Die zunehmende Zahl der Eigenbedarfskündigungen ist für die Mietenden zumeist ein existenzielles Problem. Wir zeigen anhand von Fällen aus unserer Beratungspraxis sowie der aktuellen Rechtsprechung, warum es wichtig ist, die Bedarfsgründe der Vermieter:innen zu prüfen – auch dann, wenn sie zunächst plausibel scheinen.
Es ist gewiss: Die Zahl der Kündigungen wegen Eigenbedarfs von Vermietenden ist in unserer Beratungspraxis deutlich angestiegen. Das wird für Mietende in Berlin zu einem unüberschaubaren Problem.
Wenn wir uns den Anstieg der Umwandlungen von Miet- in Eigentumswohnungen seit 2009 anschauen, können die Prognosen für die kommenden Jahre nur besorgniserregend sein. Die exakte Anzahl der Eigenbedarfskündigungen pro Jahr ist zwar nicht erfasst; die Prozess-Statistiken der Rechtsschutzversicherung im Deutschen Mieterbund (DMB) zeigen aber einen steigenden Trend. Für das Jahr 2022 liegt die Eigenbedarfskündigung mit rund acht Prozent aller Fälle auf Platz fünf der häufigsten bundesweiten Mietrechtsprozesse. Der BMV hat seit 2019 insgesamt 5.867 Mitglieder wegen einer Eigenbedarfskündigung beraten.
Ursache für die steigende Tendenz von Eigenbedarfskündigungen sind die Umwandlungen in Eigentumswohnungen in der letzten Dekade. Diese haben zur Folge, dass Wohnungen in Mehrfamilienhäusern aufgeteilt und in Eigentumswohnungen umgewandelt werden. Häufig stehen die umgewandelten Wohnungen nach Umschreibung im Grundbuch als vermietetes Einzelobjekt zum Verkauf. Im Jahr 2021 hat der Bundestag ein Umwandlungsverbot (§ 250 Baugesetzbuch, BauGB) beschlossen und damit die Bundesländer ermächtigt, Rechtsverordnungen mit weitreichenden Genehmigungsvorbehalten zu erlassen.
Noch vor dem Inkrafttreten der Berliner Verordnung kam es 2021 zu einem Rekordhoch von 28.783 Umwandlungen.
Sperrfristen verschieben das Problem nur
Nach der sogenannten Kündigungssperrfristverordnung dürfen Eigentümer:innen zehn Jahre keine Kündigung wegen Eigenbedarfs aussprechen, wenn die Wohnung während des Mietverhältnisses in eine Eigentumswohnung umgewandelt worden ist. Die Frist beginnt mit der Eintragung des ersten Erwerbs ins Grundbuch nach Umwandlung, also ab dem ersten Verkauf. Für die Berliner Milieuschutzgebiete gelten andere Regelungen: Hier darf die Wohnung sieben Jahre ausschließlich den Mietenden zum Verkauf angeboten werden. Im Anschluss gilt eine auf fünf Jahre verkürzte Kündigungssperrfrist. Schätzungen von Fachpolitiker:innen und Expert:innen gehen derzeit davon aus, dass bei 30 bis 50 Prozent der umgewandelten Wohnungen nach Ablauf dieser Fristen eine Eigenbedarfskündigung droht.
Die Definition eines Eigenbedarfs durch Vermieter:innen ist nicht bis ins Detail vom Bundesgesetzgeber geregelt. Es wird nach Betrachtung der Einzelfälle von den Gerichten entschieden. Vermietende konnten in der Vergangenheit Mietende zum Beispiel zum Auszug zwingen, um einen Verwandten dritten Grades, einen Schwager oder eine Nichte in die Wohnung einziehen zu lassen. Diese Praxis wirft die Frage auf, wie Eigenbedarf angemessen definiert werden kann, um etwaigen Missbrauch durch vorgeschobenen Eigenbedarf als Entmietungsstrategie zu unterbinden. In der BMV-Beratungspraxis sowie den Kanzleien unserer beratenden Vertragsanwält:innen fällt in zahlreichen Fällen ein Zusammenhang zur Mietpreisüberhöhung auf. So erhalten augenscheinlich zahlreiche Mietende, die zuvor ihre Vermieter:innen gerügt hatten, Eigenbedarfskündigungen wegen des Verdachts auf Mietpreisüberhöhung nach Mietpreisbremse.
„Es scheint zunächst immer plausibel“
Unser Kollege Stefan Schetschorke, Leiter der Rechtsabteilung, weist vor allem auf eins hin: Für die Mietenden lesen sich die Kündigungen mit den benannten Bedarfspersonen zunächst oft plausibel. „Jede Eigenbedarfskündigung sollte durch uns beziehungsweise durch Fachanwält:innen geprüft werden! Wir erleben leider recht häufig, dass hinter der vermeintlichen Plausibilität der in der Kündigung genannten Bedarfspersonen und ihrer Interessen, Ungereimtheiten zu finden sind.“
Mitglied Tobias Marksen1 erhält beispielsweise eine Eigenbedarfskündigung von seinem Vermieter. In dieser gibt er an, dass er die Wohnung für sich selbst benötigt, weil er sich von seiner Frau getrennt habe und ein gemeinsamer Haushalt nicht mehr tragbar sei. In einem späteren Schreiben des Anwalts von Herrn Marksens Vermieter heißt es, dass dieser nun jedoch in seine zweite Eigentumswohnung gezogen ist. Diese müsse er allerdings aus Wirtschaftlichkeitsgründen verkaufen, weshalb er weiterhin in die vermietete Wohnung ziehen müsse, die aktuell von Tobias Marksen bewohnt wird.
Eine Kollegin aus der BMV-Rechtsabteilung berichtet, wie schwierig es sei, Betroffene zu überzeugen: „Auf den Schock und die Betroffenheit folgt meistens die Resignation. Immer wieder müssen wir die Mitglieder erst überzeugen, dass es sich lohnen kann, genauer hinzuschauen. In einem Fall hatte unser betroffenes Mitglied viel Angst und wenig Hoffnung, sich gegen die Eigenbedarfskündigung zu wehren.” Schließlich hat es sich dann gelohnt, das Gericht hatte die Räumungsklage abgewiesen. Die guten Erfolgsaussichten einer Klage zeigen auch die beiden folgenden Fälle:
- Klaus Lanfert bekommt von seiner Vermieterin eine Eigenbedarfskündigung, weil die Wohnung der 15-jährigen Tochter der Vermieterin zur Nutzung überlassen werden soll. Im gemeinsamen Haushalt sei die Belastung durch Streitereien zu groß geworden. Daher sei die Gründung eines eigenen Haushalts nötig. Das Gericht hat in einer Befragung der 15-Jährigen jedoch weder eine unüblich konfliktbehaftete Eltern-Kind-Beziehung, noch die tatsächliche Absicht zur eigenen Haushaltsgründung erkannt. Die durch die Vermietenden geführte Räumungsklage wurde deshalb abgewiesen.
- Fabienne Kalka erhält eine Kündigung von ihrem Vermieter mit der Begründung, dass er die Wohnung für seine Stieftochter braucht. Der Nachname der besagten Stieftochter ist jedoch komplett falsch geschrieben. Fabienne Kalka erhebt Widerspruch und das Gericht entscheidet, den Eigenbedarf abzuweisen. Auch ein höheres Gericht bestätigt dieses Urteil. Der Hintergrund: Laut dem Gesetz müssen die Gründe für die Kündigung im Kündigungsschreiben klar genannt werden. Wegen der Falschangabe kann die Person nicht identifiziert werden: das Informationsbedürfnis des Mieters wird gemäß Paragraf 573 Absatz 3 BGB nicht erfüllt.
Auch die folgenden Fälle aus der Praxis lassen zumindest die Vermutung zu, dass es den Eigentümern eher auf die Entmietung ankommen dürfte als auf eine tatsächliche Selbstnutzung:
- Familie Varga wird nach einer Mängelanzeige ihr seit über zehn Jahren bestehendes Mietverhältnis gekündigt. Platz gemacht werden soll für eine Verwandte dritten Grades. Bislang wohnt diese in einem schönen Eigentumsobjekt im gut angebundenen Umland und hat dort andere Verwandte, reges kulturelles Treiben und eine gute ärztliche Versorgung im direkten Umfeld. Sie hätte die Möglichkeit, das Objekt zu verkaufen, um eine Wohnung in Berlin zu erwerben. Der Eigentümer stellte die Situation der vermeintlichen Bedarfsperson ganz anders dar und wirft so den starken Verdacht auf vorgeschobenen Eigenbedarf auf. Dennoch klagt er auf Räumung. Es bleibt zu hoffen, dass das Gericht die Bestandsinteressen der Familie Varga im Vordergrund sieht, denn für sie würde die Kündigung den Verlust ihrer Bindung zu Hausgemeinschaft und Kiez bedeuten und für die Tochter mit Behinderung einen deutlich aufwendigeren Schulweg.
- Marie Kiefer und Jana Simmon erhalten für ihre gemeinsame Wohnung eine Eigenbedarfskündigung für die Selbstnutzung des Vermieters. Jana Simmon schreibt gerade ihre Abschlussarbeit und hat daher weder den Kopf noch die Zeit, um auf dem angespannten Berliner Wohnungsmarkt nach einer Ersatzwohnung zu suchen. Verärgert sind die beiden Mieterinnen, weil die Wohnung desselben Eigentümers über ihnen bereits seit einiger Zeit leer steht. Diese Wohnung könnte für den Eigenbedarf genutzt oder den beiden zumindest als Ersatzwohnung angeboten werden. Das böte die Möglichkeit, die Interessen der Mieterinnen und des Eigentümers miteinander in Einklang zu bringen, ohne die beiden Frauen aus ihrem Zuhause zu verdrängen.
Gegen die Resignation – wir können helfen
Wir fordern seit Jahren, dass der Bundesgesetzgeber restriktivere Regelungen schafft. Eigenbedarfskündigungen sollten auf Eigennutzung oder die Nutzung von Familienangehörigen ersten Grades beschränkt sein. Zudem muss bereits die Kündigungsberechtigung das Bestandsinteresse des Mietenden verstärkt mit einbeziehen.
Immerhin: Während die allgemeine Rechtsprechung für Mieter:innen in den vergangenen Jahren oft nachteilig ausfiel, vermerken wir bei Eigenbedarfskündigungen und den darauf folgenden Räumungsklagen viele Fälle mit einem für die Mietparteien positiv beschiedenen Urteil oder zumindest einem stark ausgedehnten Räumungsverzug. Manchmal handelt es sich dabei um einen Aufschub von mehreren Jahren. Trotz der nachvollziehbaren Resignation und den erheblichen Belastungen für die Mietenden zeigt sich, dass es fast immer lohnend ist, sich zur Wehr zu setzen.
Nach Erhalt einer Eigenbedarfskündigung sollten Sie daher so schnell wie möglich rechtliche Beratung in Anspruch nehmen. Als Mitglied können Sie bei uns telefonisch oder per E-Mail einen Beratungstermin vereinbaren. Unmittelbar nach dem ersten Beratungsgespräch in einem unserer neun Beratungszentren werden Betroffene in unsere Geschäftsstelle überwiesen.
Ein Beitrag von Franziska Schulte und Vera Colditz
1 Die Namen unserer Mitglieder wurden aus Datenschutzgründen geändert.
#Eigenbedarf – Gemeinsam stark mit anderen Engagierten:
Initiative #200 Häuser
vernetzt Mietende in umgewandelten Häusern,
AG Eigenbedarf kennt keine Kündigung (E3K)
begleitet betroffene Mieter:innen in ganz Berlin.
20.07.2023