Viele Mieter:innen scheuen davor zurück, einen Rechtsstreit mit ihrem Vermieter zu führen. Die 2018 eingeführte Musterfeststellungsklage kann ein geeignetes Rechtsinstrument sein, um ihre Interessen im Kollektiv durchzusetzen. Wir erklären, für welche Fälle das Verfahren geeignet ist und was es zu beachten gilt.
Derzeit erreichen uns im BMV zahlreiche Anfragen von Mieter:innengemeinschaften, die allgemeine Missstände in ihren Mietverhältnissen beklagen und gemeinsam mit anderen Betroffenen eine „Sammelklage“ gegen ihren Vermieter anstrengen wollen. Sie beziehen sich hier auf das „Gesetz zur Einführung einer zivilprozessualen Musterfeststellungsklage“, das der Bundestag im Juni 2018 beschlossen hat und das seit dem 1. November 2018 in Kraft ist. Es gibt Verbraucher:innen und Mieter:innen ein Rechtsinstrument an die Hand, mit dem sie Verstöße gegen mietrechtliche Vorschriften verbandsklageweise geltend machen können. Anwendungsfelder sind zum Beispiel Feststellungen in den Bereichen Betriebskosten, Mieterhöhung oder Modernisierung. Mieter:innen, die einen individuellen Rechtsstreit scheuen, können sich über die Anmeldung in einem Klageregister einer von einem Verbraucherverband eingereichten Klage anschließen – quasi „trittbrettfahrend“ und zunächst ohne Prozesskostenrisiko.
Das Führen einer Musterfeststellungsklage ist jedoch nicht ganz einfach, kommt nur in bestimmten Fällen in Frage und kann darüber hinaus ausschließlich durch gelistete Verbände erfolgen. Der Mieterverein ist nach den neu eingeführten Paragrafen 606 bis 614 der Zivilprozessordnung (ZPO) berechtigt, die Interessen von Mieter:innen rechtlich kollektiv zu vertreten. Eine Mitgliedschaft im BMV ist dafür nicht zwingend erforderlich. Die Prozesskosten würden bei einer aussichtsreichen Klage vom Mieterverein getragen, auf die betroffenen Mieter:innen kommen zunächst keine Kosten zu. Erst in einem etwaigen Folgeprozess nach gerichtlicher Feststellung könnte es ohne eine Rechtsschutzversicherung zu Auslagekosten kommen.
Voraussetzung: Hausgemeinschaften oder Wirtschaftseinheiten in allgemeiner Betroffenheit
Die Voraussetzungen und rechtlichen Kriterien für das Führen einer Musterfeststellungsklage sind komplex und vielfältig. Der umgangssprachlich verwendete Begriff „Sammelklage“ ist dabei nicht ganz richtig, denn bei der Musterfestellungsklage geht es im Wesentlichen darum, denselben Schaden einer Vielzahl von Mieter:innen zu bündeln und vom zuständigen Gericht als solchen feststellen zu lassen – per Feststellungsurteil. Das heißt, es muss eine allgemeine Betroffenheit durch das selbe Problem vorliegen. Mindestens 50 Mietparteien müssen geschädigt sein. Ein Wasserschaden infolge eines defekten Dachs beispielsweise betrifft in der Regel nur die Mietparteien der oberen Stockwerke und ist daher für eine Verbandsklage nicht geeignet.
Für welche Fälle kann eine Musterfeststellungsklage in Frage kommen?
Generell gilt: Mieter:innen sollten in allen Fällen ihren Vermieter zunächst schriftlich dazu auffordern, fehlerhafte Abrechnungen, Mieterhöhungen oder Modernisierungsankündigungen von sich aus richtigzustellen. Ignoriert der Vermieter die Schreiben der Mieter:innen oder unserer Rechtsberater:innen oder beantwortet diese nicht dem Sachverhalt angemessen, kann unsere Rechtsabteilung die Möglichkeit einer Musterfeststellungsklage prüfen. Folgende Probleme können für eine berechtigte Prüfung infrage kommen:
- Betriebskostenabrechnung: Anfechten nicht-umlagefähiger Positionen, beispielsweise Kosten für Instandsetzung oder Verwaltung
- Nichtbeachtung der Fristen für die Zustellung der Betriebskostenabrechnung
- Nichtbeachtung des Kürzungsrechts bei nicht-verbrauchsabhängigen Heizkostenabrechnungen
- eine unverhältnismäßige Erhöhung der Betriebskostenvorauszahlungen
- die Versendung einer fehlerhaften und deswegen formal unwirksamen Modernisierungsankündigung
- die verlangte Duldung von Maßnahmen, die keine Erhaltungs- oder Modernisierungsmaßnahmen gemäß Paragrafen 555a und 555b im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) sind
- das Ignorieren des geltenden Mietspiegels und dessen Oberwertes
- das Abstreiten von – die gesamte Wohnanlage betreffenden – negativen Wohnwertmerkmalen bei Mieterhöhungen nach dem geltenden Mietspiegel (Paragraf 558 BGB)
- die Geltendmachung von – die gesamte Wohnanlage betreffenden – nicht gegebenen wohnwerterhöhenden Merkmalen bei Mieterhöhungen nach geltendem Mietspiegel (Paragraf 558 BGB)
- Mängel oder Missstände an der Wohnanlage, die zu allgemeiner Betroffenheit führen
Der Ablauf
1. Juristische Prüfung und Einreichung der Klageschrift
Für die Einreichung der Klage müssen sich zunächst zehn Mietparteien eines Vermieters oder einer Wirtschaftseinheit finden, die dasselbe Problem haben und sich mit dem Auftrag einer Musterfeststellungsklage an uns wenden. Vor dem Erstellen der Klageschrift prüft unsere Rechtsabteilung den juristischen Sachverhalt gründlich. Es muss sichergestellt sein, dass mindestens 50 Mieter:innen bereit sind, sich in die öffentliche Klageliste einzutragen. Für die Erstellung und Einreichung der Klage reichen zunächst zehn Mietparteien, weitere 40 müssen sich nach Veröffentlichung der Klage auf der Seite des Bundesjustizamtes wirksam anmelden.
2. Veröffentlichung im Klageregister
Innerhalb von 14 Tagen nach Zustellung der Musterfeststellungsklage beim verklagten Wohnungsunternehmen veranlasst das Gericht deren öffentliche Bekanntmachung mit dem entsprechenden Klageregister. Dort finden sich außerdem Hinweise für Mieter:innen zur wirksamen Anmeldung und zu deren Rechtsfolgen. Die Webseite für Klageregister führt das Bundesamt für Justiz. Die Eintragung kann über ein Online-Formular mit Ausfüllhilfe erfolgen.
3. Folgeprozess
Gibt das Gericht der Musterfeststellungsklage statt, haben die Mieter:innen damit allerdings noch keinen Zahlungstitel gegenüber dem vermietenden Unternehmen errungen. Die Musterfeststellungsklage ermöglicht leider keine gebündelte Durchsetzung von Leistungsansprüchen. Das heißt: Wenn das Unternehmen nach dem Feststellungsurteil nicht freiwillig zahlt, müssen die Mieter:innen ihre Zahlungsansprüche in einem Folgeprozess jeweils einzeln einklagen. Das Gericht ist in einem individuellen Folgeprozess der Mieter:innen jedoch an das Musterfeststellungsurteil gebunden.
15.06.2022