Im angespannten Wohnungsmarkt in Berlin die Wohnung zu verlieren, ist eine Katastrophe für die meisten Menschen. Helfen Sie mit, neue Wohnungen für Mieter:innen zu finden, die von einer Eigenbedarfskündigung betroffen sind.
Die Nachricht kam überraschend. „Eigentlich hatte ich immer ein sehr gutes Verhältnis zu meinem Vermieter“, sagt Dietmar. „Doch jetzt möchte er, dass seine Tochter mit Mann und Kind in meine Wohnung einziehen und hat mir wegen Eigenbedarfs gekündigt.“
Wenn Sie Angebote oder Tipps haben, wie Gerda oder Dietmar eine neue Wohnung finden, dann senden Sie uns bitte eine E-Mail an sowi@berliner-mieterverein.de.
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Seither sucht Dietmar für sich und seine Frau nach einer neuen Wohnung – und findet nichts. Dabei wohnt er in Neukölln, außerhalb des S-Bahn-Rings, nahe Gropiusstadt. „Das ist alles andere als ein angesagtes Wohngebiet“, meint der 68-Jährige. Bezogen auf das Wohnumfeld sei er schon „unten angekommen“. Aber: „Meine gesamten sozialen Kontakte habe ich hier“, sagt Dietmar. Doch auch in seiner Umgebung kosten die Neubauwohnungen unbezahlbare 20 Euro den Quadratmeter, andere kosten zwölf bis 15 Euro. „Auch das kann ich mir nicht leisten.“ Bei vielen Bewerbungsverfahren fliegt er in dem Moment raus, wenn die Vermieter feststellen, dass er künftig mehr als 30 Prozent seines Einkommens für die Miete ausgeben müsste.
Eigenbedarfskündigungen nehmen zu. Die Zahl der Gerichtsverfahren nach Kündigungen wegen Eigenbedarfs ist in den vergangenen zehn Jahren deutlich gestiegen. Nach Berechnungen des Deutschen Mieterbundes (DMB) gab es im vergangenen Jahr 14.743 Verfahren um Eigenbedarf an Amts- und Landgerichten in Deutschland. Zehn Jahre zuvor seien es nur 8.246 gewesen. Und es kann jeden treffen. Tatsächlich liegt die Zahl der Eigenbedarfskündigungen weitaus höher. Denn nur ein geringer Teil geht vor Gericht.
„Mein ganzes Leben hat sich hier abgespielt“
Auch Gerda aus Wilmersdorf, die bereits seit 40 Jahren in ihrer Wohnung lebt, hat vor einigen Monaten eine Eigenbedarfskündigung erhalten. „Es war ein Schock als die Nachricht kam“, berichtet sie. Sie sei wie gelähmt gewesen. „Ich konnte nicht mal einen Hammer heben, um einen Nagel in die Wand zu schlagen“, erinnert sie sich. Sie ist hier um die Ecke aufgewachsen, hat hier Fahrradfahren und Schwimmen gelernt. Später ist ihr Sohn hier in den Kindergarten gegangen. „Mein ganzes Leben hat sich hier abgespielt“, erzählt Gerda, die bald in den Ruhestand geht und in dieser Umbruchsituation nicht auch noch nach einer neuen Wohnung suchen will.
Obwohl sie bleiben will, beginnt sie sofort im Internet nach Wohnungen zu suchen. Auch sie findet nichts, eine Ersatzwohnung hat der Vermieter ihr nicht angeboten. „Im Grunde müsste ich den ganzen Tag vor dem Computer sitzen, denn die meisten Wohnungen sind dort nur für kurze Zeit überhaupt sichtbar.“ Und dann sind sie auch unbezahlbar für Gerda – oder absolut ungeeignet. „Ich habe mir eine Wohnung im vierten Stock ohne Aufzug angesehen, was eigentlich für mich nicht in Frage kommt, da ich auch gesundheitlich Probleme habe“, sagt sie. „Aber selbst diese Wohnung ohne Küche und Warmwasser sollte 10 Euro pro Quadratmeter kalt kosten.“
„Die Politik muss das Mietrecht verbessern“
Gerda hat jedoch nicht nur gleich mit der Suche begonnen, sondern auch den Berliner Mieterverein um Rat und Hilfe gebeten – und Widerspruch gegen die Eigenbedarfskündigung eingelegt. Inzwischen hat der Vermieter, der sich mehr als 25 Jahre lang nicht um die Wohnung gekümmert hat und nach eigener Aussage nun möchte, dass sein Enkel in Gerdas Wohnung einzieht, sie vor Gericht auf Räumung verklagt. In der ersten Instanz hat Gerda gewonnen. Doch wie das Verfahren ausgeht, ist offen. Die Berufung steht noch an.
Auch Dietmar hat Rat beim Berliner Mieterverein gesucht. Doch er sieht für sich kaum eine Chance, vor Gericht Erfolg zu haben. Die Begründung des Vermieters sei rechtlich kaum umzustoßen. Seither sitzt Dietmar täglich am PC um eine Wohnung zu finden, die seniorengerecht ist – auch finanziell. Und er hört sich in seinem Netzwerk um. „Aber alle, die man fragt, kennen jemand, der sucht, und niemanden, der eine Wohnung hat.“ Inzwischen verfügt er auch über einen Wohnberechtigungsschein, doch auch das hat nicht geholfen. „Die Genossenschaften nehmen niemanden mehr auf und auch bei den landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften gibt es nichts Geeignetes“, sagt Dietmar. Dort habe ihm ein Mitarbeiter gesagt: „Eine 2,5- bis 3-Zimmer-Wohnung ist so schwer zu finden wie Goldstaub.“
„Ich fühle mich wie eine Sklavin“, beschreibt Gerda ihre Lage. „Ein anderer Mensch bestimmt darüber, wo ich mich aufhalten beziehungsweise in Zukunft nicht mehr aufhalten darf.“ Die Wilmersdorferin fürchtet auch, im Alter in Armut zu geraten, wenn sie kein Geld mehr verdient, sondern von ihrer Rente leben muss. „Das ist beschämend nach 45 Jahren Arbeit.“ Und sie hat Angst vor der Zukunft – und auch ein wenig Hoffnung: „Ich hoffe auf die neue Bundesregierung. Es ist mein klarer Auftrag an die Politik, dass sie im Mietrecht einiges verbessern muss.“ Das findet Dietmar auch.
15.10.2021