Anfang Juni hat das Bundeskabinett mit dem Jahressteuergesetz eine Änderung der Abgabenordnung beschlossen, die die Ampel-Regierung als Wiedereinführung einer „neuen Wohngemeinnützigkeit“ bezeichnet. Die neue Regelung bleibt allerdings weit hinter der Vereinbarung im Koalitionsvertrag und dem Stand der Fachdiskussion zurück.
Worum geht es?
Unter „Wohngemeinnützigkeit“ versteht man üblicherweise einen Sektor am Wohnungsmarkt, der die folgenden Merkmale aufweist: Gemeinnützige Wohnungsunternehmen, die privat oder öffentlich sein können, müssen ihre Mieten und ihre (ausgeschütteten) Renditen begrenzen. Im Gegenzug erhalten sie Förderung in Form von Steuervorteilen und/oder direkten Zuschüssen aus öffentlichen Kassen. Sie sind verpflichtet, ihren Wohnraum an Haushalte mit kleinem oder mittlerem Einkommen zu vermieten, wobei die genauen Einkommensgrenzen die Politik bestimmt. Ihre Wohnungsbestände dürfen gemeinnützige Wohnungsunternehmen nur an andere Gemeinnützige veräußern. So können die Wohnungen nicht mehr auf den freien Wohnungsmarkt zurückfallen.
Eine frühere Wohngemeinnützigkeit, deren Wurzeln bis ins 19. Jahrhundert zurückgehen, hat die damalige schwarz-gelbe Bundesregierung unter Helmut Kohl (CDU) 1990 abgeschafft. Zwischen 1950 und 1985 hatten die gemeinnützigen Wohnungsunternehmen mehr als 4,8 Millionen Wohnungen errichtet – auf sie entfiel also etwa jede fünfte Wohnung und sogar mehr als jede zweite Sozialwohnung. Damit war die „alte“ Wohngemeinnützigkeit die Grundlage für den Wiederaufbau von Wohnraum nach dem Zweiten Weltkrieg. Die Wohnungen befanden sich im Eigentum sowohl öffentlicher als auch privater und genossenschaftlicher Wohnungsunternehmen. Nicht zuletzt die großen Werkswohnungsbestände entstanden unter gemeinnützigen Vorzeichen.
Die Abschaffung der Wohnungsgemeinnützigkeit war Voraussetzung für die massenhafte Privatisierung von Wohnraum ab den 1990er Jahren. Denn die Vermögensbindung der gemeinnützigen (und damit auch der öffentlichen) Wohnungsunternehmen war aufgehoben, die Bestände konnten zu Marktbedingungen bewirtschaftet werden. Ebenso wie Bund, Länder und Kommunen verkauften auch Großunternehmen ihre (Werks-)Wohnungen. Zugleich fielen immer mehr Sozialwohnungen aus der Preis- und Belegungsbindung. Zwischen 1986 und heute schrumpfte ihre Zahl von 3,4 Millionen auf etwa eine Million, Tendenz weiter sinkend. Während bis 1990 die Wohngemeinnützigkeit die betreffenden Wohnungen vor der Vermietung zu Marktbedingungen bewahrte, fehlt ein solches Auffangnetz heute gänzlich.
Seit dem Anstieg der Mieten in vielen deutschen Städten ab den 2010er-Jahren ist die Versorgung mit bezahlbarem Wohnraum auf der sozialpolitischen Agenda wieder ganz nach oben gerückt. In diesem Zusammenhang diskutieren die Parteien seit einigen Jahren auch die Wiedereinführung einer Wohngemeinnützigkeit intensiver. In der letzten Legislaturperiode brachten sowohl Linke als auch Grüne je einen eigenen Gesetzentwurf in den Bundestag ein, die allerdings beide keine Mehrheit fanden. In dieser Legislaturperiode haben sich SPD, Grüne und FDP in ihrem Koalitionsvertrag darauf verständigt, eine „Wohngemeinnützigkeit mit steuerlicher Förderung und Investitionszulagen“ wieder einzuführen.
Beschluss des Bundeskabinetts
Mit dem am 5. Juni 2024 durch das Bundeskabinett beschlossenen Jahressteuergesetz ändert sich die Abgabenordnung dahingehend, dass Wohnen fortan als gemeinnütziger Zweck gilt – ähnlich wie die Förderung des Denkmalschutzes, der Kultur oder des Tierwohls. Dadurch sind fortan soziale Unternehmen, Vereine und Stiftungen, die an bedürftige Menschen eine Wohnung „unter der marktüblichen Miete“ vermieten und die gänzlich auf die Ausschüttung von Gewinnen verzichten, von der Gewerbe- und Körperschaftssteuer befreit. Außerdem können sie leichter als bisher Rücklagen bilden, um größere Investitionen in die Bestände zu tätigen. Bauministerin Klara Geywitz sagte zu dem Beschluss, dass dies „ein guter Tag für alle Mieterinnen und Mieter“ sei.
Der wesentliche Unterschied zu der bis 1990 bestehenden Regelung ist, dass Gewinnausschüttungen heute gänzlich unterbleiben müssen. Vor 1990 war das anders. Gemeinnützige Wohnungsunternehmen konnten damals bis zu vier Prozent Rendite ausschütten. So waren sie attraktiv für Kapital, das nicht nach der höchsten, sondern nach einer sozialen Rendite suchte. Nicht zuletzt die Kommunen, aber auch Kirchen und Gewerkschaften engagierten sich hier stark. Das strikte Ausschüttungsverbot im Ampel-Beschluss hingegen dürfte die Suche nach Eigenkapital massiv erschweren. Es ist nicht zu erwarten, dass nennenswerte öffentliche oder private Gelder zusätzlich in den gemeinnützigen Sektor fließen werden.
Das gilt auch für die Arbeitgeber als potenzielle Eigenkapitalgeber. Die Hoffnung von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), dass durch die „neue Wohngemeinnützigkeit“ auch Unternehmen wieder Wohnungen für ihre Beschäftigten bauen, dürfte enttäuscht werden. Denn diese müssten zunächst eine gemeinnützige Tochter gründen (oder mit einem bestehenden gemeinnützigen Wohnungsunternehmen kooperieren) und viel Eigenkapital für den Bau von Wohnungen zur Verfügung stellen. Dieses ist dann aber gebunden und unverzinst.
Wohnungspolitische Effekte sind also nicht zu erwarten. Dies gilt umso mehr, als durch die Steuerbefreiung der gemeinnützigen Unternehmen allein keine ausreichend großen Vorteile entstehen dürften, die in mehr bezahlbare Wohnungen investiert werden könnten. Die Bundesregierung spricht von 1.000 bis 2.000 Euro pro Wohnung und Jahr. Vom ursprünglichen Vorhaben, zusätzlich Investitionsfördermittel zur Verfügung zu stellen, ist die Ampel-Koalition abgerückt. Angesichts der heutigen Bauzinsen und Baupreise dürften die erhofften Impulse für den mietpreisgünstigen Neubau daher ausbleiben. Und das, obwohl die „Wohngemeinnützigkeit“ laut Koalitionsvertrag „eine neue Dynamik für den Bau und die dauerhafte Sozialbindung bezahlbaren Wohnraums erzeugen“ sollte.
Gegen eine weitergehende Regelung, die zumindest in Grundzügen an die alte Wohngemeinnützigkeit anschließt, hatte sich die FDP (Hand in Hand mit der Immobilienlobby) bis zuletzt gewehrt. Sie stört insbesondere die damit einhergehende stärkere Regulierung der Mietwohnungsmärkte. Zudem lehnt sie die mit einer echten, breit angelegten Wohngemeinnützigkeit verbundenen höheren Kosten ab – insofern warfen die aktuellen Haushaltsverhandlungen hier ihre Schatten voraus.
Die Bundesregierung rechnet damit, dass von den neuen Regelungen etwa 100 gemeinnützige Unternehmen, Stiftungen oder Vereine sowie 105.000 Haushalte profitieren. Weitere dürften angesichts der genannten Rahmenbedingungen kaum hinzukommen. Damit werden zukünftig höchstens 0,23 Prozent aller Wohnungen und höchstens 0,4 Prozent aller Mietwohnungen in Deutschland gemeinnützig vermietet. Ein großer Wurf ist das nicht.
Schon allein aufgrund seiner geringen Größe kann der neue „gemeinnützige Sektor“ am Wohnungsmarkt zudem kein Auffangnetz für Sozialwohnungen bilden, die aus der Bindung fallen.
Ob diese „gemeinnützige“ Vermietungspraxis eine Absenkung der Miethöhe bedeutet, ist überdies fraglich, da lediglich unterhalb der Marktmiete vermietet werden muss. Die aber liegt mancherorts bei mehr als 17 Euro nettokalt. Auf eine „starre Grenze, um wieviel sich die Miete von der marktüblichen Miete unterscheiden muss“, verzichtet der Gesetzgeber.
Eine ebenfalls wichtige Frage ist, ob die neue Ampel-Wohngemeinnützigkeit dem Grundsatz „einmal gemeinnützig, immer gemeinnützig“ gerecht wird. Schließlich soll geförderter Wohnraum dauerhaft gebunden bleiben. Vermutlich ist die Frage mit Nein zu beantworten: Das Gemeinnützigkeitsrecht nach Abgabenordnung verbietet den Verkauf von Vermögensbeständen an Dritte nicht. Es schreibt lediglich vor, dass auch die hierbei erzielten Erlöse für gemeinnützige Zwecke verwendet werden müssen.
Vertreterinnen und Vertreter der Ampel versuchen in der Öffentlichkeit trotz alledem, das Vorhaben als Gamechanger zu verkaufen. Sie sprechen davon, dass etwa 60 Prozent aller Haushalte in Deutschland potenziell Zugang zu einer gemeinnützigen Wohnung haben können. In der Tat sind die Einkommensgrenzen entsprechend großzügig gestaltet. Allerdings ändert das nichts daran, dass diesen 60 Prozent aller Haushalte nur höchstens 0,23 Prozent aller Wohnungen zur Verfügung stehen.
Fazit
Viele wohnungspolitische Akteur:innen waren positiv überrascht über die Verankerung der neuen Wohngemeinnützigkeit im Koalitionsvertrag. Es war greifbar, dass die Arbeit von Wissenschaftler:innen, Mietervereinen, Verbänden und Gewerkschaften Früchte trägt und Deutschland wieder einen relevanten Sektor dauerhaft preisgebundener Wohnungen bekommt. Diese Hoffnungen wurden enttäuscht. Die Ampel-Regierung gaukelt den Menschen vor, dass sie einen großen Wurf gelandet habe. Mieterinnen und Mieter werden davon allerdings nichts merken. Dem Vertrauen in die Politik ist das gewiss nicht zuträglich.
Maximilian Fuhrmann, Patrick Schreiner
Dr. Maximilian Fuhrmann ist Koordinator zu großen Wohnungsunternehmen beim Deutschen Mieterbund (DMB) im Landesverband Nordrhein-Westfalen. Patrick Schreiner arbeitet im Bereich Wirtschaftspolitik der ver.di Bundesverwaltung. Jüngst erschien im Brumaire-Verlag sein Buch: „Nichts für alle. Wie Politik und Wirtschaft uns den Sozialstaat kündigen.“
*Erstveröffentlichung bei makronom.de am 20. Juni 2024; geänderte Fassung
13.09.2024