Nach 100 Tagen im Amt hat die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, Bauen und Wohnen den Projektbericht Wohnungsneubau 2022 vorgelegt. Es bleiben viele Fragen offen.
Der Ende 2021 neugebildete Senat aus SPD, Grünen und Linken hat sich zur Linderung der Wohnungsnot in Berlin neben anderen Punkten ein extrem ambitioniertes Ziel im Wohnungsneubau gesetzt. 20.000 Wohnungen sollen jährlich neu entstehen, davon die Hälfte mit Gemeinwohlorientierung. 5.000 geförderte Sozialwohnungen sollen den Grundstein für die Gemeinwohl-Neubauten darstellen. Die städtischen Wohnungsunternehmen wiederum sollen rund 70 bis 75 Prozent des beabsichtigten Gemeinwohl-Neubaus errichten. Da leuchtet ein, dass man sich rasch auf den Weg machen muss, um Umsetzungsprobleme zu ermitteln, zu erörtern und abzuschaffen, wenn man partout die 20.000 erreichen will. Skeptiker:innen, die das Neubauziel ohnehin wegen Lieferengpässen, Baukostensteigerung und hohen Grundstückspreisen für unrealistisch halten, möchte der Senat keine Munition liefern.
Deshalb gehörte es zum 100-Tage-Programm des Senats, einen konkreten Bericht über alle größeren laufenden Wohnungsbauprojekte in den neuen Stadtquartieren, beim kooperativen Baulandmodell, bei den kommunalen Wohnungsunternehmen wie auch bei privaten Bauherren zu erstellen. Der Bericht liegt nun vor. Er ist damit auch die Arbeitsgrundlage für eine gleichzeitig neu geschaffene Senatskommission Wohnungsbau, die den Umsetzungsstand verfolgen und Konflikte mit den Fachressorts und in Kooperation mit den Bezirken lösen soll. Allerdings behandelt der Bericht nicht die kleineren Bauvorhaben. Auf diese sollen bis 2030 110.000 weitere Neubauwohnungen entfallen. Das aber wird kaum zu realisieren sein.
90.000 neue Wohnungen bis 2030
Aktuell gibt es in Berlin 196 Neubauvorhaben mit jeweils mehr als 200 Wohnungen, die der Senat Fokusprojekte nennt. Der überwiegende Teil der Fokusprojekte ist erst in der Vorbereitungsphase. Kleinere Bauvorhaben, die zur Erreichung der Ziele fast genauso wichtig sind, wurden in diesem Bericht nicht berücksichtigt. Dahinter steht die Erkenntnis, dass die großen Projekte quasi das Rückgrat der Neubauziele darstellen. Funktioniert eines der Projekte nicht, hat das erhebliche Folgen für das politische Ziel.
Die Kernbotschaft des Berichts lautet, dass bis 2030 in 171 Projektgebieten nach bisherigem Stand der Planung 90.000 Wohnungen entstehen werden. Bis 2037 sollen dann alle 196 Fokusprojekte abgeschlossen und etwa 115.000 Wohnungen entstanden sein.
Pankow ist Spitzenreiter
Die meisten Projektgebiete liegen in den Bezirken Lichtenberg, Treptow-Köpenick, Pankow, Marzahn-Hellersdorf und Spandau, in Steglitz-Zehlendorf und Charlottenburg-Wilmersdorf die wenigsten. Auf die Anzahl der zu errichtenden Wohnungen bezogen, ist Pankow der klare Spitzenreiter. Mit 26.000 Wohnungen wird etwa ein Viertel aller Neubauwohnungen in Berlins Fokusprojekten dort errichtet, mit den entsprechenden Folgen für die soziale und verkehrliche Infrastruktur. Zum Vergleich: In Steglitz-Zehlendorf und Charlottenburg-Wilmersdorf werden bis 2037 ganze 3.000 Wohnungen errichtet.
Rund 16 Prozent der Bauprojekte befinden sich bereits in Realisierung, für weitere drei Prozent liegen die Baugenehmigungen vor. Bauanträge wurden für zwei Prozent gestellt. Bis 2026 sollen bereits 45.000 Wohnungen fertiggestellt sein. 43 Prozent aller Projekte befinden sich in einem laufenden Bebauungsplanverfahren, insgesamt 87 Prozent der Projekte werden auf Grundlage eines Bebauungsplanverfahrens entwickelt. Für 21 Vorhaben wird das Baurecht ohne Bebauungsplan gemäß Paragraf 34 Baugesetzbuch (BauGB) angestrebt.
Ohne private Bauvorhaben geht es nicht
Rund 29.000 Wohnungen sollen direkt von den sechs kommunalen Wohnungsunternehmen gebaut werden. Für weitere 50 Projekte mit 46.000 Wohnungen gibt es wegen des frühen Planungsstandes noch keine Zuordnung der Vorhabenträger. Die Landesunternehmen werden aber auch hierbei berücksichtigt werden. Insgesamt sollen die Städtischen bis 2037 45.000 Wohnungen errichten. 50 Prozent der Fläche dieser Neubauwohnungen sollen mietpreis- und belegungsgebunden an WBS-Berechtigte vergeben werden.
Bei 83 Projekten mit circa 40.000 Wohnungen stehen private Wohnungsunternehmen dahinter. Ohne sie wird der Senat also seine Wohnungsbauziele nicht erreichen, aber welche Art Wohnungen werden sie errichten? Das Gemeinwohl-Ziel von mindestens 50 Prozent aller Neubauten wird nur mit ihnen funktionieren. Ob das klappt? Das Bündnis für Wohnungsneubau und bezahlbares Wohnen soll hierzu die verpflichtenden Vereinbarungen liefern.
Die Hindernisse der Fokusprojekte
Bei mehr als der Hälfte aller 196 Fokusprojekte gibt es aktuell Klärungserfordernisse, um das Vorhaben im geplanten Zeitrahmen voranzubringen. Bei zwei Drittel davon bestehen gleich mehrere Hindernisse. Ganz vorn bei den Hindernissen steht die Beseitigung von Altlasten. Fehlende Ausgleichsflächen für den Artenschutz, Probleme bei der Erschließung der Verkehrsanbindung, fehlende Kapazitäten, Vertragsschwierigkeiten und ungeklärter Schulbedarf sind weitere Probleme. Bedenken der Bürger:innenschaft sind im Übrigen trotz häufiger Bekundungen der Wohnungswirtschaft über die fehlende Akzeptanz in der Bevölkerung nur sehr selten ein Grund für Verzögerungen, politische Blockaden hingegen schon häufiger.
Es fehlt an Baumaterial
In der neu gebildeten Senatskommission wird der Bericht Arbeitsgrundlage sein. Es soll natürlich ein regelmäßiges Monitoring geben, um die Neubau-Ziele nicht aus den Augen zu verlieren. Im Vordergrund steht aber die Auflösung der Zielkonflikte. Da müssen Senat, Bezirksämter aber auch die Investor:innen ihren Beitrag leisten.
Unabhängig von den konkreten im Bericht angesprochenen Hindernissen könnte das Neubauprogramm aber durch die aktuellen weltweiten Entwicklungen ins Straucheln geraten.Die Bauwirtschaft klagt über fehlende Baumaterialien, verzögerte Lieferungen und massiv gestiegene Materialpreise. Die Energiepreissteigerungen und der Arbeitskräftemangel tun das Übrige. Dass Projekte aufgeschoben oder Baustellen stillgelegt werden, steht unmittelbar bevor. Auch ein Ende des Ukraine-Krieges wird daran zunächst nicht viel ändern. Der weltweite Konkurrenzkampf um Baustoffe wird wegen der Verknappung zu einem dauerhaften Preisproblem werden. Höchste Zeit, sich auf die wichtigen Bedarfe zu beschränken.
13.04.2022