Am Kottbusser Tor soll eine Polizeiwache einziehen, um für mehr Sicherheit zu sorgen. Ist das die Lösung, die sich die Anwohner:innen für die seit Jahren bestehenden Probleme wünschen?
Das Kottbusser Tor machte in den vergangenen Jahren immer wieder Schlagzeilen und gilt als Symbolbild großstädtischer Kriminalitätsprobleme. Der von der SPD geführte Senat für Inneres hat kürzlich angekündigt, dass eine Polizeiwache gegensteuern soll – in einer Gebäudebrücke über dem Platz schwebend, die von ihrem Architekten einst als Ort der Begegnung geplant wurde. Wir haben mit Mitgliedern des ortsansässigen Mieterrats des Neuen Kreuzberger Zentrum (NKZ) über ihre Einschätzung der Situation gesprochen.
Ein Ort der Widersprüche
Für viele Anwohner:innen ist das Kottbusser Tor (Kotti) ein Ort der Widersprüche: Verkehrsknotenpunkt versus nachbarschaftliche Strukturen, Läden des täglichen Bedarfs versus quirliges Nachtleben – hier kommt alles zusammen. Seit 2016 existiert ein Mieterrat für die kommunalisierten Wohnbauten am Kotti, das Neue Kreuzberger Zentrum (NKZ)*. Der Mieterrat gründete sich zum Schutz vor dem Verkauf an einen privatwirtschaftlichen Investor. Seit der gelungenen Übernahme durch die städtische Wohnungsbaugesellschaft Gewobag soll die Mitbestimmung der Mieter:innen durch den Mieterrat sichergestellt werden. Anders als die unternehmensbezogenen Mieterräte der landeseigenen Wohnungsgesellschaften in Berlin, gestaltet der Mieterrat des NKZ die sozialen, kulturellen und nachbarschaftlichen Beziehungen der Wohnsiedlung am Kotti gemeinsam mit der Gewobag. An der Außendarstellung des Kottbusser Tors kritisiert der Mieterrat, dass die alltäglichen Gegensätze weder in den Medien noch von Seiten der Stadt abgebildet werden. Die Polizei bewertet den Platz anhand der Kriminalitätsstatistik als gefährlich, während gleichzeitig viele Mieter:innen sich mit ihrem Kiez identifizieren und betonen, dass sie sich dennoch sicher fühlen. Das ergab auch eine Studie der Stadtsoziologin Talja Blokland von der Humboldt-Universität zu Berlin, die vom Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg in Auftrag gegeben wurde. Sichtbar wird dadurch, dass das Sicherheitsgefühl von Bewohner:innen nicht durch eine Kriminalitätsstatistik abgebildet werden kann – entscheidend sind vielmehr die nachbarschaftlichen Netzwerke.
Den Problemen begegnen, ohne das Zusammenleben zu zerstören
Unstrittig ist jedoch, dass es Probleme gibt, die die Mieter:innen vor Ort seit Jahren belasten. Dazu gehören unter anderem der Gebrauch von Drogen und Dreck: Treppenhäuser werden als Konsumraum genutzt, der Müll bleibt meistens liegen. Dagegen engagieren sich bereits seit Jahren verschiedene Institutionen und Aktivist:innen, darunter Sozialarbeiter:innen sowie der Mieterrat des NKZ. Laut Mieterrat wünschen sich die Mieter:innen einen angenehmen „Platz ihres Alltags“ – mit verfügbaren und gepflegten öffentlichen Toiletten, freundlicheren Bereichen rund um den U-Bahnhof, sauberen Spielplätzen und sicheren Fuß- und Radwegen. Wichtig ist ihnen aber auch, den Charakter des Kottis zu erhalten, der durch die unterschiedlichsten Menschen geprägt wird. Schließlich gehöre für das Sicherheitsgefühl der Mieter:innen auch der nachbarschaftliche Austausch und Begegnungen untereinander dazu. Man kennt sich eben am Kotti, die Gewerbetreibenden eingeschlossen.
Die Wohnungspolitik der letzten Jahrzehnte als Grundproblem
Seit der Ankündigung zur Einrichtung einer Polizeiwache durch den Senat für Inneres diskutieren viele der Beteiligten in unterschiedlichen Runden über die Zukunft des Kottis. Viele Mieter:innen sprechen sich für eine Polizeiwache vor Ort aus. Dass sie so zentral und „über allem“ in der Gebäudebrücke der Adalbertstraße eingerichtet werden soll, löst jedoch allgemein Unbehagen aus und stößt bei manchem auf Empörung. Denn die allgegenwärtige Präsenz der Polizei birgt für sie die Gefahr, dass Ängste geschürt werden und das offene Miteinander vor Ort verhindert wird. Der Mieterrat des NKZ hat deshalb schon mehrere Alternativkonzepte erstellt sowie Vorschläge für zwei andere mögliche Standorte einer Polizeiwache am Kottbusser Tor gemacht.
Vom Standort einmal abgesehen, stellt sich weiterhin die Frage, ob eine Polizeiwache am Platz alle Probleme lösen wird. Daran haben die Mieter:innen des Mieterrats große Zweifel, denn als Grundproblem sehen sie die Praktiken der Wohnungspolitik der vergangenen Jahrzehnte, die solche Quartiere vernachlässigt hat. Auch infrastrukturelle Probleme wie die fehlenden öffentlichen Toiletten und der hektische Verkehr sind weiterhin ungelöst. Wirklich wichtig sei deshalb, zu erkennen, dass gegen diese Entwicklungen das Soziale Wohnen in den Mittelpunkt gerückt und dauerhaft gepflegt werden müsse – auch um Armut und Folgeprobleme durch die hohen Mietbelastungen zu verhindern. Das heißt konkret: Bezahlbares Wohnen schaffen und erhalten, die Mitbestimmung und das Miteinander der Mieter:innen fördern und bereits bestehende Strukturen mit Präventionsangeboten stärken – zum Beispiel durch die rechtliche Absicherung von Mieterräten bei den Wohnungsbaugesellschaften.
Exkurs:
Der Mieterrat NKZ hat als autonomer Mieterrat eine Sonderstellung. Er passt nicht in die Strukturen der Gewobag und geht über die üblichen Strukturen von Mieterräten, die aus dem Mietenvolksentscheid im Jahr 2015 hervorgegangenen sind, hinaus. Mit der 2018 getroffenen Vereinbarung für den Mieterrat NKZ, wird dieser von der Gewobag als gewählte Mieter:innenvertretung anerkannt. Das Ziel ist, in allen Entscheidungen – Nachbarschaft, Sicherheit, Wohnumfeld, Instandhaltung, Investitionen, Vermietungspolitik und Gewerbeentwicklung – einen gemeinsamen Konsens zu finden. Diese Erweiterung der Mitbestimmungsrechte stärkt die Basisrechte der Mieter:innen – ein wichtiger Schritt für eine weiterführende Demokratisierung der landeseigenen Wohnungsunternehmen.
19.05.2022