Über 300 Stadtaktivist:innen aus ganz Deutschland haben sich vom 7. bis 9. Juni auf dem Dragonerareal in Kreuzberg zu einem Erfahrungsaustausch getroffen. Das Forum „Recht auf Stadt“ feierte sein zehntes Jubiläum in Berlin.
Es waren überwiegend junge Menschen, viele von ihnen aus dem studentischen Milieu, die drei Tage lang konzentriert und auf hohem Niveau über eine „Stadt von unten“ diskutierten. Fast alle Veranstaltungen waren proppenvoll, zum Teil mussten die Teilnehmenden auf dem Boden oder auf der Treppe sitzen. Gegründet wurde das kollektiv organisierte Forum im Jahr 2015 in Kassel. Überall in Deutschland sind in den vergangenen zehn Jahren Netzwerke und Initiativen entstanden, die sich gegen große Vermietungsunternehmen wie Heimstaden oder Vonovia wehren, Kampagnen zur Vergesellschaftung von Wohnraum initiieren oder Mieter:innengewerkschaften gegründet haben.
Raum für Austausch über Erfolge und Misserfolge
„Das Recht-auf-Stadt-Forum dient als Ort, um die oft lokal geführten Kämpfe über die Städte hinaus zu vernetzen, gesammeltes Wissen auszutauschen und Strategien weiterzugeben“, erklärt eine Sprecherin des Forums. Vertreter:innen vieler bekannter Initiativen, wie etwa „Zwangsräumungen verhindern“, das bundesweite „Netzwerk gegen Heimstaden“ oder „Changing Cities“, diskutierten mit; beispielsweise über den Aufbau eines feministischen Shoppingcenters, die soziale Wärmewende oder die Verhinderung von Abriss. Es gab auch Praktisches: eine Schritt-für-Schritt-Anleitung zur Umsetzung von erfolgreichen Kampagnen. Auch wenn die Situation in Bochum oder Halle eine andere ist als in Hamburg oder Berlin – mit grundlegenden Problemen haben alle stadtpolitischen Initiativen an der Basis zu kämpfen.
Das wurde beim Workshop „Mietenpolitischer Protest oder revolutionäre Stadtteilarbeit?“ deutlich. Einige Gruppen haben sich in der Nachbarschaft organisiert und bieten niedrigschwellige Beratung zu Problemen mit dem Jobcenter oder hohen Heizkosten an. Doch wie kann es gelingen, dass sich die Menschen darüber hinaus aktiv einbringen – und zwar nicht nur „weiße Akademiker:innen“? Die Vorschläge reichten von Kinderbetreuungsangeboten über eine klare Kante gegen Rassist:innen bis hin zu Rollenspielen nach der Methode „Theater der Unterdrückten“. „Zu hören, was gut läuft, ist genauso wichtig, wie zu erfahren, was nicht funktioniert hat“, meinte eine Teilnehmerin der Diskussionsrunde.
Wie können wir stärker werden?
Das Motto des Forums war in diesem Jahr „Mehr werden, stärker werden, Kämpfe gewinnen.“ Neben den großen Strategien („Wie weiter mit der stadtpolitischen Bewegung?“) und alternativen Formen der Basisorganisierung (Stichwort „Solidaritätsnetzwerke“) ging es auch in die Niederungen der Arbeit vor Ort. Ein Aktivist des „Kiezprojekts“ aus der Weißen Stadt in Reinickendorf berichtete, dass die Müllthematik dort immer wieder rassistisch aufgeladen sei. Bewohner:innen behaupteten etwa, „die ausländischen Nachbar:innen entsorgen ihren Müll nicht richtig.“ Wie kann man verhindern, dass dieses Thema rechtspopulistisch vereinnahmt wird? „Wir sagen den Leuten immer, dass wir uns gegen unseren Vermieter organisieren, aber nicht gegen unsere Nachbar:innen“, lautete eine Antwort.
An der Diskussion „Let’s organize“ nahmen auch Gäste aus Madrid und London teil. Im Zentrum dieser Debatte stand die Frage, ob man die großen Mietervereine brauche, und wenn ja, wie diese sich verändern müssten, um zu schlagkräftigen „Kampforganisationen“ zu werden. Oder macht es gar mehr Sinn, Mieter:innengewerkschaften aufzubauen? Vertreter:innen der „London Renters Union“ und der Mieter:innengewerkschaften aus Madrid und Berlin berichteten ebenso von ihren Erfahrungen wie die AG Starthilfe, die das Kiezprojekt mit uns vom BMV ins Leben gerufen hat.
Die rund 30 Mitstreiter:innen der AG Starthilfe, die ursprünglich aus der Initiative „Deutsche Wohnen Protest“ kommt und inzwischen zur Initiative „Deutsche Wohnen & Co. enteignen“ gehört, verstehen sich quasi als „Politisierungsmaschine“, wie Lisa von der AG erklärte: „Wir nennen uns die BMV Taskforce und gehen in deren Strukturen rein.“ Es habe Vor- und Nachteile, sich einer Riesenorganisation wie dem BMV anzuschließen. Vorteile: rund 180.000 Mitglieder, von denen ein Großteil zwar passiv ist, die aber grundsätzlich ein großes Potenzial darstellen. Die Frage sei nun, wie man einen Teil der Mitglieder dazu bringen könne, sich aktiv zu engagieren, so Lisa. Hinzu käme, dass über den Verein in Kooperation mit dem Movement Hub bezahlte Organizing Stellen eingerichtet werden konnten. Einen Nachteil sieht sie in der „recht speziellen“ Vereinskultur mit ihren zum Teil schwerfälligen Strukturen.
Pragmatischer Widerstand und kreative Protestformen
Ein Konzert, eine Party im Südblock und die Aufführung eines Protest-Musicals ergänzten das Programm auf dem Dragonerareal. Am Sonntag fanden mehrere Kiezspaziergänge statt, etwa auf den Spuren der Privatisierung in Reinickendorf oder unter dem Motto „Recht auf Stadt & Platz für alle“ rund um den Hermannplatz. Der Hermannplatz zwischen Kreuzberg und Neukölln werde seit Jahrzehnten schlecht geredet und stigmatisiert, dabei werde er rege genutzt und habe de facto eine hohe Aufenthaltsqualität, erklärte eine Vertreterin der „Initiative Hermannplatz“. Sie kämpft gegen einen Abriss des Kaufhauses und die geplante Aufhübschung des Platzes, die ihrer Überzeugung nach zu Verdrängung führen werde. „Wir sind nicht gegen Begrünung und Verkehrsberuhigung, aber nicht konzerngetrieben und über die Köpfe der Menschen hinweg“, betont die Vertreterin. Mittlerweile ist der Investor Signa pleite – woran die Initiative zwar gänzlich unschuldig ist. „Aber wir haben das ganze Vorhaben erheblich verzögert“, so die Aktivist:innen. Insofern liefert der Hermannplatz reichlich Anschauungsmaterial für eine vorrangig an Profitinteressen orientierte Kommerzialisierung des öffentlichen Raums – und den Widerstand dagegen.
Weitere Informationen zum Forum finden Sie hier.
Birgit Leiss
19.06.2024