Einige EU-Länder setzen sie in der aktuellen Krise bereits als Instrument zur gezielten Entlastung ihrer Bürger:innen ein: die Übergewinnsteuer. Wie funktioniert die Steuer und wie kann sie das Problem der steigenden Energiepreise lösen? Christoph Trautvetter, Geschäftsführer des Netzwerks Steuergerechtigkeit und Autor der Studie „Kriegsgewinne besteuern“, gibt Antworten auf die wichtigsten Fragen.
Mieter:innen in Berlin und in ganz Deutschland bangen der Heizperiode entgegen. Neben den allgemeinen Preissteigerungen in nahezu allen Grundversorgungsbereichen bereiten ihnen vor allem die Energiepreise große Sorgen. Verbände, Initiativen und Gewerkschaften schlagen Alarm und mahnen in Richtung Bundesregierung, vor allem Miethaushalte mit kleinen und durchschnittlichen Einkommen zu entlasten. Der Ruf nach einem Energiepreisdeckel ist inzwischen unüberhörbar, zahlreiche Akteure haben Modelle hierfür vorgelegt. Die Frage nach der Refinanzierung folgt auf dem Fuße. Eine Lösung: Die Einführung einer Übergewinnsteuer für jene Energiekonzerne, die exorbitante Kriegsgewinne erzielen. „Übergewinnsteuer jetzt!” – hinter dieser Forderung versammelte Campact in kürzester Zeit mehr als 150.000 Unterschriften. Die Bundesregierung lehnte lange ab, hat für das dritte Entlastungspaket aber eine Abschöpfung von Zufallsgewinnen angekündigt und wartet aktuell auf Vorschläge der EU.
Christoph, wie kann es überhaupt sein, dass einige der Energiekonzerne trotz globaler Krisen, Verknappung fossiler Brennstoffe und allgemeiner Preissteigerungen „Übergewinne“ im Jahr 2022 verbuchen können?
Die höheren Energiepreise werden fast 1:1 zu höheren Gewinnen für die Anbieter. Zum einen bei den Mineralölkonzernen, weil sie Öl und Gas genauso billig fördern wie zuvor, aber teuer verkaufen. Zum anderen bei den Produzenten von Strom aus erneuerbaren Energien und Kernkraft, weil auch deren Kosten fast gleich geblieben sind. Und das Schlimme ist: Die Preissteigerungen sind bisher erst zu einem kleinen Teil bei den Mieter:innen angekommen, weil Zwischenhändler wie Uniper sie teilweise aufgefangen haben. Die Übergewinne sind aber schon zum großen Teil verbucht.
Ein Beispiel: BP verkauft Gas zu den aktuell hohen Preisen an Uniper. Uniper hat langfristige Verträge mit dem Stadtwerk Musterstadt und muss dem Unternehmen das Gas zu dem vor einem Jahr vereinbarten günstigeren Preis liefern. Uniper macht deswegen Verlust. Das Stadtwerk leitet das Gaszum ebenfalls im vergangenen Jahr vereinbarten Preis an die Verbraucher:innen weiter. Bei diesen kommt die Preissteigerung daher noch nicht an, BP hat den Übergewinn allerdings schon verbucht. Was jetzt passiert: Uniper, das Stadtwerk Musterstadt und die Verbraucher:innen schließen jeweils Verträge für das nächste Jahr ab – und zwar auf Grundlage der aktuell hohen Preise. Wenn die Preise fallen, macht Uniper einen Gewinn und zahlt damit die Staatshilfen zurück. Bei den Verbraucher:innen kommen die hohen Kosten aber erst im nächsten Jahr an. Dann ist es zu spät, BP zu besteuern. Das geht nur noch im Jahr 2022.
Wie kann man Übergewinne ermitteln?
Anders als von der Bundesregierung behauptet, lassen sich die Übergewinne aus der Energiekrise recht leicht bestimmen: Man muss nur die aktuellen Preise mit einem „normalen“ Preis aus der Vorkrisenzeit vergleichen. Weil der Unterschied so plötzlich kam, so groß ist und eine ganze Branche betrifft – und nicht nur einzelne Unternehmen – ist das noch einmal deutlich einfacher als zum Beispiel bei den Gewinnen aus der Coronakrise.
Du bist Autor einer Kurzstudie zum Thema, die im August bei der Rosa-Luxemburg-Stiftung erschienen ist. Welche der großen Energiekonzerne in Deutschland, aber auch der internationalen Player habt ihr analysiert? Und können Eure modelltheoretischen Berechnungen der Realität standhalten?
Unsere Kurzstudie fokussiert vor allem auf die großen Mineralölkonzerne. Bei denen sind die Übergewinne am größten und deutlichsten – auch wenn sie sich bis jetzt naturgemäß nur grob abschätzen lassen. Basierend auf den aktuellen Preisen gehen wir davon aus, dass die großen Mineralölkonzerne weltweit in einem Jahr knapp 1.000 Milliarden Euro Übergewinne machen könnten – davon knapp 60 Milliarden Euro aus Deutschland. Wegen längerfristiger Lieferverträge oder Verlusten aus dem russischen Geschäft kann das kurzfristig und in Einzelfällen etwas weniger sein. Die größte Unbekannte ist allerdings die Preisentwicklung. Seit unserer Studie sind die Preise für Öl wieder leicht gefallen, die Preise für Gas bis vor Kurzem weiter gestiegen. Wie es im Herbst weitergeht, muss sich zeigen.
Könnt ihr auch eine Aussage zum Strommarkt treffen?
Auf dem Strommarkt ist die Abgrenzung und Berechnung von Übergewinnen in den Konzernbilanzen etwas schwieriger. Hier vermischen sich oft Geschäftszweige mit hohen Übergewinnen mit verlustträchtigen Aktivitäten. Der starke Anstieg beim Börsenpreis für Strom gibt aber auch hier einen guten Anhaltspunkt, wie viel teurer es am Ende für die Mieter:innen werden könnte.
Die Studie stellt auch die Einführung einer Übergewinnsteuer in anderen EU-Ländern vor, beispielsweise das italienische Modell. Welche Effekte könnt ihr beobachten?
Italien, Spanien, Griechenland und eine Reihe weiterer Staaten schöpfen schon Krisengewinne ab oder arbeiten an konkreten Gesetzen. Italien war nicht nur am schnellsten – erste Zahlungen wurden bereits im Juni 2022 fällig – sondern auch am konsequentesten, weil die Mineralölkonzerne einbezogen sind. Spanien zielt bisher nur auf Stromerzeuger, genauso wie Griechenland, wo zusätzlich die Ökostromerzeuger ausgeschlossen sind. Angesichts der Erfahrungen dieser Länder scheinen für Deutschland Einnahmen in Höhe von 30 bis 40 Milliarden Euro möglich. Aber: Bisher versucht keines dieser Länder, auch die in Steueroasen oder in die Förderländer verschobenen Gewinne der großen Mineralölkonzerne zu erfassen. Damit ließen sich die Einnahmen rein hypothetisch auf bis zu 100 Milliarden Euro erhöhen. Es wäre zudem ein Beitrag, der das globale Unternehmenssteuersystem gerechter machen würde. Frankreich hat 2019 bei der Besteuerung der internationalen Digitalkonzerne gezeigt, dass das funktionieren kann.
Zum Verständnis: In der Studie geht es zunächst um die Mineralöl- und Stromkonzerne. Derzeit sind es aber vor allem die ausbleibenden Gaslieferungen aus Russland, die den Markt durcheinanderschütteln. Der Konzernriese Uniper SE muss durch die Bundesregierung mit rund 15 Milliarden Euro gerettet werden. Wie hängt die allgemeine Energiepreisentwicklung damit zusammen und brauchen wir nicht vor allem einen Energiepreisdeckel?
Aktuell kommt kaum noch Gas aus Russland nach Deutschland. Deswegen kaufen Händler wie Uniper als Ersatz für günstig in Russland bestelltes Gas jetzt teuer auf dem Weltmarkt ein. Den Preisunterschied werden sie – je nach Vertrag – über kurz oder lang an die Endkund:innen weitergeben, die mit Gas heizen. Außerdem benötigt Deutschland in Spitzenverbrauchszeiten nach wie vor Strom aus Gaskraftwerken. Und weil der teuerste Anbieter an der Börse den Preis bestimmt, steigt dadurch auch der Preis, den Produzenten von Wind- oder Solarenergie erlösen können. Dagegen gibt es eine ganze Reihe möglicher Maßnahmen: Der Staat kann den Preis für den Grundbedarf an Gas und Strom deckeln, indem er die Differenz zum Marktpreis bezahlt. Das hilft den Mieter:innen, ist aber sehr teuer. Alternativ könnte der Staat auch die Preise vorgeben. Dafür gibt es allerdings eine Reihe technischer und rechtlicher Hürden. Im Vergleich dazu scheint es geradezu einfach, die Übergewinne abzuschöpfen und als Subvention für den Grundbedarf an die Verbraucher:innen zurückzugeben. Dass das verfassungsrechtlich und technisch möglich ist, ist mittlerweile ausreichend belegt.
Es gibt zahlreiche Argumente gegen eine Übergewinnsteuer. Eines ist, dass die Unternehmen die Steuer auf die Verbraucher:innen umwälzen könnten, zumindest teilweise. Gibt es dafür Lösungen?
Die Übergewinnsteuer greift rückwirkend. Das heißt, die Unternehmen müssten sich die entgangenen Gewinne durch zukünftige Preissteigerungen zurückholen. Dann hat sich die Angebotssituation hoffentlich wieder etwas entspannt. Aber selbst wenn es den Konzernen gelingen sollte, einen Teil der Steuer umzuwälzen – ein Teil der rückverteilten Gewinne würde trotzdem bei den Kund:innen verbleiben und sie entlasten, statt die Aktionär:innen der Konzerne zu bereichern.
Christoph, vielen Dank für das Gespräch.
30.03.2024