Der Bau neuer Wohnungen allein wird den Wohnungsmarkt nicht entspannen, sagt BMV-Geschäftsführer Reiner Wild im Interview. In einer Studie hat der BMV untersucht, ob und was das Berliner Bündnis für Wohnungsneubau und bezahlbare Mieten vom Hamburger Modell lernen kann.
Berlin will seine Wohnungspolitik neu ausrichten. Bereits in dieser Woche soll die Auftaktsitzung zur Bildung des im Koalitionsvertrag vereinbarten neuen Bündnis für Wohnungsneubau und bezahlbare Mieten stattfinden. Die wesentliche Kritik an der bisherigen Politik lautete, dass Berlin mit seinem Neubau nicht vorankommt und sich zu einseitig auf den Mieterschutz konzentriert. Berlins Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD) hat in der Vergangenheit gezeigt, dass sie sich im Gegensatz dazu am Hamburger Modell orientieren will. Dort gibt es seit 2011 das Bündnis für das Wohnen, das sich auf den Neubau fokussiert.
Geschäftsführer Reiner Wild, die Öffentlichkeitsarbeit Franziska Schulte und Vera Colditz sowie unser Werkstudent Moritz Lang, haben dies zum Anlass genommen, den Wohnungsmarkt der beiden Metropolen in einer Studie genauer zu betrachten. Dabei ging es um die Frage, ob die Fokussierung auf den Neubau mit einer massiven Angebotserweiterung zu einer besseren Lage auf dem Wohnungsmarkt in Berlin beitragen kann, von der letztlich auch Mieter:innen in bestehenden Mietverhältnissen profitieren.
Reiner Wild, die Studie zeigt, dass Berlin rechnerisch eine bessere Versorgung mit Wohnungen hat als Hamburg. Warum ist das so?
Berlin hatte eine bessere Ausgangssituation. Wir hatten Anfang der 2000er Jahre rechnerisch mehr Wohnungen als Haushalte – also eine positive Versorgungsquote. Und dann baut man natürlich auch nicht neu. Der Markt zog erst ab etwa 2009 an. In Hamburg war das anders. Dort war die Versorgungsquote in dem von uns betrachteten Zeitraum deutlich schlechter als in Berlin. Das hat mit dem Bevölkerungszuwachs und dem Zuwachs an Haushalten zu tun. Den gab es jedoch in beiden Städten. Die Versorgungssituation ist in Hamburg erst ab 2017 durch Neubauaktivitäten wieder besser geworden, unter dem Strich ist sie aber immer noch schlechter als in Berlin.
Aktuell werden in Berlin deutlich weniger Wohnungen fertig als in Hamburg. Wie kommt das?
Interessanterweise erteilt die Verwaltung in Berlin mehr Baugenehmigungen pro 1.000 Einwohner:innen als in Hamburg. An einer vermeintlich langsamen Verwaltung liegt es also nicht. Mit den erteilten Baugenehmigungen machen die Eigentümer aber nichts. Daher gibt es in Berlin – bezogen auf 1.000 Einwohner:innen – weniger Fertigstellungen als in Hamburg. Die Gründe kennen wir nicht: zu wenig Kapazitäten in der Bauwirtschaft etwa oder anhängige Gerichtsverfahren. Das muss eine genauere Analyse klären. Der Bauüberhang ist jedenfalls groß im Verhältnis zu Hamburg.
In Berlin muss also mehr gebaut werden?
Einfach mehr Wohnungen zu bauen, löst das Problem nicht. Natürlich ist es nicht sinnlos, mehr Wohnungen zu errichten, wenn die Bevölkerung wächst. Aber die Frage ist, welche Art von Wohnungen werden gebaut? Ein großer Teil der Neubauwohnungen ist für die Mehrzahl der Haushalte unerschwinglich. Das durchschnittliche Mietniveau bei neu erstellten Wohnungen liegt bei 14 Euro netto kalt pro Quadratmeter. Neubauten kommunaler Wohnungsunternehmen liegen im Schnitt bei elf Euro pro Quadratmeter. Auch das können sich viele nicht leisten. Bezugsfertige Sozialwohnungen gibt es dagegen zu wenige. Hier steht Hamburg übrigens deutlich besser da als Berlin.
Warum werden in Hamburg mehr Sozialwohnungen gebaut?
Ein Grund ist, dass in Hamburg mehr Genossenschaften und auch private Unternehmen Sozialwohnungen bauen – deutlich mehr als in Berlin. Das stärkere private Engagement könnte an den Förderrichtlinien liegen. Im Vergleich konnten wir jedoch nur kleinere Differenzen finden, die diesen deutlichen Unterschied nicht rechtfertigen.
Sollte Berlin die Förderrichtlinien attraktiver machen, um mehr private Investoren für den sozialen Wohnungsbau zu gewinnen?
Wir sehen das kritisch. Denn die Bindungszeit für die Förderung von Sozialwohnungen beträgt nur 30 Jahre. Danach sind die Mieten und auch die Belegung nicht mehr gebunden. Wenn eine öffentlich geförderte Mietwohnung dagegen im Eigentum eines kommunalen Wohnungsunternehmens ist, kann die Kommune mit dem Unternehmen vereinbaren, dass die Bindung weiterläuft. Das ist wohl auch der Grund, warum die Berliner Landesregierung gar nichts dagegen hatte, dass der soziale Wohnungsbau vorrangig von kommunalen Wohnungsunternehmen bestritten wird. Auf die Bevölkerungszahl bezogen ist die Bauquote der kommunalen Wohnungsunternehmen in Berlin (0,74 pro 1.000 Bewohner) mehr als doppelt so hoch wie in Hamburg (0,34 pro 1.000 Bewohner).
Die höhere Neubauquote in Hamburg hat nicht zu einer Entlastung bei den Mietpreisen geführt. Warum?
Zunächst ganz einfach: Der Wohnungsneubau hat trotz durchaus engagierter Bautätigkeit nicht für einen Ausgleich zwischen Nachfrage und Angebot geführt. Aufgrund verschiedenster Faktoren wie fehlende preisgünstige Grundstücke, fehlende Baukapazität, fehlendes Personal in Bauwirtschaft und Verwaltung und fehlendes Interesse seitens der Investoren kann es vermutlich hier auch nicht zu einer Entlastung kommen. Die Anzahl der Bewerber:Innen auf eine freie Wohnung ist daher in Hamburg und Berlin weiter groß. In der Folge gibt es keine nachlassenden Mietforderungen von Anbieter:innen und damit auch am Ende weitere Preisauftriebe im Mietspiegel, wie der jüngste Hamburger Mietspiegel sehr deutlich zeigt. Die Fokussierung auf den Wohnungsneubau allein löst das Problem unbezahlbarer Mieten also nicht.
Was könnte die Lösung sein?
Ein besserer Schutz vor überhöhten Mieten in bestehenden Mietverhältnissen wie auch bei neuen Verträgen. Die Mietbelastung ist ein zentraler Punkt. Dabei geht es auch um die Einkommensentwicklung im Verhältnis zu den Mieten. Hier zeigt die Entwicklung, dass Hamburger Mieter:innen trotz der engagierteren Neubautätigkeit immer noch eine höhere Mietbelastung haben als die Bewohner:innen in Berlin.
Welche Forderungen hat der BMV an den Berliner Senat und das neue Bündnis?
Natürlich muss die Politik der Tatsache Rechnung tragen, dass der Bedarf steigt. Gleichzeitig ist der Wohnungsneubau jedoch ökologisch bedenklich. Deswegen müssen wir genau hinschauen, uns auf die wirklichen Bedarfe beziehen und diese Bedarfe erfüllen. Einfach nur neu bauen, das funktioniert nicht. Weitere teure Eigentumswohnungen brauchen wir nicht. Vielmehr muss sich Berlin auf die Stärkung des Neubaus für breite Schichten konzentrieren – und das sind eben Sozialwohnungen, vielleicht auch kommunale Wohnungen. Das Gemeinwohl muss gestärkt werden und das bedeutet: Der Gemeinwohlanteil im Wohnungsbestand muss steigen. Das ist die vordringliche Aufgabe. Es bedeutet auch, Respekt vor den Mieterschutzregelungen zu haben und diese weiter zu verbessern. Bedarfsgerechter Neubau und Mieterschutz dürfen keine Gegensätze sein, Mieterschutz ist parallel erforderlich. Die Wohnungswirtschaft sieht das anders und da müssen wir gegenhalten. Wir hoffen, dass der Senat unsere Erkenntnis teilt.
Lesen Sie die Fakten!
Soll Berlin sich ein Beispiel an der Hamburger Wohnungspolitik nehmen und den Neubau von Wohnungen forcieren? Der Berliner Mieterverein hat die Wohnungsmarktsituation der beiden Metropolen verglichen, um eine fundierte Antwort auf diese Frage geben zu können. Zur Studie
08.05.2024