Maximal 30 Prozent ihres Nettoeinkommens sollen Mieter:innen in Berlin für die Miete zahlen – das ist das neue Ziel von Franziska Giffey. Erreichen will es die Regierende Bürgermeisterin mit einer freiwilligen Mietenbegrenzung durch die Vermieter:innen. Wie kam es zu dem Vorschlag und was steckt dahinter?
Ende Mai brachte Berlins Regierende Bürgermeisterin während der Verhandlungen für ein Wohnungsbau- und Mieterschutzbündnis ihren neuen Mietenplan ein. In dessen Zentrum: Eine freiwillige Mietenbegrenzung, die 30 Prozent des jeweiligen Haushaltseinkommens nicht überschreiten soll. Um den Vorschlag besser einordnen zu können, hilft ein Blick zurück.
Gescheiterter Mietendeckel, löchrige Mietpreisbremse
Vor rund einem Jahr, im April 2021, erklärte das Bundesverfassungsgericht den Berliner Mietendeckel für verfassungswidrig. Die Begründung: Das Land Berlin hat in diesem Bereich keine Gesetzgebungskompetenz. Eine Lösung für das Problem des massiven Mietenanstiegs der vergangenen Jahre brachte der Gerichtsbeschluss indes nicht. Mit dem Eintritt der FDP in die Bundesregierung erstarb schließlich auch die Chance zu substantiellen und wirksamen Mietrechtsänderungen auf Bundesebene. Auch die geforderte Öffnungsklausel für Regulierungen durch die Länder kam nicht durch – selbst die SPD konnte sich dafür nicht erwärmen. Zwar rangen die beiden Koalitionspartner der FDP eine geringfügige Senkung der Kappungsgrenze von 15 auf elf Prozent Mietsteigerung in drei Jahren ab, doch auch die Mietpreisbremse bleibt löchrig wie der sprichwörtliche Schweizer Käse.
„Kooperation statt Konfrontation“
Mit dem gescheiterten Mietendeckel und dem erfolgreichen Volksbegehren zur Vergesellschaftung großer Wohnungsunternehmen im Rücken setzte Franziska Giffey als Spitzenkandidatin der SPD für das Bürgermeisteramt auf eine Wende. „Kooperation statt Konfrontation“ war ihre Devise, um vor allem die private Wohnungswirtschaft wieder mehr zu umwerben. Zugleich wollte die SPD-Politikerin der These, nur Neubau könne die Wohnungsmarktprobleme lösen, mit ehrgeizigen Fertigstellungszahlen Nachdruck verleihen. Ein Bündnis mit freiwilligen Vereinbarungen schien dafür das geeignete Instrument zu sein. Das Kalkül dahinter: Wenn der Senat der Immobilienwirtschaft ein paar appetitliche Häppchen zuwirft – etwa die Beschleunigung von Genehmigungsverfahren oder die Flexibilisierung der Förderbestimmungen beim Sozialen Wohnungsbau – dann wäre diese auch zu freiwilligen Zugeständnissen beim Mieter:innenschutz bereit.
Zu Beginn der Bündnisverhandlungen kündigte dann auch der neue Senator für Stadtentwicklung, Bauen und Wohnen, Andreas Geisel (SPD), vollmundig ein mehrjähriges Mietenmoratorium an. Doch mit den Auswirkungen der Corona-Pandemie, dem weltweiten Energiepreisanstieg, den Folgen des Ukraine-Krieges, dem Zinsanstieg und der wachsenden Ressourcenknappheit wendet sich das Blatt für die ehrgeizigen Ziele von Franziska Giffey und Andreas Geisel. Statt Auftrumpfen ist inzwischen Bittstellen angesagt. Aus dieser Situation erwuchs der neue Vorschlag zur einkommensbezogenen Mietenregulierung.
Der Berliner Mieterverein ist ausgesprochen skeptisch, ob eine Kappung von Mieterhöhungen gemessen am Einkommen als freiwillige Vereinbarung die notwendige Breitenwirkung bei der Mietendämpfung erreichen wird. Denn damit eine solche Regelung erfolgreich wäre, müssten mehrere Bedingungen erfüllt sein:
- Keine Härtefallregelung
Die Kappung der Mieten darf nicht als Härtefallregelung konzipiert sein, die nur auf Antrag von Mieter:innen greift. Erfahrungsgemäß nimmt bei den bereits existierenden Regelungen dieser Art – etwa im Sozialen Wohnungsbau, bei der Deutsche Wohnen oder den Landeswohnungsunternehmen – aus Scham nur ein kleiner Teil von Mieter:innen die ihnen zustehende Hilfe in Anspruch. Das verwundert nicht, schließlich möchte jede:r die Miete aus dem eigenen Einkommen bezahlen können. Die vorgeschlagene Mietenkappung wäre daher nur erfolgreich, wenn Vermieter:innen vor einer Mieterhöhung die Einkommen abfragen und bei Überschreitung der 30-Prozent-Grenze auf die geplante Erhöhung verzichten würden. Im Klartext hieße das, dass vor jeder Mieterhöhung alle betroffenen Mieter:innen ihre Einkünfte offenlegen müssten. Ein solches regelmäßiges Entblößen ist für Mieter:innen entwürdigend. Für Vermieter:innen wäre die Idee zudem mit hohem Aufwand verbunden. - Mieterhöhungsgrenze für WBS-Berechtigte
Die vorgeschlagene Regelung birgt darüber hinaus das Risiko, dass Vermieter:innen verstärkt jene Haushalte für Mieterhöhungen ins Visier nehmen, bei denen die 30-Prozent-Grenze noch nicht überschritten ist – denn bei den anderen Haushalten könnten keine Mietsteigerungen mehr umgesetzt werden. In der Folge wären verstärkt Miethaushalte mit bis dato noch auskömmlicher Belastung von Erhöhungen betroffen. Deshalb braucht es parallel zur 30-Prozent-Regelung eine maximale Mieterhöhung für Haushalte im Einkommensbereich der WBS-Berechtigung. - Quote für WBS-Berechtigte bei Wohnungsvergabe
Ein massives Risiko besteht für Haushalte mit niedrigem Einkommen auch bei der Wohnungssuche. Bei einer strukturellen Abhängigkeit der Mieterhöhung vom Einkommen hätten zukünftig Haushalte mit unterdurchschnittlichem Einkommen noch weniger Chancen auf eine neue Wohnung. Um dies zu verhindern, müssten auch bei der Wohnungsvergabe Quoten zur Unterbringung von Haushalten mit WBS-Berechtigung eingeführt werden. Ob dazu breite Kreise der Immobilienwirtschaft bereit wären, ist jedoch sehr fraglich. - Staffelung der Prozentgrenze
Eine pauschale Kappung bei 30 Prozent des Haushaltseinkommens ist nicht sachgerecht, weil es letztlich darauf ankommt, was nach Abzug der Miete zum Leben übrig bleibt. Deshalb müsste eine Prozentgrenze gestaffelt werden: Bei Einkommen bis zu 100 Prozent der Bundeseinkommensgrenze des Sozialen Wohnungsbaus (Einpersonenhaushalt 12.000 Euro/Jahr, Zweipersonenhaushalt 18.000 Euro/Jahr) dürfte die Nettomietbelastung maximal 20 Prozent betragen, bei 100 bis 180 Prozent der Bundeseinkommensgrenze 25 Prozent und erst bei 180 bis 240 Prozent dürfte sie 30 Prozent betragen.
Unser Fazit
Damit der Vorschlag der Mietenregulierung anhand der Einkommenssituation Breitenwirkung entfalten kann, ist ein hoher Aufwand nötig. Mieter:innen müssten laufend ihre Einkommensverhältnisse offenlegen – eine fragwürdige Prozedur. Eine freiwillige Deckelung der Mieterhöhungen bei maximal zwei Prozent pro Jahr wäre für alle einfacher. Es sieht so aus, als müssten die Mieter:innen der Stadt noch eine ganze Weile auf eine wirksamere Mietenregulierung warten. Was der Regierenden Bürgermeisterin und ihrem Bausenator aber sicher am meisten missfallen wird: Zur Abwehr des Vergesellschaftungsgesetzes halten sie nichts Brauchbares in der Hand.
15.06.2022