Die Richter kippen weitgehend das gemeindliche Vorkaufsrecht in Milieuschutzgebieten. Der BMV fordert die neue Bundesregierung auf, das Baurecht zu ändern, um den Schutz der Mieter:innen vor Verdrängung zu gewährleisten.
Erneut hat ein hohes Gericht ein Urteil gesprochen, das gravierende Auswirkungen für Mieter:innen haben wird. Am 9. November hat das Bundesverwaltungsgericht das gemeindliche Vorkaufsrecht der Bezirksämter in Milieuschutzgebieten weitgehendgekippt. „Die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts torpediert die Versuche Berlins und anderer Städte, in den Milieuschutzgebieten über das Vorkaufsrecht die stadtentwicklungspolitischen Ziele der sozialen Erhaltungsgebiete auszuüben und die Mieterinnen und Mieter vor Verdrängung zu schützen“, kritisiert der Geschäftsführer des Berliner Mietervereins, Reiner Wild. „Der Stärkung des Gemeinwohls durch das Vorkaufsrecht der Bezirke wird damit ein herber Schlag versetzt.“
Der Verdrängungsdruck ist hoch
In Berlin gibt es inzwischen mehr als 70 Milieuschutzgebiete. In diesen baurechtlich als Gebiete sozialer Erhaltungsverordnung bezeichneten Wohnquartieren soll die Zusammensetzung der Wohnbevölkerung erhalten bleiben, mit anderen Worten: Verdrängung vermieden werden. Eine besondere Genehmigungspflicht besteht deshalb bei der Modernisierung und auch bei der Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen. Wird innerhalb eines solchen Milieuschutzgebietes ein Wohnhaus verkauft, muss sich der Erwerber – egal ob privat oder öffentlich – zwar an die Regeln der sozialen Erhaltungsverordnung halten. Wegen der aktuell hohen Kaufpreise vermuten die Bezirke gleichwohl einen erheblichen Verdrängungsdruck bei privaten Erwerbern:innen.
Das Baugesetzbuch räumt den zuständigen Bezirksämtern grundsätzlich das Recht ein, das zum Verkauf stehende Grundstück samt Gebäude darauf dem Verkäufer abzukaufen, auch wenn dieser schon einen Kaufvertrag mit einem privaten Interessenten geschlossen hat. Dieses Vorkaufsrecht übt das Bezirksamt dann zugunsten einer städtischen Wohnungsgesellschaft oder einer anderen gemeinwohlorientierten Organisation aus. Diese Praxis ist in den vergangenen Jahren vielfach zur Anwendung gekommen. Rund 2.500 Wohnungen konnten damit vorgekauft werden, weitere rund 12.000 Wohnungen konnten mit weitreichenden Vorgaben in Abwendungsvereinbarungen gesichert werden. Darin verpflichtet sich der private Erwerber, mit dem gekauften Grundstück die „Ziele und Zwecke der städtebaulichen Maßnahme“ zu beachten. Die Abwendungsvereinbarungen unterzeichnen Erwerber:innen von Grundstücken und Wohnhäusern aber nur, wenn der Bezirk in die Vorkaufsprüfung eintritt und die Ausübung des Vorkaufsrechts in Aussicht steht.
BMV fordert Änderung des Baurechts
Mit dieser Praxis scheint es nun vorbei! Das Bundesverwaltungsgericht hat entschieden, dass das Vorkaufsrecht nur auf Häuser anwendbar ist, die in einem schlechten baulichen Zustand sind oder auf deren Grundstück andere erhebliche Missstände bestehen. Eine bittere Enttäuschung für tausende Mieter:innen vor allem in den Innenstadtlagen. In der Vergangenheit konnten wir bereits beobachten, dass es in vielen Fällen, bei denen Vorkäufe der Bezirke nicht gelungen sind, zur Verdrängung von Menschen, sozialen Einrichtungen und Gewerbetreibenden in Folge stark steigender Mieten und/oder Entmietung gekommen ist.
„Wir fordern von der neuen Bundesregierung, dass sie umgehend das Baurecht korrigiert, damit die Verdrängungsrisiken von Mieterinnen und Mietern in Milieuschutzgebieten durch die Ausübung des Vorkaufs verringert werden“, macht Reiner Wild die Position des Berliner Mietervereins klar.
17.11.2021