Welche Probleme haben Mieter:innen in den Außenbezirken? Was sind ihre Bedarfe und mit welchen Strategien bringen Initiativen diese zu Gehör? Antworten auf diese Fragen fand die Sozialwissenschaftlerin und Stadtforscherin Susanna Raab. Im Auftrag des Initiativenforums Stadtpolitik Berlin hat sie vier Berliner Randbezirke untersucht.
Die öffentlichen Diskussionen über wohnungs- und mietenpolitische Themen neigen dazu, sich auf die innerstädtischen Bezirke Berlins zu konzentrieren, ebenso der Großteil der aktiven Initiativen. Doch auch in den äußeren Bezirken wie Marzahn-Hellersdorf, Spandau, Steglitz-Zehlendorf und Treptow-Köpenick stehen Mieter:innen vor erheblichen Herausforderungen. Im Auftrag des Initiativenforums Stadtpolitik Berlin hat sich Susanna Raab die vier genannten Bezirke genauer angeschaut. Ihre Studie macht auf die konkreten Probleme, aber auch das Engagement der Mieter:innen aufmerksam.
Susanna, was hat dich zu der Studie bewegt? Gab es einen konkreten Anlass?
Ich bin Sozialwissenschaftlerin und Stadtforscherin und auch Aktivistin. Die stadt- und mietenpolitische Entwicklung Berlins verfolge ich daher bereits seit Jahren. Mir liegen diese Themen sehr am Herzen und gemeinsam mit anderen habe ich schon viele Kämpfe in der Stadt geführt. Deshalb habe ich ein recht breites Wissen zu den Problemen in der Mieter:innenstadt Berlin. Doch auch wenn ich mich dabei schon mit Siedlungen am Stadtrand, beispielsweise mit dem Kosmosviertel in Treptow-Köpenick beschäftigt habe, gibt es noch einige Wissenslücken zu den Außenbezirken. Welche Probleme haben die Mietenden dort und welche Initiativen gibt es, um diesen Problemen entgegenzuwirken? Mit der Studie für das Initiativenforum Stadtpolitik Berlin wollte ich einen ersten Schritt machen, um diese Wissenslücken auch für die Berliner Mietenbewegung zu schließen – und zwar auf Basis der Erfahrungen und dem Wissen der Mieter:innen vor Ort.
Du hast einen Forschungsansatz gewählt, der die Perspektive der Bewohner:innen einnimmt. Dafür hast Du Interviews mit Mieter:innen geführt. Welche Probleme und Bedarfe haben sie benannt?
Natürlich gibt es in den vier Bezirken sehr unterschiedliche Probleme. Während der Interviews ist allerdings deutlich geworden, dass es ein paar größere gemeinsame Themen gibt, die die Mieter:innen in fast allen untersuchten Außenbezirken als Probleme benennen und zu denen sie sich teilweise bereits organisieren. Die Hauptprobleme sind demnach Nachverdichtung und Neubau in oder nahe bestehender Wohngebäude und Siedlungen, steigende Betriebs- und Energiekosten, ein Mangel an infrastruktureller Versorgung und massiver Instandhaltungsrückstau an zahlreichen Wohngebäuden. Daraus resultieren oft weitere Konflikte innerhalb der Siedlungen oder Quartiere, die das nachbarschaftliche Miteinander negativ beeinflussen.
Es ist mir wichtig hervorzuheben, dass die Studie die Perspektiven der betroffenen Mieter:innen in den Mittelpunkt stellt: Das, was sie selbst als Probleme wahrnehmen, ist in die Studie eingeflossen. Zusätzlich habe ich Beratungsstatistiken der Mietenberatungen in den Bezirken hinzugezogen, um abgleichen zu können, inwiefern die genannten Themen auch für andere Mieter:innen in den Bezirken relevant sind, die nicht befragt wurden.
Du hast bewusst unterschiedliche Bezirke eingebunden: solche, in denen Mieter:innen bereits Mietenproteste organisiert haben und solche, in denen noch keine Initiativen entstanden sind, es aber ein Problembewusstsein bei den Mieter:innen gibt. Um welche Siedlungen oder Ortsteile geht es genau?
Die Studie hat die Bezirke als Ganzes in den Blick genommen. Da es sich aber um sehr große Gebiete handelt, stand in allen vier Beispielen meist eine Siedlung beziehungsweise ein Quartier im Fokus. In Marzahn-Hellersdorf habe ich mir die Kämpfe von Mieter:innen gegen Nachverdichtung im Roten Viertel genauer angeschaut, in Treptow-Köpenick die Problemlagen nach der Rekommunalisierung im Kosmosviertel, also der Rückführung an die landeseigenen Wohnungsbauunternehmen, in Steglitz-Zehlendorf standen die organisierten Mieter:innen der Waldsiedlung, die sich gegen die Geschäftspraktiken und Winkelzüge der Vonovia wehren, im Mittelpunkt und in Spandau habe ich die diversen Problemlagen im Falkenhagener Feld beleuchtet. Diese sind sehr vielfältig. Neben dem Verfall der Gebäude aufgrund vernachlässigter Instandhaltung fehlt es in der Siedlung zum Beispiel an Kita- und Schulplätzen sowie ärztlicher Versorgung, nachbarschaftlichem Zusammenhalt, gepflegten Erholungsflächen und öffentlicher Anbindung. So beschreibt es unter anderem ein Mieterbeirat im Falkenhagener Feld.
Welche strategischen Unterschiede hast du wahrgenommen?
Die Handlungsstrategien der Mieter:innen weisen einige Ähnlichkeiten auf, beispielsweise spielen lokale politische Organe wie die Bezirksverordnetenversammlung (BVV) eine sehr ausschlaggebende Rolle bei der Ansprache von Entscheidungsträger:innen. Einwohneranfragen nutzen die Mieter:innen häufig, um im bezirklichen Parlament Aufmerksamkeit für die jeweilige mietenpolitische Problematik zu bekommen. Unterschiede bestehen vor allem in der Wahl weiterer Protestformate. Mieter:innen in Marzahn-Hellersdorf setzten hauptsächlich auf Petitionen und BVV-Anfragen sowie zahlreiche Gespräche mit Politiker:innen, während Mieter:innen in Steglitz-Zehlendorf häufiger Kundgebungen organisiert oder sich auch an größeren Demonstrationen beteiligt haben. Im Kosmosviertel in Treptow-Köpenick wiederum wandten die Aktiven auch Organizing-Ansätze an und führten Haustürgespräche, um andere Mieter:innen auf bestehende Probleme aufmerksam zu machen und über Lösungswege zu informieren. In allen Initiativen war die Presse- und Öffentlichkeitsarbeit besonders wichtig. Allerdings gab es unter den aktiven Mieter:innen eines Viertels nur selten eine kollektive Absprache zur Kommunikationsstrategie. Meist hing diese wichtige Aufgabe an einzelnen Personen. Häufig kam die Schwierigkeit hinzu, dass aktive Mitstreiter:innen fehlten, um breitere kollektive Strukturen aufbauen zu können.
Was sind die Hauptprobleme der aktiven Mieter:innen bei der Organisation vor Ort?
Eines der Hauptprobleme ist die fehlende Mobilisierungskraft in den Siedlungen und Nachbarschaften. Das ist allerdings keinesfalls ein Alleinstellungsmerkmal der Außenbezirke, auch viele Initiativen in Innenstadtbezirken kennen das Problem: Solange Protest vor allem aus Einzelinitiativen von Mieter:innen besteht und nicht in kollektive Strukturen überführt wird, bleibt es schwierig, große Strahlkraft zu entwickeln. Die befragten Mieter:innen selbst haben das geringe Ausmaß an Protestaktivitäten und widerständigen Praktiken darauf zurückgeführt, dass es in ihren Bezirken eine andere Protestkultur als beispielsweise in Kreuzberg gebe. Als Gründe dafür nannten sie den fehlenden Zugang zu Informationen über Veränderungen im Haus oder der Nachbarschaft, fehlendes Wissen darüber, wie sie sich gegen Probleme wehren können, und das Gefühl, „nichts dagegen tun zu können“. Nur wenige Mieter:innen haben positive Erfahrungen von Selbstwirksamkeit gemacht, Erfahrungen, dass sich kämpfen lohnen kann.
Die Studie zeigt, dass sich die Mieter:innen Unterstützung bei der Organisierung und Mobilisierung wünschen. Dein Vorschlag: „institutionalisierte Gremien der Beteiligung, die mit politischen Mandaten ausgestattet sind“. Kannst du das genauer erklären?
In vielen Vierteln gibt es bereits Angebote zur Mitbestimmung. Quartiersmanagement ist dafür ein gutes Beispiel: In Quartiersräten diskutieren die Mieter:innen gemeinsam über die Entwicklungen von Siedlungen und Nachbarschaften und bringen ihre Probleme zur Sprache. Die Mieterbeiräte der landeseigenen Wohnungsunternehmen setzen Mitbestimmung zu Fragen rund um Mieten und Wohnen noch viel direkter um. Die Mitarbeit in diesen Gremien aktiviert Menschen, sich für ihr Zuhause und ihr Wohnumfeld einzusetzen – was super ist.
Gleichzeitig sind gerade diese Gremien durch ihre sehr festen Strukturen und Regeln eingeschränkt in den Möglichkeiten, mietenpolitische Problematiken zu thematisieren und wichtige politische Forderungen zu stellen. Dafür brauchen sie ganz explizit ein politisches Mandat. Dann könnten bereits aktive Mieter:innen ihr Engagement nutzen, um Mietenpolitik vor Ort zu machen und dafür zu kämpfen, konkrete Probleme zu beheben. Solange es dieses politische Mandat nicht gibt, braucht es zusätzlich auch selbstorganisierte Strukturen, damit Mieter:innen ihre Forderungen überhaupt artikulieren und sie gegenüber politischen Entscheidungsträger:innen durchsetzen können. Allerdings haben viele, die sich bereits in nachbarschaftlichen Gremien engagieren, aufgrund dieses Engagements verständlicherweise keine Zeit mehr, um zusätzlich in einer Mieteninitiative aktiv zu werden oder gar selbst eine ins Leben zu rufen. Deshalb ist eine Handlungsempfehlung der Studie, insbesondere die vorhandenen Gremien der Mitbestimmung mit mehr Ressourcen auszustatten. Um die Demokratisierung in Wohnungsunternehmen zu fördern, müssen diejenigen, die mitbestimmen sollen, dafür auch geschult werden.
Das Interview führte Vera Colditz
18.12.2023