Immer mehr Menschen in Berlin sind ohne Wohnung. Die Sozialsenatorin hat einen Masterplan vorgelegt, um das Problem zu überwinden. Doch dafür müssen erst einmal genug Wohnungen her.
Der Mangel an angemessenem und bezahlbarem Wohnraum ist ein Grund für den traurigen Trend der vergangenen Jahre: In ganz Deutschland steigt die Zahl von Menschen ohne ein eigenes Zuhause immer weiter an. In Berlin stehen schätzungsweise rund 50.000 Menschen ohne Wohnung da, bundesweit sind es circa 600.000 Menschen. Die Gründe für Wohnungslosigkeit sind vielfältig, so wie auch die Gruppe der betroffenen Menschen. Immer mehr Familien, Alleinerziehende aber auch Erwerbstätige finden keinen bezahlbaren Wohnraum mehr. Doch was sind die Ursachen und was können wir tun, um das zu ändern?
Es gibt zwar viele Hilfsangebote, doch einheitliche Regelungen im Umgang mit Wohnungsräumungen wie auch der Wohnraumversorgung fehlen. Die Folge: Der Bund, die Länder und die Kommunen schieben die Zuständigkeiten hin und her. Ab 2022 will die Politik mit dem Wohnungslosenberichtsgesetz zunächst einmal für mehr Transparenz sorgen. Dazu wird das Statistische Bundesamt die Menschen in Unterkünften und Einrichtungen der Wohlfahrtsverbände erfassen und die Zahlen in einem alle zwei Jahre erscheinenden Wohnungslosenbericht veröffentlichen. Das Problem: Einige Formen der Wohnungslosigkeit werden damit weiterhin nicht erfasst. Die Sozialsenatorin der Stadt Berlin, Elke Breitenbach, geht einen anderen Weg und hat zur Bekämpfung der Wohnungslosigkeit in Berlin einen fokussierten Masterplan 2030 vorgestellt. Der Kern der Strategie: „Housing first – Zuerst eine Wohnung”.
Wohnungslosigkeit ist nicht gleich Obdachlosigkeit
Oft werden Wohnungs- und Obdachlosigkeit in einem Atemzug genannt. Gleichzusetzen sind sie nicht. Wohnungslos sind Menschen, die keinen Mietvertrag haben. Viele von ihnen – in Berlin sind es circa 37.000 Menschen – sind in Noteinrichtungen untergebracht. Aber auch Menschen in Wohnungen und Wohngemeinschaften, die nicht polizeilich gemeldet sind, weil sie beispielsweise keine offiziellen Untermieter sind, sind per Definition wohnungslos. Teilweise kommen die Betroffenen bei ihren Familien, Freunden oder in sozialen Einrichtungen unter. In rund 22 Prozent der Fälle sind Kinder betroffen. Die Zahl wohnungsloser Familien steigt wie auch die Zahl der Menschen, die trotz Job wohnungslos werden. Denn besonders in Großstädten fehlen bezahlbare Wohnungen.
Die Obdachlosigkeit ist dabei nur ein Teilbereich der Wohnungslosigkeit. Es sind Wohnungslose, die gar keine Bleibe haben und auf der Straße leben. Sie kommen nur sehr kurzfristig und für einzelne Nächte in Unterkünften unter. In Berlin wurde im Januar 2020 eine (umstrittene) Zählung der Menschen auf der Straße vorgenommen. Dabei wurden 1.976 obdachlose Personen gezählt. Wohlfahrtsverbände wie die Caritas schätzen die reale Zahl jedoch eher auf 6.000 bis 10.000 Menschen.
Wege aus der Wohnungslosigkeit
Weil die Zahl der Betroffenen in Berlin steigt, hat die Überwindung der Wohnungs- und Obdachlosigkeit in den vergangenen Jahren an politischer Brisanz gewonnen. Sozialsenatorin Elke Breitenbach und Alexander Fischer (beide DIE LINKE) haben im September ihren Masterplan vorgestellt, der die Wohnungs- und Obdachlosigkeit in Berlin bis 2030 überwinden soll. Ihr Ziel: Einheitliche Regelungen in den Bezirken schaffen und das Prinzip „Housing first“ als Kernelement etablieren.
Der Grundsatz des Ansatzes „Housing first“ ist das Recht auf Wohnen. Am Anfang steht daher die Bereitstellung einer Wohnung inklusive unbefristetem Mietvertrag. Darüber hinaus gibt es das Angebot flexibler Hilfen zum dauerhaften Erhalt der Wohnung. Zwar werden die Betroffenen ermutigt, diese in Anspruch zu nehmen, verpflichtend sind sie nicht. Die Strategie dahinter ist konträr zur bisherigen Praxis, bei der Betroffene zunächst darlegen müssen, dass sie „wohnfähig” sind. Gebunden ist das mitunter an Trainingseinheiten in Probe-Wohnungen und die Einhaltung von Verhaltensauflagen. So kann das persönliche Verhalten zur Hürde werden. Gravierender ist allerdings die Tatsache, dass der Weg in ein reguläres Mietverhältnis oft an nicht vorhandenen Wohnungen scheitert. Das Resultat daraus: ein „Drehtür-Effekt“ mit lediglich vorübergehenden Phasen in einer Wohnung.
Ein Modellprojekt zu „Housing first” setzt Berlin bereits um, allerdings nur in einem geringen Umfang. Die Erfahrungen – auch aus anderen Ländern – zeigen allerdings deutliche Erfolge und konnten Menschen dauerhaft zu einer eigenen Wohnung verhelfen.
Wohnraum für Wohnungslose schaffen
Voraussetzung für das Gelingen ist jedoch schlicht die Verfügbarkeit von Wohnungen. Ein Problem, an dem auch die bisherige Praxis scheitert. Der Masterplan 2030 sieht zur Erreichung drei Ansätze als maßgeblich an, die durch Gesetzesänderungen auf Landes- und Bundesebene erzielt werden können:
- Eine feste Quote von zehn Prozent bei Neubau- und Bestandswohnungen der landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften, die für wohnungslose Menschen bereitgestellt werden.
- Der Bau von bezahlbarem Wohnraum durch soziale Träger der Wohnungslosenhilfe.
- Ein „Generalmieter-Modell” bei dem soziale Wohnhilfen als Hauptmieter eine Wohnung anmieten und diese an von Wohnungslosigkeit bedrohte Menschen weitervermieten können. Das könnte die Notwendigkeit von Notunterkünften nach und nach herabsetzen.
Mehr bezahlbarer Wohnraum und bessere Prävention
In Berlin sind in der vergangenen Legislaturperiode circa 67.000 Wohnungen fertiggestellt worden, davon war jedoch nur etwa ein Drittel preisgünstiger Wohnraum mit einer Miete bis zu 10 Euro pro Quadratmeter netto-kalt. Auch wenn wir die Reservierung von Wohnungsbeständen für wohnungslose Menschen begrüßen, bedarf es hier der Schaffung von weit mehr preisgünstigem Wohnraum, um das Problem an einer seiner wichtigsten Ursachen zu bekämpfen.
Auch in anderen Bereichen der Prävention sind Änderungen dringend nötig: So müssen Zwangsräumungen von Mieter:innen vor allem im Winter ausgeschlossen werden und JobCenter müssen Mietschulden schneller übernehmen. Soziale Einrichtungen und sogenannte Trägerwohnungen brauchen Schutz. Räumungsfälle müssen gemeldet und in ein Netzwerk von Hilfsstellen eingebettet werden.
Insgesamt hätten die Strukturen deutlich früher angepasst werden können, denn das Problem des unzulänglichen Neubaus bezahlbarer Wohnungen ist hinlänglich bekannt. Dass dieses Problem nicht angegangen wurde, liegt wohl auch am neoliberalen Grundgedanken und der falschen, aber stark verfestigten Ansicht, dass sich der Markt selbst reguliert. Wenn Wohnen ein Grundrecht ist, dann muss auch ausreichender Wohnraum für ALLE zur Verfügung stehen. Es wäre wünschenswert, wenn der Masterplan 2030 die Probleme tatsächlich angeht und vor allem den sozialen Wohnungsbau voranbringt. Ob das mit einer Ampelkoalition im Bund wirklich passiert, ist jedoch fraglich.
17.11.2021