Die Situation in der Hermannstraße 48 (H48) bleibt angespannt. Eine Räumungsklage bedroht die Existenz einer Wohngemeinschaft, die seit Jahren in dem Neuköllner Hauskomplex lebt. Das Landgericht Tegel hat den Prozess, der sich vor allem um die rechtliche Einordnung des bestehenden Mietvertrags dreht, ausgesetzt. Am Ziel sind die Mieter:innen damit nicht.
Knapp 50 Demonstrant:innen versammeln sich am Dienstag, den 16. Januar 2024, vor dem Landgericht Tegel, das eine Räumungsklage gegen eine Wohngemeinschaft der H48 verhandelt. Das Ziel der Protestierenden: Widerstand leisten gegen die als menschenfeindlich empfundene Stadtpolitik. Zu den Unterstützer:innen der Hausgemeinschaft gehören unter anderem die Initiative Deutsche Wohnen und Co enteignen sowie das Bündnis Zwangsräumung verhindern.
Gewerbemietverträge zur Aushebelung des Mieter:innenschutzes
Von der Situation der Wohngemeinschaften der H48 berichteten wir bereits vergangenen Sommer im MieterMagazin. Im Zentrum des Gerichtsprozesses um die Rechtmäßigkeit der Kündigung und der darauf folgenden Räumungsklage steht die Frage, ob der Mietvertrag als Wohn- oder Gewerbemietvertrag einzustufen sei. Denn obwohl die ehemalige Eigentümerin wusste, dass die Hausgemeinschaft die Räume zu Wohnzwecken nutzt, vergab sie über fast 40 Jahre hinweg ausschließlich Gewerbemietverträge an die Mieter:innen. Dadurch konnte sie Mieter:innenschutzregelungen umgehen. Diesen Umstand nutzte der neue Eigentümer, der das Haus 2021 übernahm, und kündigte den Vertrag. Der Richter am Landgericht Tegel stellt allerdings fest: Nicht nur die Bezeichnung des Vertrags spielt eine Rolle, sondern auch der „übereinstimmende Wille zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses“.
Die Räumungsklage ist kein Einzelfall, sie steht exemplarisch für ähnliche Fälle. In den 1980er und -90er Jahren haben viele Eigentümer:innen Gewerbeflächen an WGs vermietet, um Leerstand zu verhindern. Heute machen steigende Mietpreise solche Modelle attraktiv für Investor:innen, die von den kurzen Kündigungsfristen und dem nicht vorhandenen Mieter:innenschutz profitieren.
Trotz Rückschlägen kämpferisch bleiben
Der Kampf der Wohngemeinschaften der H48 um ihr Zuhause reicht bereits länger zurück. Nach dem Eigentümerwechsel hatten sich die Mieter:innen mit ganzer Kraft für die Ausübung des kommunalen Vorkaufsrechts für ihr Wohnhaus eingesetzt. Fast mit Erfolg: Der Vorkaufsbescheid des Bezirks lag bereits vor. Doch der ursprüngliche Käufer reichte Klage ein, das Verfahren verzögerte sich und war noch nicht abgeschlossen, als das Bundesverwaltungsgericht am 9. November 2021 mit seinem Urteil zum Vorkaufsrecht das ehemals wirksame Instrument zum Mieter:innenschutz in Milieuschutzgebieten aushebelte. Ein herber Schlag für die Mieter:innen der H48.
Vorübergehende Aussetzung der Klage
Der neue Gerichtstermin lässt die Wohngemeinschaft zumindest kurz aufatmen: Das Landgericht Tegel setzt die Räumungsklage vorübergehend aus, da die Bewohner:innen parallel eine Feststellungsklage vor dem Amtsgericht Neukölln führen. Erst nach einer abschließenden Entscheidung in diesem Verfahren wird das Landgericht die Räumungsklage erneut verhandeln.
Nika, die seit mehr als zehn Jahren in der Wohngemeinschaft lebt, ist zuversichtlich, dass die Mieter:innen darin die Anwendung des Wohnmietrechts nachweisen können – ihr Anwalt Benjamin Hersch zeigt sich ebenfalls optimistisch. Dennoch wird das Verfahren weiter an den Kräften der Mieter:innen zehren. Die Wohngemeinschaften der H48 sind jedoch entschlossen, ihren Kampf fortzuführen und vertrauen dabei auf die Solidarität untereinander und anderer betroffener Hausgemeinschaften. Auch ihr Kampf gegen die Interessen von Immobilienmarktakteuren in den Berliner Milieuschutzgebieten geht weiter. Die Bewohner:innen der H48 können zeigen, dass ihre Räumungsklage im direkten Zusammenhang mit der Aushebelung des Vorkaufsrechts durch das Bundesverwaltungsgericht steht.
Ein Beitrag von Vera Colditz
25.01.2024