erhebt und auswertet. Eine Begleitung durch ein Forschungsinstitut wäre auch bei einem Verbändemietspiegel nach unserer Ansicht von Vorteil, um den wissenschaftlichen Aspekt bei der Erstellung zu gewährleisten. Und auch die Expert:innen des Senats sollten mitwirken. Wenn eine Einigung zwischen den Verbänden der Mieter:innenschaft und der Wohnungswirtschaft gelingt, könnte Berlin im Mai 2023 immerhin einen von beiden Seiten anerkannten einfachen Mietspiegel haben. Das war nicht immer so.
Wir halten unsere Leser:innen auf dem Laufenden, wie es mit dem Ausschreibungsverfahren weitergeht und zu welchen Prüfergebnissen die Vergabekammer des Senats hinsichtlich der letzten Ausschreibung für einen qualifizierten Mietspiegel kommt.
Exkurs: Was kann der Mietspiegel?
Der Mietspiegel bildet auf Basis statistischer Datenerhebungen die sogenannte ortsübliche Vergleichsmiete ab. Für bestehende Mietverhältnisse ist er derzeit das einzig wirksame Mietpreisregulierungsinstrument im Mietrecht (Bürgerliches Gesetzbuch, BGB). Vermieter:innen nutzen die ortsübliche Vergleichsmiete vor allem als Begründung für Mieterhöhungen. Auch für Neuvertragsmieten ist der Mietspiegel unter Berücksichtigung der in Berlin geltenden Mietpreisbremse die Richtschnur.
Seit 2003 gibt es in Berlin einen qualifizierten Mietspiegel, erstellt nach wissenschaftlichen Methoden – zumeist durch die Auftragsvergabe an Forschungsinstitute – und unter Beteiligung von Mitgliedern des Senats sowie von Interessenverbänden in einer Arbeitsgruppe Mietspiegel. Dennoch verging kaum ein Jahr, in dem Vermieter:innen, Verbände oder Gerichte den Mietspiegel nicht angegriffen haben. Obwohl die Vermieter:innenverbände in der AG Mietspiegel mitarbeiten, kam es bereits mehrfach vor, dass sie den finalen Mietspiegel nicht anerkannten – ein Dilemma, das offenbar auch das neue Mietspiegelreformgesetz nicht lösen wird. Seit einigen Jahren fordern wir, dass nicht allein Neuvertragsmieten und Mieterhöhungsmieten in den Mietspiegel einfließen, stattdessen sollten auch die unveränderten Mieten im Betrachtungszeitraum von inzwischen sechs Jahren die ortsübliche Vergleichsmiete prägen.
21.09.2022