Ein Sondervermögen von fünf Milliarden Euro soll Berlin helfen, die Klimaziele bis 2045 zu erreichen. Doch wo Klima draufsteht, sollte auch Klima drin sein. Gemeinsam mit anderen Initiativen und Vereinen haben wir unsere Forderungen an den Senat in einem offenen Brief formuliert.
Am Morgen des 7. November 2023 haben wir uns mit Vertreter:innen aus mehr als 40 Klimainitiativen und Verbänden vor dem Roten Rathaus zu einer Protestaktion getroffen. Anlass waren die Beratungen zum vorliegenden Gesetzentwurf für die Errichtung eines Klimaschutz-Sondervermögens im Abgeordnetenhaus. Dagegen protestieren? Das klingt seltsam. Abgesehen von der AfD sind alle Fraktionen des Berliner Abgeordnetenhauses für Investitionen in den Klimaschutz, und auch wir halten es für dringend notwendig, dass das Land Berlin Geld für eines der drängendsten Probleme unserer Zeit und unserer Stadt in die Hand nimmt. Nur 19 bis 21 Millionen Euro standen laut Berliner Energie- und Klimaschutzgesetz (BEK) bislang zur Verfügung – viel zu wenig. Fünf Milliarden Euro hingegen sieht der Koalitionsvertrag ab sofort für klimaschützende Investitionen vor, weitere fünf Milliarden Euro könnten es nach Evaluation Ende 2026 für die folgenden Jahre werden. Diese Summen bieten ganz andere Möglichkeiten, Investitionen in den Klimaschutz und die Resilienz unserer Stadt anzuschieben.
Laut Koalitionsvertrag will Schwarz-Rot insbesondere neue Technologien fördern, die zugleich die Entwicklung der Berliner Wirtschaft vorantreiben. Verkehr und Gebäude sind dabei die Schlüsselsektoren. Doch in diesen Bereichen darf es nicht allein um neue Technologien und Innovationen gehen, sondern auch um Bezahlbarkeit und sozialen Ausgleich.
Spätestens mit der von Bundeskanzler Olaf Scholz ausgerufenen Zeitenwende haben wir gelernt, dass Sondervermögen viel Gutes verheißen kann – oder nicht? Aber wer legt fest, wie und an wen diese Mittel vergeben werden? Welche Kriterien gibt es für die Vergabe und wer definiert sie? Um die zweckbestimmte Verwendung der Mittel sicherzustellen, braucht es nach Ansicht des Klimaschutzrates Berlin sowie zahlreicher anderer Klimainitiativen und des Berliner Mietervereins nicht nur Expert:innenwissen aus Recht und Wissenschaft, sondern auch Transparenz und eine Beteiligung der Zivilgesellschaft.
Warum wir protestieren
Wir sehen es nicht als gesichert an, dass der Senat die Gelder aus dem geplanten neuen Topf zielgerichtet einsetzen wird. Große Zweifel kamen auf, als es aus Regierungskreisen hieß, dass das Sondervermögen auch zur Sanierung von Polizeiwachen genutzt werden könnte. Dem laut Gesetzentwurf geplanten Lenkungsausschuss fehlt es an wissenschaftlicher Expertise, lediglich vier Senator:innen werden in den Ausschuss berufen. Der Lenkungsausschuss schlägt die jeweiligen Maßnahmen dem Hauptausschuss im Abgeordnetenhaus vor, dieser entscheidet. Auch eine zerfaserte Verwendung der Mittel könnte zum Problem werden. Und: Die Summe selbst könnte unterm Strich viel niedriger ausfallen als die angekündigten fünf Milliarden Euro – sollte der Senat damit die Streichung von Geldern aus dem regulären Haushalt zum Einhalten der Schuldenbremse legitimieren.
Am vergangenen Mittwoch sorgte eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) für Aufsehen: Das oberste Gericht stufte den Klima-Sonderfonds im Bund mit Kreditermächtigungen von rund 60 Milliarden Euro aufgrund unzureichender Begründungen als verfassungswidrig ein. Das Urteil könnte auch für das Berliner Sondervermögen von Bedeutung sein. Die AfD-Fraktion im Abgeordnetenhaus hat bereits ein Gutachten zu verfassungsrechtlichen Fragen beim wissenschaftlichen Parlamentsdienst in Auftrag gegeben und angekündigt, die Verfassungswidrigkeit des Errichtungsgesetzes für das Klima-Sondervermögen feststellen zu wollen. Erkenntnisse aus dem aktuellen Karlsruher Urteil könnten dem Senat helfen, das Errichtungsgesetz vor einer Überprüfung durch den Berliner Verfassungsgerichtshof nachzubessern. Der Klimaschutzrat plant, sich in den nächsten Wochen intensiv mit dieser Thematik zu beschäftigen und dem Senat entsprechende Empfehlungen zu geben.
Mit einem offenen Brief für Transparenz und Mitsprache
Mit der Protestaktion haben wir einen offenen Brief an den Regierenden Bürgermeister Kai Wegner (CDU), die Klimaschutz-Senatorin Manja Schreiner (CDU) und Finanzsenator Stefan Evers (CDU) übergeben. Wir fordern, dass
- … das Sondervermögen nicht zum Etikettenschwindel wird.
- … der Senat wissenschaftliche Expertise verbindlich einbezieht und
- … ein unabhängiges Fachgremium zur Erarbeitung der Auswahlkriterien eingerichtet wird, bestehend aus Expert:innen aus Wissenschaft, Zivilgesellschaft und Verbänden.
- … es ein transparentes Antragsverfahren gibt, das die Auswahlmethode offenlegt und nicht einzelne Akteure bevorteilt.
Initiatoren des offenen Briefes sind das Bündnis Klimaneustart und der BUND Berlin. Mitgezeichnet haben den offenen Brief auch Mitglieder des Klimaschutzrates. Das 18-köpfige, auf Landesebene aktive, unabhängige Gremium befasst sich mit Fragen des Klimaschutzes und der Nachhaltigkeit in der Region. Neben Akteuren großer Verbände und Unternehmen wie den Berliner Wasserbetrieben sind Expert:innen aus Wissenschaft und Wirtschaft Teil des Rates. Der BMV ist durch unseren ehemaligen Geschäftsführer Reiner Wild vertreten. Die Hauptaufgabe des Gremiums ist es, die Realisierung von Klimaschutzmaßnahmen zum Erreichen der Klimaziele in Berlin zu überwachen und zu unterstützen. Die Entwicklung von Klimaschutzstrategien zählt ebenso dazu wie Empfehlungen zur Reduzierung von Treibhausgasemissionen oder die Förderung von nachhaltigen Praktiken in verschiedenen Sektoren wie Verkehr, Energie und Bauwesen.
Die Dringlichkeit von Investitionen in den Klimaschutz steht nicht in Frage
Wir sehen die Reduzierung der CO2-Emissionen im Gebäudebereich als eine der größten Aufgaben im Bereich Klimaschutz. Schätzungen zufolge verursacht der Gebäudebereich 40 Prozent der Emissionen in Berlin. Eine gigantische Aufgabe liegt allein schon vor uns, wenn es um die Dekarbonisierung und Sanierung der öffentlichen Gebäude geht. Bei den Wohngebäuden muss es vorrangig um sozialverträgliche Lösungen gehen – die Politik darf insbesondere Mieter:innen mit kleinen und durchschnittlichen Einkommen nicht allein lassen. Bei der Fernwärme gilt es, die Finanzierung des Umbaus auf erneuerbare Energien aus dem Sondervermögen kritisch und offen zu diskutieren: Kann die Dekarbonisierung der überwiegend gasbetriebenen Heizkraftwerke wirklich mit Wasserstoff gelingen? Und was wird das kosten? Viele Fragen sind zu klären und das mit möglichst breiter Expertise!
Ein Beitrag von Franziska Schulte
21.11.2023