In der Gartenstadt Neu-Tempelhof, einer Siedlung der landeseigenen Wohnungsbaugesellschaft Stadt und Land, laufen derzeit umfangreiche energetische Modernisierungsmaßnahmen. Obwohl das Modernisierungsprojekt Energie sparen und das Klima schützen soll, leiden viele Mieter:innen, vor allem ältere Menschen und Menschen mit Behinderung, unter erheblichen Nachteilen. Einige Maßnahmen stehen im Verdacht, diskriminierend zu sein. Die Mieter:inneninitiative Neu-Tempelhof setzt sich für die Bedürfnisse der Betroffenen ein.
Ein besonders kritisches Beispiel ist der Rückbau bodengleicher Duschen, die durch Sparbadewannen ersetzt werden sollen. Für mobilitätseingeschränkte Personen bedeutet das, künftig in einer Badewanne duschen zu müssen, was im Alter erhebliche Risiken birgt. Stadt und Land bietet an, in Wohnungen von Mietenden mit nachgewiesener Pflegestufe bodengleiche Duschen einzubauen – ein Vorgehen, das auf scharfe Kritik in der Mieter:inneninitiative stößt, da es zusätzlichen Aufwand und Druck auf die Betroffenen ausübt. Eine Pflegestufe erfolgreich zu beantragen, ist nicht nur schwierig, sondern auch unnötig, da das Verletzungsrisiko im Alter auch ohne Pflegebedürftigkeit steigt. Der Badewannenrand stellt für viele eine kaum überwindbare Hürde dar und erhöht das Unfallrisiko.
Viele Wohnungen verengen sich aufgrund von Strangsanierungen in Bad oder Küche, sodass Mieter:innen, die auf einen Rollator oder einen Rollstuhl angewiesen sind, erhebliche Schwierigkeiten haben, sich in ihren eigenen Wohnräumen zu bewegen. Diese Beispiele weisen aus Sicht der Initiative auf Diskriminierung gegenüber Senior:innen und Menschen mit Behinderung hin.
Die Mieter:innengemeinschaft berichtet von zahlreichen Erkrankungen bei Nachbar:innen seit Ankündigung der Baumaßnahmen – Existenzsorgen und Stress führen häufig zu gesundheitlichen Problemen und psychischen Belastungen bei Mieter:innen, die mit Baumaßnahmen größeren Ausmaßes konfrontiert sind. Eine Nachbarin mit Sehbehinderung beispielsweise weigert sich, in eine ihr fremde Umsetzwohnung zu ziehen. Zu groß ist die Sorge, sich in einer anderen Umgebung nicht zurechtfinden zu können. Ob Stadt und Land den Versuch unternommen hat, mit der Mieterin ins Gespräch zu kommen und Hilfestellung anzubieten, bleibt bis Redaktionsschluss offen.
Viele Mieter:innen kritisieren die schlechte und oft diskriminierende Kommunikation mit Stadt und Land sowie der vor Ort eingesetzten Mieter:innenberatung SOPHIA Berlin GmbH. Die Beratungsgesellschaft steht für SOziale Personenbetreuung und HIlfen im Alltag und ist ein Tochterunternehmen der landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften Stadt und Land und degewo. Die Mietenden der Siedlung in Neu-Tempelhof haben jedoch eine soziale Betreuung sowie Hilfestellungen als solches nicht wahrgenommen. Die Fronten sind verhärtet, so scheint es, als vertrete SOPHIA ausschließlich die Interessen der Stadt und Land, die Abläufe des Bauprojekts zu sichern.
Die Mieter:innen versuchen, ihre Anliegen in zahlreichen E-Mails, Briefen, Telefonaten und persönlichen Gesprächen mitzuteilen, um ihre persönlichen Bedarfe und Herausforderungen deutlich zu machen. Die dokumentierten Reaktionen sind jedoch mangelhaft. Selbst anwaltliche Schreiben bleiben in einigen Fällen unbeantwortet. Wenn es schließlich zu Gesprächen kommt, bewerten die Mieter:innen diese durchweg als „mangelhaft“.
So wird beispielsweise geraten, während der Baumaßnahmen zu Freunden oder gleich in ein Altersheim zu ziehen. Viele der Mieter:innen beklagen Planungsunsicherheiten und Informationsdefizite bezüglich der Maßnahmen und des Umzugs in die Umsetzwohnungen, in denen sie mindestens vier Monate bleiben müssen.
Zusätzliche finanzielle Belastungen
Neben den baulichen Einschränkungen drohen erhebliche finanzielle Belastungen. Stadt und Land prognostiziert Mietsteigerungen von 20 bis 30 Prozent, je nach Wohnungsgröße bedeutet das zwischen 120 und 220 Euro Mehrkosten pro Monat. Besonders betroffen sind Rentner:innen und Alleinerziehende, die befürchten, ihre Wohnungen nach der Modernisierung nicht mehr bezahlen zu können und auf staatliche Hilfen angewiesen zu sein. Maßnahmen wie der Austausch von Heizkörpern oder das fragwürdige energetische Sanierungskonzept erscheinen vielen schlicht als Mittel zur Mietmaximierung. Offen bleibt auch die Frage, ob Stadt und Land Fördermittel aus der sozialen Wohnraummodernisierung 2023 – SWM2023 in Anspruch genommen hat. Mit der Inanspruchnahme dieser Fördermittel verpflichten sich Vermietende zugleich, Sozialbindungen einzugehen und Mietobergrenzen einzuhalten. Die Mieter:innen berichten jedoch, dass freie sanierte Wohnungen für stattliche 13 Euro pro Quadratmeter wiedervermietet werden.
Rechtslage und Unterstützung
Die Berliner Fachstelle gegen Diskriminierung auf dem Wohnungsmarkt – Fair Mieten, fair Wohnen sieht Ansatzpunkte für Altersdiskriminierung und Diskriminierung von Menschen mit Behinderung nach dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG). Auf Einladung der Mieter:inneninitiative unterstützt sie sowohl Einzelpersonen bei rechtlichen Schritten als auch die Initiative, um die Interessen betroffener Menschen zu vertreten.
Hoffnung gibt ein kürzlich ergangenes Urteil des Landgerichts Berlin, das die Rechte von Mieter:innen in ähnlichen Situationen stärkt. In dem Fall hatte eine Wohnungsbaugesellschaft einem Rollstuhlfahrer über zwei Jahre hinweg die Zustimmung zum Bau einer benötigten Rampe verweigert, wodurch der Mieter seine Wohnung nicht eigenständig verlassen oder betreten konnte. Das Gericht entschied, dass dieses Verhalten eine Diskriminierung nach dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) darstellt, da es die Mobilität des Mieters erheblich einschränkte.
Dieses Urteil zeigt, dass Diskriminierung auf dem Wohnungsmarkt rechtlich anfechtbar ist und die Rechte der Betroffenen verteidigt werden können. Solche Urteile können in Zukunft dazu beitragen, Barrierefreiheit und soziale Verantwortung bei Modernisierungsprojekten stärker zu berücksichtigen. Die Entscheidung unterstreicht die Verpflichtung von Vermieter:innen, barrierefreie Zugänge sicherzustellen und den Bedürfnissen von Menschen mit Behinderungen nachzukommen, insbesondere in bestehenden Mietverhältnissen.
Forderung nach fairen Lösungen
Mieter:inneninitiative und Berliner Mieterverein fordern, dass die landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften wie Stadt und Land mit gutem Beispiel vorangehen und barrierefreien Wohnraum schafft, anstatt ihn abzuschaffen. Transparenz über die geplanten Maßnahmen sowie eine aktive Einbeziehung und Teilhabe der Mieter:innen sind dabei unerlässlich. Zudem sollte die energetische Modernisierung immer auch die Schaffung von neuen barrierefreien und bezahlbaren Wohnungen vorsehen – dafür gibt es in Berlin spezielle Förderangebote.
Die Schaffung und der Erhalt von bezahlbarem, barrierefreiem und energetisch günstigem Wohnraum müssen oberste Priorität haben – nicht die Maximierung von Mieteinnahmen. Bereits im Vorfeld von Modernisierungen sollen Kommunikations- und Fürsorgeteams eingerichtet werden, die sich im Speziellen um besondere Bedarfe von Bestandmieter:innen bemühen. Echte Beteiligungsverfahren mit den Mietenden und Anwohner:innen müssen verpflichtend sein. Sozial verträgliche Modernisierung heißt nicht nur Energie und Kosten einzusparen, sondern auch den Dialog mit den Mieter:innen zu suchen, ihre Bedürfnisse zu verstehen und ernst zu nehmen.
fs
17.12.2024