Staatliche Wohnraumvorsorge bedeutet die Bereitstellung von bezahlbarem Wohnraum für Haushalte mit niedrigen Einkommen und ist besonders in Krisenzeiten von großer Bedeutung. Eine aktuelle Studie des Berliner Mietervereins zeigt jedoch, dass die Maßnahmen des Berliner Senats den tatsächlichen Bedarf verfehlen.
Die zwei wichtigsten Säulen staatlicher Wohnraumvorsorge sind der soziale Wohnungsbau und die Wohnungen im Bestand kommunaler beziehungsweise landeseigener Wohnungsunternehmen – so auch in Berlin. Es ist nicht neu, dass Berlin mit 93.499 Sozialwohnungen im Jahr 2022 die Nachfrage von Haushalten unterer Einkommensgruppen nach Wohnungen nicht decken kann. Die Mieten steigen weiterhin an, zudem belasten die Betriebs- und Heizkosten viele Haushalte stark. Allein die Angebotsmieten sind binnen eines Jahres um 26,7 Prozent auf durchschnittlich 16,35 Euro pro Quadratmeter (Erst- und Wiedervermietungsmieten) gestiegen. Berlin steckt in der Wohnungskrise.
Auf Basis der aktuellen Daten des Mikrozensus Wohnen 2022 haben wir die Mietbelastung sowie die Mietzahlungsfähigkeit der Berliner:innen in einer neuen Studie zusammen mit dem Stadtforschungsteam der Asum GmbH analysiert.
Pi mal Daumen – nicht mehr als ein Drittel für die Wohnkosten
Wegen des extrem knappen Angebots an Wohnungen im leistbaren Segment müssen sich inzwischen auch Haushalte mittlerer Einkommensgruppen um geförderte Wohnungen bemühen. Diese Entwicklung hat auch der Senat erkannt und einen neuen Wohnberechtigungsschein (WBS) für Haushalte mit einem Einkommen von 180 bis 220 Prozent der Bundeseinkommensgrenze (BEG) eingeführt. Polizeibeamt:innen, Pflegepersonal und viele weitere Berufsgruppen sollen als Durchschnittsverdienende ebenso einen Zugang zum geförderten, leistbaren Wohnungssegment bekommen.
Studie zeigt einen Zuwachs um 235.000 Berliner Haushalte
Ein guter Gedanke? Diese Maßnahme hat die Zahl der WBS-Berechtigten um fast 235.000 auf insgesamt 934.000 Haushalte (Miethaushalte Berlin gesamt: 1,52 Millionen) erhöht. Dieser Zuwachs innerhalb der WBS-berechtigten Gruppe um 25 Prozent bedeutet, dass 61,2 Prozent aller Berliner Miethaushalte eine geförderte Wohnung beziehen könnten. Das lässt sich als ausgeweitete Maßnahme im Rahmen staatlicher Wohnraumversorgung verstehen und ist eine Antwort auf die Wohnungskrise.
Die landeseigenen Wohnungsunternehmen unterlagen zuletzt der Verpflichtung, 63 Prozent der freiwerdenden Wohnungen im Bestand an WBS-berechtigte Haushalte zu vermieten. Der Senat hat diese Vermietungsquote nicht an die neue Situation mit deutlich mehr WBS-Berechtigten angepasst. Auch die Quote von 50 Prozent Vermietung an WBS-Berechtigte beim Neubau bleibt gleich. Das ist fatal, denn damit konkurrieren nun weitere Einkommensgruppen miteinander um das knappe Gut Wohnraum.
Im vergangenen Jahr sind zwar 3.500 Sozialwohnungen neu errichtet worden, zugleich sind jedoch knapp 8.000 Wohnungen aus den Sozialbindungen herausgefallen. Die Anstrengungen des Berliner Senats für dringend benötigte, leistbare Wohnungen reichen also bei Weitem nicht aus. Der überwiegende Teil der mietpreis- und belegungsgebundenen Wohnungen wird von den sechs landeseigenen Wohnungsunternehmen (LWU) angeboten. Zu Beginn des Jahres trat die neue Kooperationsvereinbarung zwischen Senat und den LWU in Kraft, die reguläre Mieterhöhungen nach Mietspiegel unter Beachtung einer Kappungsgrenze bei 11 Prozent in drei Jahren wieder zulässt. Das soll abgefedert werden durch ein „Leistbarkeitsversprechen“, das vorsieht, dass die Nettokaltmiete maximal 27 Prozent des verfügbaren Einkommens betragen soll. Beide Maßnahmen – sowohl der Neubau staatlich geförderter Wohnungen als auch die Festlegung einer Mietbelastungsquote – zielen zwar in die richtige Richtung, bleiben aber weit hinter den eigentlichen Bedarfen zurück, zumal vom Wohnungsneubau zeitlich bedingt, vorerst keine nennenswerten Entlastungseffekte zu erwarten sind. Insbesondere weil der Senat die Mietzahlungsfähigkeit der Berliner Bevölkerung überschätzt.
Kleine und große Haushalte sind die Sorgenkinder
Ein alarmierender Befund unserer Studie hebt hervor, dass höhere Einkommensgruppen oft mehr Wohnfläche besitzen und dennoch eine niedrigere Mietbelastungsquote aufweisen. Demgegenüber stehen Ein-Personen-Haushalte und Familien, die oft weniger Wohnraum zur Verfügung haben. Insbesondere Familien mit zwei und mehr Kindern wohnen häufig in überbelegten Verhältnissen und tragen dennoch eine hohe Mietbelastung. Unsere Studie zeigt sehr anschaulich, dass eine pauschale Mietbelastungsquote von 27 Prozent nicht nur für die Haushalte mit niedrigem Einkommen ungerecht ist, sondern auch Familien mit zwei und mehr Kindern häufig überfordert. Eine generalisierte Mietbelastung im Leistbarkeitsversprechen der Kooperationsvereinbarung der LWU mit dem Land Berlin ist für niedrige Haushaltseinkommen und große Haushalte daher nicht geeignet.
Ein Drittel aller Berliner ist mit der Miete überfordert
Obwohl nicht alle im Mikrozensus befragten Haushalte aktuell eine Wohnung suchen, zeigen die Zahlen aber, dass rund 700.000 Haushalte schon jetzt eine Mietbelastungsquote von etwa 45 Prozent, bezogen auf die Bruttokaltmiete, erreichen. Zum Vergleich: Der Durchschnittswert der Mietbelastung für alle Berliner Miethaushalte liegt bei 27,4 Prozent. Rund 270.000 dieser Haushalte beziehen Transferleistungen wie Kosten der Unterkunft im Bezug von Bürgergeld sowie Wohngeld, schätzungsweise 1,5 Milliarden Euro fließen demnach in die Subjektförderung.
Unsere Position dazu ist bekannt: Subjektfördernde Instrumente im Rahmen der Wohnraumversorgung belasten die Menschen nicht nur praktisch, sondern vermitteln oftmals auch das Gefühl, keine vollwertigen Mitglieder unserer Gesellschaft zu sein. Nicht selten stellt die Subjektförderung zudem eine indirekte Subvention für die Wohnungswirtschaft dar und begünstigt teils überteuerte Mieten. Ein Teil dieser Mittel könnte also in dauerhaft preisgünstige Wohnungen, die Rekommunalisierung ehemaliger Wohnungsbestände und in gezielte soziale Maßnahmen zur Umverteilung von Wohnraum fließen, um langfristig effektivere Lösungen zu bieten und den landeseigenen Wohnungsbestand zu stärken.
Unterschiedliche Mietbelastungsgrenzen: Ein notwendiger Ansatz
Um die Mietbelastung unterschiedlicher Haushaltsgrößen zu vergleichen, haben wir in der Studie das Äquivalenzeinkommen zugrunde gelegt. Ein Ein-Personen-Haushalt und ein Vier-Personen-Haushalt haben sehr unterschiedliche Lebenshaltungskosten, wobei größere Haushalte zudem deutlich mehr Wohnfläche benötigen. Zur präzisen Berechnung der Mietbelastungsquoten haben wir parallel die Quadratmetermieten in den Berliner WBS-Stufen betrachtet. Das Ergebnis dieser Analyse zeigt, dass eine einheitliche Mietbelastungsgrenze den unterschiedlichen Bedürfnissen und Belastungen der Haushalte nicht entspricht. Weiterhin ermöglichte die Analyse der Einkommensstruktur, die Quadratmetermieten zu ermitteln, die für die Haushalte innerhalb der WBS-Stufen tatsächlich tragbar wären. Diese leistbaren Mieten liegen deutlich unter den aktuellen Miethöhen bei Wieder- oder Neuvermietungen.
Die Rolle staatlicher Wohnraumversorgung
Der Senat hat richtig erkannt, dass der staatlichen Wohnraumversorgung in diesen Krisenzeiten eine deutlich größere Bedeutung zukommen muss. Allein bei symbolischen Bemühungen kann es jedoch nicht bleiben. Zentrale Handlungsfelder sind in der Wohnungskrise:
- die Schaffung von bezahlbarem Wohnraum
- der Erhalt von bezahlbarem öffentlichen Wohnungsbestand
- das Vergrößern des gemeinwohlorientierten Segments
- die private Wohnungswirtschaft in die Pflicht nehmen für leistbaren Wohnraum
Die Bemühungen für mehr leistbaren Wohnraum müssen sich in den Bebauungsplänen für die Wohnraumversorgung auch für private Bauträger:innen niederschlagen. Die landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften sollten sich vorrangig auf den Bau leistbarer Wohnungen konzentrieren, zudem müssen innerstädtische Potenziale beim Umbau oder Ausbau eine größere Bedeutung bekommen. Der Senat muss Bebauungspläne für die Wohnraumversorgung – einschließlich des sektoralen Bebauungsplans und des kooperativen Baulandmodells – an den Bedarf der Berliner:innen anpassen.
Mit unserer Studie leisten wir einen Beitrag, den Bedarf und die Leistbarkeit genauer zu definieren. Die Erweiterung des öffentlichen Wohnungsbestands ist dringend erforderlich, wobei die Vergesellschaftung und eine strategische Ankaufspolitik unterstützend wirken könnten. Ferner sollte der Bau von Genossenschaftswohnungen intensiv gefördert werden. Es ist essenziell, dass die Mieten in den Wohnungen der landeseigenen Wohnungsunternehmen bezahlbar bleiben und die Mietbelastung im Leistbarkeitsversprechen der Kooperationsvereinbarung an das jeweilige Haushaltseinkommen sowie die Haushaltsgröße angepasst wird. Dazu gehört aus unserer Sicht auch, die noch günstigen Mieten niedrig zu halten und Mieter:innen mit attraktiven Angeboten und sozialen Hilfestellungen zu einem Wohnungstausch zu bewegen, der ihrem Bedarf entspricht.
Franziska Schulte
19.06.2024